- Deutschlands Religionspolizei
Der Schriftsteller Martin Mosebach will Gotteslästerei unter Strafe stellen. Aber was wohl als intelligente Provokation gedacht war, ist das Dokument eines intellektuellen Scheiterns
Martin Mosebach ist ein Mann mit vielen Talenten: Buchautor, Reisereporter, Essayist und Ghostwriter mit dem Spezialgebiet „Afrikanischer Adel“. Sein Wiedererkennungsmerkmal aber besteht in der Pose des Salonreaktionärs – was ja kein Fehler ist, denn dem Zeitgeist wird in den Medien genug gehuldigt. Wobei man sich fragen kann, ob die Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils inzwischen nicht selbst zu einer Modeerscheinung innerhalb der katholischen Kirche geworden ist, eine Art klerikaler Retro-Chic.
Was das Frankfurter Universalgenie mit eingelegtem Rückwärtsgang allerdings vor ein paar Tagen ausgerechnet in der nicht gerade für ihre Kirchentreue bekannten „Frankfurter Rundschau“ zum Besten gegeben hat, lässt Zweifel an einer in den Feuilletons viel besungenen Kardinaltugend Martin Mosebachs aufkommen, und zwar an seiner Stilsicherheit.
Es geht um ein Plädoyer für die Strafbarkeit von Blasphemie – als Sujet also durchaus geeignet, um die unique selling position eines schriftstellernden Katholiken mit besonderem Faible für den lateinischen Ritus zu festigen. Doch mit diesem Geschwurbel, das sich nicht zwischen amateurhaftem Rechtsgutachten und billigem Moralisieren entscheiden kann oder will, ist Mosebach auf das Format eines Westentaschen-Dávila geschrumpft, dem man nur noch gute Besserung wünschen und verlegen das parfümierte Stofftaschentuch reichen will. Es ist wirklich zum Heulen.
Also: Mosebach findet, Gotteslästerei gehört geahndet (womit, lässt er wohlweislich offen), und er zieht zur Rechtfertigung dieser Fatwa, jawohl, das Grundgesetz heran. Viel weiter als bis zur Lektüre der Präambel scheint er freilich nicht gekommen zu sein, wenn er in Frage stellt, dass Deutschland ein weltanschaulich neutraler Staat sei. Dort steht tatsächlich etwas vom „Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“, in dem das deutsche Volk sich seine Verfassung gegeben habe.
Aber eine Präambel entfaltet für sich genommen keine normative Kraft, weshalb der gelernte Jurist Mosebach sich noch mühsam bis zu Artikel 1 vorkämpft und die darin postulierte Menschenwürde mal schnell dem Christentum auf der Habenseite verbucht, und zwar komplett: Diese sei „ohne christliche Inspiration nicht vorstellbar“. Eine kühne These durchaus, aber als juristischer Kniff dann doch etwas problematisch. Denn „vorstellbar“ ist ja in dieser Hinsicht noch so einiges mehr (zumindest, wenn man nicht Martin Mosebach heißt). Ich beispielsweise könnte mir vorstellen, dass Menschenwürde prima facie auch ohne christlichen Background zuerkannt werden kann und gebe zu bedenken, dass „Inspiration“ ein ziemlich unbestimmter Rechtsbegriff ist. Ansonsten empfehle ich wieder einmal, im Grundgesetz bis zu Artikel 140 vorzublättern. Könnte in diesem Zusammenhang jedenfalls ganz hilfreich sein.
Da Mosebach offenbar selbst bemerkt hat, auf welch wackeligem Grund er seine juristische Argumentation aufbaut, macht er behelfsweise ein paar praktische Gründe geltend. Das klingt dann so: „Aber auch für den weltanschaulich strikt neutralen Staat könnte sich die Notwendigkeit einer Bekämpfung der Blasphemie ergeben, wenn die staatliche Ordnung durch sie gefährdet wird.“ Dies könne geschehen, „wenn eine größere Gruppe von Gläubigen sich durch die Blasphemie in ihren religiösen Überzeugungen so verletzt fühlt, dass ihre Empörung zu einem öffentlichen Problem wird“.
Mal davon abgesehen, dass die Empörung kleinerer Gruppen für Mosebach offenbar hinnehmbar wäre und er somit einem Zwei-Klassen-Blasphemieverbot (die Zeugen Jehovas fallen schon rein zahlenmäßig als potenzieller Wut-Mob nicht ins Gewicht) das Wort redet, heißt dies: Auf das offenkundig gewordene Gewaltpotenzial in Deutschland lebender Salafisten sollte der deutsche Rechtsstaat endlich angemessen reagieren. Nämlich, indem er Blasphemie verbietet. Dann besteht zumindest Hoffnung darauf, dass die sich nicht mehr ständig durch vorlaute Laizisten provoziert fühlen müssen. Hurra, wir kapitulieren!
Seite 2: Mosebach fordert ein allgemeines Provokationsverbot
Nur einen kleinen Schritt weiter gedacht, dürfte Blasphemie aber nicht die alleinige Gesinnungsstraftat sein, sondern sämtliche Formen von Meinungsäußerung, die geeignet sind, den Widerspruch größerer Gruppen zu evozieren. Denn die Mosebach‘sche Logik besagt ja, dass jegliche Empörung, sofern sie über das Potenzial zu einem „öffentlichen Problem“ verfügt, durch präemptive Wortverbote unterbunden gehört. Wer etwa die Frechheit besitzen sollte, auf der Berliner Public-Viewing-Area beim morgigen Halbfinale der italienischen Mannschaft zuzujubeln, gehört dann wohl ins Gefängnis gesteckt oder sollte zumindest mit einer empfindlichen Geldstrafe belegt werden. Die deutschen Fans könnten sich nämlich herausgefordert fühlen und dem Abtrünnigen ordentlich die Fresse polieren!
Bei Lichte besehen fordert Mosebach nichts anderes als ein allgemeines Provokationsverbot – nur scheint ihm genau dieses Licht nicht aufgegangen zu sein, weil er einzig und allein auf dem Tatbestand der Blasphemie herumreitet und sich noch dazu scheut, die entsprechenden Tatbestandsmerkmale zu benennen. Denn irgendwie muss die Gotteslästerei, wenn sie denn staatlich sanktioniert werden soll, ja mit objektiven Kriterien dingfest gemacht werden können.
Allein die Möglichkeit, dass andere sich bis zur Empörung in ihren religiösen Gefühlen durch irgendetwas verletzt fühlen könnten, dürfte sich nur schwerlich in Paragrafen fassen lassen. Herrgott sakra, wo also soll die Grenze sein? Und dürfte man im Mosebachs Gottesstaat überhaupt noch laut an der Existenz des Allmächtigen zweifeln? Denn das wäre ja wohl die ultimative Provokation für alle gottesfürchtigen Landsleute. Im Iran und in Saudi-Arabien lässt sich übrigens ganz gut beobachten, wie sich Blasphemieverbote in der Realität so anfühlen, inklusive Religionspolizei.
Da ist es natürlich nur konsequent, dass Mosebach ganz nebenbei für die Wiedereinführung der Zensur plädiert. Was, wohlgemerkt, durchaus im Sinne der Kunst sein soll, weil ja deren Beschneidung von Freiheiten sich in früheren Zeiten als „höchst förderlich“ erwiesen habe: „Nicht alles aussprechen zu dürfen, von rigiden Regeln umstellt zu sein, hat auf die Fantasie der Künstler überaus anregend gewirkt und sie zu den kühnsten Lösungen inspiriert.“ Offenbar wurde der Nationalsozialismus als künstlerischer Kreativitätsmotor völlig unterschätzt. Fragt sich nur, warum Mosebach sich dann so vehement für die Zensur einsetzt, wenn sie doch angeblich das Gegenteil bewirkt. Denn seiner Argumentation zufolge wäre ja auch Blasphemie viel wirkungsvoller, wenn sie unter Strafe gestellt würde.
Was also will uns Martin Mosebach mit seinem kruden Gedankenexperiment eigentlich sagen? Dass er ein besserer Literat wäre, wenn man ihm beispielsweise verböte, die Strafbarkeit von Blasphemie zu fordern? Das mag in seinem Fall sogar zutreffen. Es steht freilich zu befürchten, dass der Rechtsstaat ihm diesen Gefallen nicht tun wird. Eigentlich tragisch für einen Essayisten wie ihn, der eine Bombe zünden wollte – und nun als intellektueller Knallerbsenwerfer dasteht.
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