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Integration - Die Linken lassen die Menschen mit dem Kulturkampf allein

Integration kann zäh sein: Einfache Bürger müssen sich täglich mit Einwanderern aus fremden Welten auseinandersetzen. Die Linken im Elitenhimmel lassen sie mit diesen Konflikten allein, findet unser Autor

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Eine Krankenschwester erzählt: „Ich habe einen türkischen Geschäftsmann gepflegt. Er beschimpfte mich, weil ich kein Türkisch spreche. Als Konsequenz hat mir die Klinikleitung Türkischkurse angeboten.“ Eine Mutter erzählt: „Meine zehnjährige Tochter kam weinend nach Hause und bat mich, sie Türkisch lernen zu lassen. In ihrer Schulklasse könne sie nur mit einer einzigen Schulkameradin sprechen, der zweiten deutschen neben ihr.“

Ein Journalist erzählt: „Ich bestand darauf, dass mein Sohn die öffentliche Schule besucht. In der 4. Klasse erhielt er im Deutschunterricht ein Lehrbuch ‚Deutsch für Fremdsprachige, Stufe 1‘. Ich habe mich beschwert: Mein Sohn sei nicht fremdsprachig, sondern deutschsprachig, brauche also kein Lehrbuch für Anfänger, sondern eines, das seinen Kenntnissen entspricht. Die Schulleitung hat mir Fremdenfeindlichkeit unterstellt.“

Ein Vater erzählt: „Wir haben nichts gegen rumänische Einwanderer, wir haben nur etwas gegen die Rücksichtslosigkeit, mit der sie in unserem Viertel ihre Gewohnheiten durchsetzen, und zwar bis in die Morgenstunden. Wir möchten einfach mal schlafen.“ Sonderbare Geschichten. Sind sie überhaupt erzählenswert? Handelt es sich doch lediglich um Einzelfälle, individuelle Erlebnisse aus Berlin, aus Zürich, aus Duisburg, aus Frankfurt am Main. Alltags-Geschichten über Alltags-Sorgen. Unerheblich deshalb.

Wer sie weitererzählt, macht sich verdächtig: der Verbreitung ethnischer Vorurteile, der Hetze gegen Einwanderer, des Rassismus. Er steht augenblicklich unter Verdacht, ein rechter Spießer zu sein: ein Spießgeselle Sarrazins. Ach, ließen sich solche Erzählungen doch nur so einfach abtun! Aber immer mehr Menschen verspüren das Bedürfnis, ihre Erlebnisse mit Migranten mitzuteilen. Und mehr und mehr stammen sie aus der Mitte der Gesellschaft. Bei genauem Hinsehen entpuppen sich ihre Erzählungen nicht als Eruptionen von Fremdenfeindlichkeit, sondern als – Arbeitsberichte. Arbeitsberichte? Genau. Als Berichte aus dem Tätigkeitsfeld von Menschen, die in Deutschland, in Europa die Integrationsarbeit leisten. Dazu zählen zuhauf Schulkinder. Integrationsarbeit ist auch Kinderarbeit.

Die Konfrontation mit unvertrauten Kulturen
 

Ja, es sind nicht in erster Linie ausgebildete und wohlbestallte Angestellte von Kirchen und Sozialbehörden, die durch die Menschen aus fremden Welten herausgefordert werden. Es sind Krankenschwestern, die unanständige Einwanderer pflegen müssen; Schulkinder, die sich einer erdrückenden Mehrheit fremdsprachiger Klassenkameraden gegenübersehen; Eltern, die sich sorgen, dass ihr Nachwuchs auf diese Weise um den Lernerfolg gebracht wird; Mieter, die Wand an Wand rüde Riten von Einwanderern erdulden müssen.

Gibt es in unserer Gesellschaft eine heiklere, schwierigere, zähere Aufgabe als die Konfrontation mit unvertrauten Kulturen? Zum Beispiel mit der christlich-orthodox grundierten Kultur Südosteuropas, mit der Clankultur, wie sie die Lebensrealität vieler Rumänen und Bulgaren prägt? Patriarchalisch, oligarchisch, archaisch: eine Lebenswelt, die unseren ausdifferenzierten demokratischen Rechtsstaat irritiert und schon mal unwillig zur Kenntnis nimmt.

Von deutschen Bürgern wird verlangt, dass sie sich gut benehmen, wenn sich der Einwanderer-Nachbar schlecht benimmt. Mehr noch: dass sie diesen Nachbarn nachsichtig vertraut machen mit der deutschen Alltagskultur, von der Schulordnung bis zur Hausordnung, von den Festgebräuchen bis zu den Frauenrechten. All das sollen Deutsche beherzigen, vorleben, durchsetzen – selbstverständlich auf solidarische Art und Weise.

„Willkommenskultur“ fordern Politiker und Publizisten in ihrem Elitenhimmel – im täglichen Leben dagegen gehen sie den Einwanderern möglichst weiträumig aus dem Weg. Sie bevorzugen Stadtteile, in denen es Schulen gibt, deren Klassen einen akzeptablen Ausländeranteil aufweisen, ansonsten verschieben sie ihre Kinder ganz rasch auf Privatschulen mit Erlebnispädagogik plus musisch-kreativer Ausrichtung. Im Kampf um die in Westeuropa geltende Alltagskultur – vom Grundgesetz bis zur Mülltrennung – sind die einfachen Bürgerinnen und Bürger auf sich gestellt. Zwar war eigentlich immer klar, welches Recht und welche Regeln in dieser Gesellschaft gelten. Dennoch scheint sich die Frage aufs Neue zu stellen, ob man von Einwanderern erwarten darf, dass sie sich auf die deutschen Grundwerte und den deutschen Alltag einlassen, im Haus, auf der Straße, in der Schule.

Es ist ein Kulturkonflikt, dem sich „Inländer“ täglich ausgesetzt sehen, wenn sie beobachten und erleben, wie Eltern aus religiös-reaktionär geprägten Kulturen ihre Kinder unterdrücken, weil sie einer individuellen Entwicklung zutiefst misstrauen, besonders dann, wenn es sogar Mädchen plötzlich wagen, eigene Entscheidungen zu treffen und einen anderen Weg zu gehen als den von der Familie vorgegebenen. Dabei führt doch erst die Entdeckung des Selbst – des Selbstbewusstseins und der Selbstverantwortung – zu Lebensehrgeiz, zu Bildungslust und zur Freude an schulischer Leistung, provokativ gesagt: zur Anpassung an den Freiheitskanon der offenen Gesellschaft, zu dessen Akzeptanz und Verinnerlichung.

Die Kinder der Einwanderer, woher auch immer sie stammen mögen, sind nicht dümmer als ihre deutschen Spielkameraden, doch sind sie belastet durch zurückgebliebene Religionen, durch einfältigen Machokult, durch überkommenen Blut-und-Ehre-Unsinn. Sie werden an einer freien Entwicklung gehindert. Man muss den Bürgern zuhören, wenn sie schimpfen: „Die Rumänen lärmen; die Russen pöbeln; die Türken versagen in der Schule; die Araber verachten die Frauen.“ Richtig, alles Pauschalurteile. Pfui!

Pfui – weil es das ja gar nicht gibt: kulturelle Konflikte mit Einwanderern. Schon gar nicht so etwas wie einen alltäglichen Kulturkampf. In der Berliner Republik, einem SPD-nahen Magazin für luzide linksorientierte Debatten, liest man etwa: „Einem großen Teil der deutschen Gesellschaft ist durchaus klar, dass es nicht um einen Kampf der Kulturen, Religionen und Ethnien geht, sondern um unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Teilhabeansprüche von Menschen, beziehungsweise Gruppen.“

Zaubersprüche der Sozialdemokratie
 

Schauen wir uns den Satz genau an: „Unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Teilhabeansprüche“ – sind sie nicht auch bestimmt durch „Kulturen, Religionen oder Ethnien“? Durch was denn sonst? Prägt nicht kulturelle Herkunft die „Interessen, Bedürfnisse und Ansprüche“ des Menschen? Sind nicht die Religionen durch autoritären Anspruch und Durchgriff auf Individuum, Familie und Gesellschaft seit jeher bestimmend für „Interessen, Bedürfnisse und Ansprüche“? Darf man fragen, was denn der Kampf der Aufklärung im 18.  Jahrhundert gegen die Unterdrückung der Menschen durch die Kirchen und ihre feudalen Komplizen war – ein unstatthafter, ein verwerflicher Kulturkampf?

Natürlich war er das nicht. Natürlich verdanken wir Aufklärern wie Descartes, Voltaire, Kant und Leibniz unsere moderne, freiheitliche, westliche Gesellschaft! Doch der linken Szene ist der Brunnen der eigenen Vergangenheit längst zu tief geworden. Bis zur Aufklärung reicht ihr Lot nicht mehr. Bei Marx hört für sie die Geschichte auf. Denn Marx hat das gesellschaftliche Rätsel ein für alle Mal gelöst, als er dekretierte: Der materielle Unterbau bestimmt den kulturellen Überbau. Übersetzt ins sozialdemokratische Heute besagt die geflügelte Sentenz: Alle Probleme sind materielle Probleme; werden sie durch materielle Teilhabe befriedet – etwa durch Sozialhilfe –, lösen sich kulturelle, religiöse und ethnische Widersprüche als bloße Nebenwidersprüche am Ende ganz von selber auf.

Solche Zaubersprüche freilich lassen die Arbeiter im Weinberg der offenen Gesellschaft rat- und hilflos zurück: die Bürgerinnen und Bürger, die jeden Tag ihre Konflikte mit Migranten aus fremden Kulturwelten auszutragen haben. Dieser Konflikt aber, den es in den Augen der selbst- wie geschichtsvergessenen Linken nicht gibt, weil es ihn nicht geben darf: Er ist der Nährboden für die populistische Rechte. Sie bewirtschaftet ihn skrupellos und zunehmend erfolgreich – indem sie vortäuscht, den allein gelassenen Bürgerinnen und Bürgern zur Seite zu stehen.

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