- Die letzte Chance der FDP
Die FDP hat ihre Führungsspitze umgebaut – Guido Westerwelle musste weg. Aber damit sind die Probleme der Liberalen nicht aus der Welt. Sie misstrauen einander, und der Ärger über die Union ist groß. Jetzt kommt das Thema Steuerentlastung wieder auf den Tisch. Wer dieser Partei die Stange hält, braucht gute Nerven.
Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern und hüte mich, mit ihm zu brechen: So ungefähr lässt sich das Verhältnis Christian Lindners zu Hans-Dietrich Genscher beschreiben. Der jugendliche FDP-Generalsekretär weiß den Rat des ehemaligen Außenministers zu schätzen; man telefoniert miteinander oder trifft sich im Berliner Hotel „Adlon“ zum Tatar. Auch in der heiklen Frage des Atomausstiegs wurde Genscher von Lindner konsultiert. Die Bemerkung des regierungserfahrenen 84-Jährigen, die FDP fahre immer dann am besten, wenn sie sich nicht isoliere, dürfte Christian Lindner in dessen Kurs bestätigt haben: Sollte eine Sache nicht aufzuhalten sein, stellt man sich einfach an die Spitze der Bewegung. Also wurde im Fukushima-Fieber die Partei der Kernkraftpragmatiker binnen kürzester Zeit auf ökologisch unbedenklich getrimmt – praktisch im Gleichschritt mit CDU und CSU. Er hätte es nicht darauf ankommen lassen können, die Liberalen in den bevorstehenden Wahlkämpfen als Büttel der Atomindustrie verunglimpft zu sehen, soll Lindner Anfang Juni bei einem Abendessen im halb privaten Kreis gesagt haben. Dass damit die Chance vertan wurde, die FDP als Stimme der energiepolitischen Vernunft gegen den grünen Mainstream zu profilieren, fällt nicht ins Gewicht. Lieber hilft man der Union dabei, sich als potenzieller Koalitionspartner von Künast, Trittin & Co in Position zu bringen. Die „Mövenpick“-Kampagne der Opposition wegen des gesenkten Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen hat die FDP im Januar des vergangenen Jahres schwer traumatisiert; so etwas darf sich nicht wiederholen. Das ist die Lage, in der sich die Freidemokraten zur Halbzeit der Legislaturperiode befinden: zutiefst verunsichert, vom Koalitionspartner gedemütigt, von den Wählern abgestraft. Jetzt müssen „Tick, Trick und Track“, wie die neue Führungstrias Rösler/Lindner/Bahr in der Fraktion genannt wird, ihre Wunderkräfte wirken lassen. Wenn sie denn welche haben.
Die Kanzlerin jedenfalls scheint gegen den jugendlichen Charme des frisch gekürten Parteivorsitzenden Philipp Rösler einigermaßen immun zu sein: Mit Genugtuung wurde von der Union gestreut, wie Rösler sich bei den Koalitionsgesprächen zum Atomausstieg von Angela Merkel habe vorführen lassen. Diese Ansage war kaum misszuverstehen: Glaubt bloß nicht, dass ihr jetzt auftrumpfen könnt! „Das war schon derbe“, sagt ein FDP-Abgeordneter, der 2009 auf der 14,6-Prozent-Woge seiner Partei zum ersten Mal in den Bundestag getragen wurde. Und der sich schon bald die Augen darüber rieb, wie die Unionsleute mit den seinen umsprangen.
Längst beherrscht Misstrauen den politischen Alltag; die Verzweiflung der Liberalen beflügelt inzwischen sogar schon Verschwörungstheorien über die eigenen Leute. Warum, so fragen sich einige in der Fraktion, hat Christian Lindner nach den Verhandlungen zur Energiewende noch einmal mögliche Entschädigungszahlungen an die Stromkonzerne öffentlich ins Gespräch gebracht? Und damit implizit zu erkennen gegeben, die FDP habe sich mit diesbezüglichen Bedenken nicht gegen den Koalitionspartner durchsetzen können? Gut möglich, so heißt es, dass der Generalsekretär mit diesem Alleingang eine gezielte Spitze gegen den neuen Parteichef setzen wollte. Nach dem Motto: Rösler ist zu schwach, um gegen den großen Partner zu bestehen. „Ich könnte mir vorstellen, dass Lindner ein Interesse daran hat, dass es mit der FDP weiter bergab geht – um sie dann schließlich selbst zu neuen Ufern zu führen“, sagt ein Fraktionsmitglied. Ganz nach dem Vorbild Guido Westerwelles, der die Partei vor einem Jahrzehnt in marodem Zustand übernahm und es verstand, ihr neue Vitalität einzuhauchen. Wenn solche Szenarien für ernsthaften Diskussionsstoff bei den Liberalen sorgen, spricht das nicht gerade für einen kraftvollen Neubeginn.
Und dann wäre da ja auch noch die Personalie Westerwelle selbst. Viele FDP-Abgeordnete haben erhebliche Zweifel daran, dass es strategisch klug war, den geschassten Parteivorsitzenden weiterhin als Außenminister zu halten. Dieser Deal war zwar mit Philipp Rösler und dessen engstem Vertrauten Daniel Bahr fest vereinbart und wohl auch die Voraussetzung für einen halbwegs geschmeidigen Ablauf des gesamten Personalrevirements. Aber ob Guido Westerwelle dieses Amt bis zum Ende der Legislatur wird ausüben können, gilt keineswegs als ausgemacht. Er stehe jetzt unter „verschärfter Beobachtung“, heißt es in der Fraktion über den einstigen Alleinherrscher; dort lässt er sich neuerdings kaum noch blicken – Westerwelle will sich jetzt offenbar ganz der Außenpolitik widmen, wo es seit seiner ungeschickten Taktiererei in der Libyenkrise etliches Porzellan zu kitten gibt. Mit der Enthaltung im UN-Sicherheitsrat hat er allerdings nicht nur Deutschlands westliche Partner vor den Kopf gestoßen, sondern auch innerhalb der FDP für großen Unmut gesorgt. Tenor: in der Sache richtig, von der Ausführung her eine Katastrophe. Es sei jetzt „höchste Zeit, dass Guido Westerwelle deutlich macht, was liberale Außenpolitik im 21. Jahrhundert bedeutet“, sagt Frank Schäffler, Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Und immer wieder werden Zweifel laut, ob der Außenminister mit seiner notorisch hochfahrenden Art und der auch von seinem engeren Umfeld als extrem hinderlich empfundenen Ehrpusseligkeit den diplomatischen Aufgaben gewachsen ist. Während des Besuchs seiner amerikanischen Amtskollegin Hillary Clinton Mitte April in Berlin war bei gemeinsamen Auftritten die Verunsicherung Westerwelles geradezu mit Händen zu greifen. Seine Gegner innerhalb der Partei warten schon auf nächste Missgeschicke Guido Westerwelles, um ihn endgültig von der Bildfläche abräumen zu können.
Dass das nicht längst geschehen ist, hält Manfred Güllner, Geschäftsführer des Forsa-Instituts, für einen eklatanten Fehler. Die Wähler würden in Westerwelle eine Art Sinnbild des verkorksten Regierungshandelns der bürgerlichen Koalition sehen. „Solange er als Außenminister in den Medien weiter eine Rolle spielt, wird sich in der Außenwahrnehmung der FDP nicht viel ändern“, glaubt der Demoskop. Zumal die Bürger vom neuen Parteichef Rösler nur ein unvollständiges Bild gewonnen hätten: „Als Gesundheitsminister hat Rösler keine nennenswerten Spuren hinterlassen“, sagt Güllner. Und als profilierter Wirtschaftspolitiker sei der neue Wirtschaftsminister bisher ebenfalls nicht weiter aufgefallen – obwohl er dieses Amt in seinem Heimatland Niedersachsen schon einmal ausgeübt habe. „Durch die personellen Veränderungen hat sich nichts Wesentliches gebessert“, lautet Güllners wenig enthusiasmierendes Fazit. Erst recht nicht in den Augen der Kernklientel des organisierten Liberalismus: Rainer Brüderle habe seinen Posten im Wirtschaftsministerium just in der Zeit zugunsten Röslers räumen müssen, als die mittelständischen Unternehmer den leutselig wirkenden Pfälzer als einen ihrer Fürsprecher akzeptiert hätten. „So etwas kommt in diesen Kreisen gar nicht gut an“, unkt der Forsa-Chef.
Als neuer Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion ist Brüderle den insgesamt 93 Abgeordneten seiner Partei allerdings durchaus willkommen. Seine Vorgängerin Birgit Homburger stand trotz ihrer Qualitäten als ebenso knallharte wie sachkundige Verhandlerin schon länger in der Kritik – ihre Auftritte empfanden viele Kollegen als zu hausbacken und ohne intellektuellen Schliff. „Was Brüderle angeht, bin ich ganz optimistisch“, sagt ein Fraktionsmitglied: „Er ist jetzt in einer befreiten Rolle und unterliegt keiner Kabinettsdisziplin mehr. Merkel hat ihn als Minister ja immer ein bisschen gedeckelt und nie richtig eingebunden.“ Brüderle verfüge durchaus über die Härte seiner Vorgängerin – sei aber im Umgang gelassener und im Ton weniger scharf. Wahrscheinlich komme er deshalb mit Unionsfraktionschef Volker Kauder menschlich besser zurecht als Homburger.
Birgit Homburger galt bisher als die große Verliererin in der halb erneuerten FDP unter der Ägide Tick, Trick und Tracks. Denn der Verlust des einflussreichen Fraktionsvorsitzes konnte durch ihre Beförderung zur stellvertretenden Parteivorsitzenden mitnichten angemessen kompensiert werden. Allerdings dürfte die Karriere der ehrgeizigen 46-Jährigen an anderer Stelle eine Fortsetzung finden. In der Partei hat man aufmerksam zur Kenntnis genommen, dass sie neuerdings im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags vertreten ist. Ihre Kollegen im Parlament werten das als ziemlich sicheren Hinweis darauf, dass Birgit Homburger demnächst die Stelle Cornelia Piepers als Staatsministerin im Auswärtigen Amt antreten könnte. Die in der FDP gern als politisches Leichtgewicht geschmähte Pieper dürfte sich dann mutmaßlich als Botschafterin in Warschau einrichten – immerhin beherrscht sie die Sprache und koordiniert seit Längerem die deutsch-polnischen Beziehungen.
Gewonnen ist mit solchen Manövern aber allenfalls ein brüchiger Frieden bei den Freidemokraten selbst. Jetzt müssen vor allem die Wähler dringend mit der Partei versöhnt werden – was schon deswegen nicht leicht sein wird, weil die Union ihrem Koalitionspartner trotz dessen moribunden Zustands keine Erfolge gönnt. Noch aber sei „für uns alles drin“, glaubt Martin Lindner, FDP-Bundestagsabgeordneter aus Berlin, der sich selbst dem wirtschaftsliberalen Flügel zuordnet. Es könne sogar zu einer regelrechten „Sympathie-Explosion“ kommen, so Lindners kühne Hoffnung – „nämlich dann, wenn wir endlich in zentralen Punkten bürgerliche Politik machen“. Die entsprechende politische Agenda ist schnell benannt: Entlastung der mittleren Einkommen; keine weiteren Hartz-IV-Erhöhungen; eine klare Absage an die Transferunion auf europäischer Ebene. Das sind für Lindner Kernthemen, in denen die FDP jetzt Durchsetzungskraft beweisen müsse – allen Widerständen durch die auf Tagespopularität fixierte Kanzlerin zum Trotz. „Der liberal-konservative Wähler fühlt sich derzeit ohne politische Heimat“, sagt Martin Lindner – und dürfte damit auch vielen Anhängern von CDU und CSU aus der Seele sprechen. Nur kann eben die Union mit diesem Befund immer noch ganz gut leben, während er für die Freidemokraten Todesgefahr bedeutet.
Die FDP, so analysiert es Forsa-Chef Güllner, sei als Regierungspartei immer dann stark gewesen, wenn sie ein Korrektiv zum großen Partner gebildet habe. Das war ja auch die Hoffnung Tausender klassischer Unionswähler, die im September vor zwei Jahren für die Liberalen gestimmt hatten: die FDP als Ausgleich zur sozialdemokratisierten CDU. Stattdessen erweist sich die sogenannte bürgerliche Regierung als eifrige Testamentsvollstreckerin von Rot-Grün. Mit dem bekannten Ergebnis: In den Umfragen bewegen sich die Freidemokraten zwischen 4 und etwas mehr als 5 Prozent; in Baden-Württemberg war das miserable Abschneiden der FDP mit 5,3 Prozent (fünf Jahre zuvor waren es 10,7 Prozent gewesen) sogar der eigentliche Grund für den Machtverlust von Schwarz-Gelb. Die Union täte also gut daran, ihre unter Normalmaß geschrumpften gelben Verbündeten künftig etwas pfleglicher zu behandeln – es sei denn, das Ziel für 2013 ist die Wiederauflage der Großen Koalition. Oder eben Schwarz-Grün.
Die FDP muss jetzt tatsächlich sehr bald „liefern“, wie deren neuer Vorsitzender Rösler es formuliert. Und zwar keine Kinderpizza, sondern eine richtige Portion. Bei ihr geht es längst nicht mehr ums Weiterregieren nach der nächsten Bundestagswahl; auf dem Spiel steht die schiere Existenz. Wenn nach der Sommerpause das Verliererthema Griechenlandhilfe und der industriepolitisch höchst riskante Atomausstieg womöglich erst einmal in den Hintergrund getreten sind, wird die FDP also ihre alten Themen wieder auf den Tisch bringen. Als da wären: Steuerentlastung, Steuerentlastung und Steuerentlastung.
Für die FDP hat Philipp Rösler die Marschrichtung schon vorgegeben: Man könne tun, was man wolle – um die Steuerfrage kämen die Liberalen nicht herum, wenn sie Glaubwürdigkeit zurückgewinnen wollten. Aber das ist inzwischen gar nicht mehr so einfach wie noch zu Beginn der Legislatur. Denn die Bundesratsmehrheit von Schwarz-Gelb ist seit der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen perdu; die meisten Steuergesetze sind aber zustimmungspflichtig. Folglich bleibt im Prinzip nur der Solidaritätszuschlag, für den der Bund allein zuständig ist. Demnächst stehen wichtige Gerichtsentscheidungen ins Haus, in denen der „Soli“ möglicherweise für verfassungswidrig erklärt wird. Die Liberalen wollen dem zuvorkommen und mit der Union eine deutliche Reduzierung des Solidaritätszuschlags durchsetzen – oder ihn sogar ganz abschaffen. Angeblich haben CDU und CSU schon Entgegenkommen signalisiert. Allerdings sollte man die Rechnung nie ohne Wolfgang Schäuble machen, Finanzminister und leidenschaftliche Nemesis der FDP. Eines seiner Hauptanliegen nach der vergangenen Bundestagswahl bestand im Zurechtstutzen der Liberalen – es ist ihm gelungen. Dass er jetzt von ihnen ablässt, glaubt dort aber kaum jemand. Generalsekretär Christian Lindner sieht das alles sportlich: „Die FDP“, sagte er unlängst in kleinerer Runde, „ist eben nichts für Leute mit schwachen Nerven.“
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