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Die perfekte Protestantin

Margot Käßmann ist das moderne Gesicht des deutschen Protestantismus.

Das norddeutsche Licht fällt schräg von oben tief hinein ins große Treppenhaus. Dann braust erst ein großes Zottelvieh laut bellend die geschwungene Treppe hinunter, gefolgt von einem sehr hübschen Teenager in sehr engen Jeans, und schließlich wirbelt die sportliche Mutter hinterher: Bischöfin Margot Käßmann ist anders. Anders als alles, was man an Bischöflichkeit so kennt. Sie steht nicht nur der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers vor (größte Landeskirche Deutschlands mit mehr als drei Millionen Mitgliedern), im Privaten managt sie mit Ehemann Eckhard das Leben mit vier Töchtern – und Haustier. Küsschen und Kurzabsprache mit der Tochter, Nackenkraulen dem Hund, dann schiebt die Bischöfin ihren Besucher vom Wohnhaus ins angrenzende Büro. Protestantisch nüchtern ist es gehalten: Schreibtisch, Regale, ein Kreuz, eine Sitzecke, keine Fauteuils, in denen man versinkt. Kein Design, nur Sein. Nichts, was das Auge einfängt, den Blick ablenkt vom Gegenüber und dem herrlichen Garten hinter den bodenlangen Fenstern. Margot Käßmann ist keine Frau mit Zeit für Schnickschnack, sie verzichtet gern auf die üppige Opulenz des Auftritts. Ihr Doktortitel ist etwas fürs Archiv. Für die einen ist sie „Lady Papst“, die anderen sehen in ihr die „Ursula von der Leyen der Kirche“. Doch für die meisten ist Margot Käßmann (Jahrgang 1958) das moderne Gesicht des deutschen Protestantismus. Immer frisch, meist fröhlich, manchmal streitbar, vor allem aber mittendrin. Dabei lebt sie ihr privates wie öffentliches Leben – nur einen Katzensprung entfernt vom Wohnhaus des „Medienkanzlers“ Schröder – offensiv und lustvoll, ihre Kanzel sind die Medien. Wie kaum ein Kirchenführer zuvor ist Margot Käßmann zur Medienikone geworden. Sie verbindet die Geschmeidigkeit einer Talkshow-Moderatorin mit der rhetorischen Begabung einer Spitzenpolitikerin. Dabei lebt die gebürtige Hessin vor, was sie fordert: „Wir müssen in unseren Gottesdiensten lebendiger werden und mehr Sinnlichkeit zulassen, singen und mehr getarnte Liturgie einbauen.“ Und diesem Appell schiebt die Kirchenchefin aber gleich versöhnlich nach, dass dies ja auch schon in unendlich vielen Gemeinden geschehe. Anschieben und auffangen – auch diese Mischung der fordernden Verbindlichkeit mag es sein, die Frau Käßmann so beliebt macht. Beinahe katholisch ist ihr sicherer Instinkt für Präsenz und Inszenierung. Und doch würde sie jeden Vergleich mit der Bühnenreife des Papstes weit von sich weisen. „Wir Protestanten mögen keine Happenings“, sagt sie, und weiß vielleicht nicht, dass sie selber eines ist. „Die Fixierung auf eine Person, den Papst – das ist für ein evangelisches Herz nicht tragbar. Da ist Martin Luther auch 500 Jahre später sehr prägend“, urteilt sie im Tonfall 500 Jahre lang abgeklärter Kritik – um einen deutlichen Ton lustvoller hinzuzufügen: „Mich stört vor allem aber die Männerdominanz. Da habe ich andere Bilder vor Augen, wenn ich Kirche sehe.“ Auf diesen Bildern ist sie selber längst im Mittelpunkt. Vom ZDF-Morgenmagazin über die Morgenandacht im NDR bis zu den RTL-Spätnachrichten und der Deutschlandfunk-Nachtsendung ist Margot Käßmann präsent. Sie ist so etwas wie das deutsche Orakel von Delphi. In jeder Frage moralischer Selbstvergewisserung fragt man die Personifikation sympathischer Verbindlichkeit. Verkaufsoffene Adventssonntage, aber nein. Türkei in der EU, eher nicht. Asylanten abschieben, gar nicht. Ob Fußball-WM-Botschafterin oder Buchautorin, sie ist dabei. Auch bei Ulrich Wickerts TV-Sendung, wo sie ihr Buch „Erziehung als Herausforderung“ disputierte. Selbst wenn es um das Intimste geht, lässt die Medien-Bischöfin alle teilhaben. Im August 2006 erkrankte sie an Brustkrebs, machte auch dies öffentlich, brach damit ein Tabu, machte sich und damit anderen Mut und eroberte Herzen im Sturm. Frauen in ganz Deutschland dankten es ihr mit Gebeten. „In der Bibel heißt es ,Seid fröhlich in der Hoffnung‘– diese Grundhaltung hat mich in den vergangenen Monaten getragen“, betont die Bischöfin, die nach ihrer Strahlentherapie seit Ende Oktober wieder im Amt ist. Margot Käßmann changiert zwischen wertkonservativem Engagement (für den verkaufsfreien Sonntag will sie nun sogar vors Verfassungsgericht), emanzipatorischer Provokation („erst die feministische Theologie hat weibliche Gottesbilder der Bibel ins Bewusstsein gebracht“) und lebensfröhlicher Gelassenheit. Die Bischöfin ist politisch kritisch, doch nicht ideologisch. Sie verkörpert die neue Bürgerlichkeit in Deutschland und kommt wohl auch deshalb so gut im Volk an. Sie hält auf Stil und Tradition und ist in ihnen doch nie gefangen. Sie kämpft gegen Prostitution und für Asylanten. Und immer für die Emanzipation. Sie ist das lebendige weibliche Gegenbeispiel der Kirchengeschichte, das Femininum der Protestanten zum Maskulinum der Katholiken. Na also, geht doch (würde sie sagen). Soeben ist Margot Käßmann zur „Frau des Jahres 2006“ (Vorgängerin 2005: Angela Merkel) gewählt worden. Christiane Götz ist politische Publizistin

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