- Die Verwandlung des Peter Müller
Es war ein ungewöhnlicher Wechsel: Peter Müller wurde vom Ministerpräsidenten zum Verfassungsrichter. Nun urteilt er über den ESM, die Wahlmänner in der Bundesversammlung und womöglich über ein NPD-Verbot. Doch er ist erst einmal befangen – wegen seiner politischen Vergangenheit
Die scharlachroten Roben sind vielen Richtern ein Graus. Mal verheddert sich das weite Gewand in den Rollen des Richterstuhls, mal vergessen sie das Barett abzusetzen. Nur wenigen Richtern gelingt es, in der Robe eine gute Figur zu machen. Bei Peter Müller, wenn er meist ganz links auf der Richterbank sitzt, wirkt die Robe, als wäre sie ein Stück zu groß.
Man hat ihn noch als selbstbewussten saarländischen Landesvater in Erinnerung. Jetzt ist er Teil des wohl mächtigsten Kollektivs des Landes. Müller ist in bewegten Zeiten gekommen. Das Gericht muss über die Zukunft des Euro mitentscheiden oder gleich der ganzen Europäischen Union – wer weiß das in diesen Tagen schon so genau.
Bei der mündlichen Verhandlung zum ESM im Sommer saß er auf der Richterbank und stellte seinen ehemaligen Parteifreunden kritische Fragen zu den Abläufen im Bundestag bei dieser historischen Entscheidung. Aber seine neue Rolle ist für beide Seiten noch ungewohnt. In der Verhandlung wurde er von fast jedem Parlamentarier als „Herr Verfassungsrichter“ Müller angesprochen – als einziger der acht Richter. Gleichgültig, ob das als kleine Spitze gegen den ehemaligen Kollegen Ministerpräsidenten gemeint ist, der von ihren Gnaden auf seinen Posten kam, oder ganz unbewusst. Peter Müller werden diese Feinheiten nicht entgangen sein.
Müller hat im Sauseschritt die Seiten gewechselt. Kaum vier Monate lagen damals zwischen seinem Rücktritt in Saarbrücken und seinem Amtsantritt in Karlsruhe, der von bösen Kommentaren begleitet wurde. Es wurde seine mangelnde Qualifikation für das höchste Richteramt im Land kritisiert.
Seine einschlägigen Erfahrungen beschränken sich tatsächlich auf zwei Jahre als Amtsrichter in Ottweiler und zwei Jahre beim Landgericht Saarbrücken. Wissenschaftliche Veröffentlichungen von bleibender Bedeutung sind von ihm nicht bekannt. Kritiker fürchteten, hier würde ein amtsmüder Ministerpräsident auf einem Richtersessel entsorgt. Es war von politischem Kuhhandel die Rede.
Aber der wohl schwerwiegendste Vorbehalt, warum es vielleicht keine gute Idee ist, einen amtierenden Ministerpräsidenten zum krönenden Abschluss seiner Karriere zum Verfassungsrichter zu machen, wurde schon bald offenkundig.
Beim jährlichen Presseempfang des Gerichts im Februar, bei dem traditionell die Fälle präsentiert werden, die die Senate im laufenden Jahr zum Abschluss bringen wollen, trug Müller eine Verfassungsbeschwerde gegen die Wahl der letzten Bundespräsidenten vor, die in seinem Dezernat liegt.
Seite 2: Sein erstes großes Verfahren - und er ist befangen
Es geht dabei um die Frage, ob die Wahlmänner bei der Wahl der Bundespräsidenten Horst Köhler und Christian Wulff ordnungsgemäß bestimmt worden sind. Müller wäre zum ersten Mal Berichterstatter in einem Verfahren gewesen. Er hätte die Beratung im Senat vorbereitet, sein Votum wäre von großem Gewicht bei der Entscheidung.
Allerdings war Müller 2009 und 2010 auch einer der Wahlmänner, gegen deren Kür nun geklagt wird. Auf die Frage, ob Wulff und Köhler nun womöglich gar nicht ordnungsgemäß gewählt worden seien, antwortete Müller gut gelaunt, er könne sich nicht näher dazu äußern, weil ein Befangenheitsantrag vorliege. Verschmitzt fügte er hinzu: Spätestens wenn er jetzt antworten würde, wäre er wohl befangen.
Eine Pointe, wie man sie vom Politiker Müller kennt. Aber aus dem Witz wurde Ernst. Der Zweite Senat hat ihn von dem Verfahren wegen Befangenheit ausgeschlossen. Die erste große Entscheidung aus Müllers Dezernat findet nun ohne ihn statt.
Und es stehen weitere Verfahren an, bei denen Ähnliches droht. Ein weiteres NPD-Verbotsverfahren etwa. Als Politiker hatte sich Müller stets dagegen ausgesprochen. Macht ihn das bei einer Entscheidung des Verfassungsgerichts nun befangen? Oder Seehofers Klage gegen den Länderfinanzausgleich. Als Ministerpräsident eines strukturschwachen Landes war Müller immer ein entschiedener Befürworter des Transfers. Dürfte er nun als Richter darüber urteilen?
Man würde Peter Müller gerne selber danach fragen. Doch die Pressestelle des Gerichts erklärt, dass er in diesem Jahr nicht für Interviews zur Verfügung steht. Ein Schweigegelübde passt gut in die klösterliche Atmosphäre des höchsten Gerichts, es ist offenbar Teil seines Eingliederungsprogramms in den „Achter ohne Steuermann“.
Denn Ansehen unter den Kollegen erwirbt man sich in Karlsruhe weniger durch öffentlichkeitswirksame Auftritte als durch fleißiges Aktenstudium und brillante juristische Argumente. Und nicht selten klafft zwischen dem Einfluss einzelner Richter im Haus und der Aufmerksamkeit, die sie in der Öffentlichkeit genießen, eine größere Lücke. Die Lauten sind auch beim Verfassungsgericht nicht immer die Tüchtigen.
Karlsruhe war für Müller seit einem Auftritt als Sachverständiger bei einer mündlichen Verhandlung vor einigen Jahren ein Sehnsuchtsort. Er hat das immer wieder durchblicken lassen. Ob das Amt seinem Temperament entspricht, ist aber noch offen. Ein politischer Weggefährte hatte vor Müllers Amtsantritt Zweifel angemeldet: „Der weiß gar nicht, was er sich da antut.“ Inzwischen dürfte er eine Ahnung haben.
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