
- Die Schwäche der CDU ist die Stärke der SPD
Dass Hannelore Kraft Ministerpräsidentin von NRW bleiben könnte, verdankt sie nicht der überwältigen Zustimmung durch ihre Wahlbürger, sondern der Schwäche der CDU. Über die Ausgangslage der Parteien in Nordrhein-Westfalen vor der Neuwahl des Landtags
Nordrhein-Westfalen ist entgegen der landläufigen Meinung – anders als z.B. Hessen – kein Stammland der SPD. Bei den 52 Bundestags-, Landtags-, Kommunal- oder Europawahlen, die seit 1947 an Rhein und Ruhr stattfanden, wurde die CDU 27 mal, die SPD 25 mal stärkste Partei. Bis 1966 stellte die CDU in Nordrhein-Westfalen (mit einer kurzen Unterbrechung durch die mit Hilfe der FDP-„Jungtürken“ um Walter Scheel, Willi Weyer oder Wolfgang Döring zustande gekommene Zwischen-Regierung unter Fritz Steinhoff von 1956 bis 1958) den Ministerpräsidenten. Erst Heinz Kühn gelang es 1966, die SPD auf Landesebene zur stärksten Partei zu machen. Bei den Landtagswahlen 1970 und 1975 aber lag die CDU wieder vor der SPD, die jedoch mit Hilfe der FDP weiterregieren konnte. Absolute Mehrheiten errang die SPD dann mit Johannes Rau: 1980 die der Mandate, 1985 und 1990 auch die der Stimmen.
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Möglich wurde diese Machtbalance in Nordrhein-Westfalen durch eine soziostrukturelle Gemengelage: Das Land ist sowohl durch eine traditionsreiche Industrie- und Arbeiterkultur als auch durch einen im Vergleich zu anderen norddeutschen, eher protestantischen Ländern starken Katholizismus geprägt.
Dabei kam der SPD an Rhein und Ruhr zugute, dass sie durch entsprechend hoch angesehene Repräsentanten in vielen Gemeinden und Städten des Landes Vertrauen gewinnen konnte. Durch diese regionale Verankerung und einen Vertrauensschub bei kommunalen Wahlen konnte die SPD im Laufe der Zeit auch auf Landes- und später auch auf Bundesebene immer mehr Wähler gewinnen. Doch durch eine von den Bürgern zunehmend als grottenschlecht empfundene Kommunalpolitik (in vielen Rathäusern ging es seit den 1980er Jahren nicht mehr wie in den 1950er und 1960er Jahren um die Interessen der Menschen vor Ort, sondern die Kommunalpolitik orientierte sich überwiegend an den ideologischen Dogmen der SPD-Funktionärskader) ging zunächst das lokale Vertrauen, dann unter Wolfgang Clement und Peer Steinbrück auch das auf Landesebene verloren.
Wurde Johannes Rau 1985 noch von 39 von 100 Wahlberechtigten gewählt, gaben bei der Landtagswahl 2000 mit Clement nur noch 24 und bei der Landtagswahl 2005 mit Steinbrück nur noch 23 von 100 Wahlberechtigten der SPD ihre Stimme. Mit Hannelore Kraft fiel die SPD dann 2010 auf ein historisches Tief: Nur noch 20 Prozent der Wahlberechtigten wählten die SPD.
Dass Hannelore Kraft dennoch Ministerpräsidentin werden konnte, verdankt sie also nicht einer überwältigenden Zustimmung durch die Wahlbürger an Rhein und Ruhr, sondern der Schwäche der CDU, die den Niedergang der Sozialdemokraten nicht für sich nutzen konnte. Die CDU hatte sich nämlich in Nordrhein-Westfalen nicht wie in anderen Regionen zur starken Volkspartei entwickelt, sondern blieb im Grunde – ähnlich dem Zentrum in der Weimarer Republik – eine eher klerikale Milieupartei ohne Verankerung in breiten Schichten des Volkes.
Jürgen Rüttgers konnte aufgrund des großen Unmuts über rot/grüne Bündnisse in Bund und Ländern zwar 2005 nordrhein-westfälischer Ministerpräsident werden (die CDU wurde von 28 Prozent der Wahlberechtigten gewählt), doch 2010 gab es wegen parteiinterner Ungeschicklichkeiten und Fehler („Sponsoring-Affäre“) große Mobilisierungsdefizite, so dass 2010 auch die CDU nur noch von 20 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurde.
Lesen Sie auf der nächsten Seite über die geringe Verankerung der CDU in der Wählerschaft.
Rüttgers Versuch, sich als „Arbeiterführer“ zu profilieren, war angesichts der „proletarischen“ Tradition im Land im Ansatz richtig, war aber aufgrund der zu geringen Verankerung der CDU in der Wählerschaft zu fragil, um akuten Widrigkeiten (wie der „Sponsoring-„ oder kurz vor dem Termin der Landtagswahl der „Griechenland-Vertrauensdelle“) standzuhalten. Die CDU hatte es zudem nicht vermocht, die Chance von 1999 zu nutzen, als es ihr bei der Kommunalwahl gelang, flächendeckend viele „rote Rathäuser“ einzunehmen. Doch die CDU konnte dieses Vertrauen nicht nur nicht verfestigen und ausbauen, sonder noch nicht einmal halten. Ihr Anteil von 27 Prozent bei der Kommunalwahl 1999 sank in zehn Jahren bis 2009 wieder auf unter 20 Prozent (bezogen auf alle Wahlberechtigten).
Mit Norbert Röttgen als neuem Vorsitzenden scheint es der CDU seit 2010 noch nicht gelungen, diese schwache Verankerung der CDU in breiten Schichten der Bevölkerung zu ändern. Obwohl verlässliche Zahlen über die Stärke der Parteien im Vorfeld der kommenden Landtagswahl erst in den nächsten Tagen vorliegen, wenn die Bürger über die überraschend angesetzte Neuwahl sich auch eine Meinung bilden konnten, dürfte die CDU kaum eine Chance haben, wieder wie bei vielen Wahlen in der Wahlgeschichte des Landes stärkste Partei zu werden.
Hannelore Kraft hingegen, die eher geräuschlos und ohne Skandale und große Fehler regierte, hat alle Chancen, auch nach der Wahl im Mai – und dann für fünf volle Jahre – Ministerpräsidentin im Lande zu bleiben.
Die Chancen der Liberalen, wieder in den Landtag einzuziehen, sind hingegen äußerst unsicher. Zutiefst enttäuscht sind die ehemaligen FDP-Wähler nämlich vom Personal und von dem, was die FDP im Interesse ihrer früheren mittelständischen Wähler seit 2009 getan bzw. nicht getan hat.
Ob die Linke und die Piraten Chancen haben, im neuen Landtag vertreten zu sein, wird abzuwarten sein.
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