- „Das Vertrauen wurde geschreddert“
Immer neue Ermittlungspannen des Verfassungsschutzes werden offenkundig. Waren die Behörden auf dem rechten Auge blind? Muss der Verfassungsschutz selbst in Frage gestellt werden? Hartfrid Wolff, FDP-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, im Interview
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat bei den Ermittlungen zur Neonazi-Mordserie Akten vernichtet, nachdem die drei Verdächtigen aus Zwickau bereits aufgeflogen waren. Ein ungeheuerlicher Vorgang, der den Höhepunkt dessen markiert, was sich die Verfassungsschutzinstitutionen im Zuge der NSU-Untersuchungen geleistet haben. Szenarien, die selbst Verschwörungstheoretiker wohl nicht entworfen hätten.
Mit der Aktenvernichtung sind nicht nur Akten geschreddert worden, sondern auch das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und deren Aufklärungswillen. Wir müssen mit Hochdruck an der Aufarbeitung und Aufklärung arbeiten, um hier letztlich auch verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
Bei solcherlei Vorgängen ist es schwierig noch an ein Versehen zu glauben. Bleiben eigentlich nur zwei Alternativen: Entweder im Verfassungsschutz arbeiten Idioten oder Nazis.
Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind war. Insbesondere Heinz Fromm hat immer sehr deutlich gemacht, wie wichtig ihm auch die Bekämpfung von Rechtsextremismus ist. Er hat sich damals auch deutlich dagegen gewehrt, die zuständigen Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus zusammenzulegen. Das heißt aber nicht, dass wir am Ende wären in Sachen Aufklärung und Ermittlung.
Der von Ihnen so gelobte Herr Fromm ist aber erst seit 2000 Leiter des Verfassungsschutzes. Gab es nicht vorher, wenn schon keine rechtsgesinnte Tradition, dann doch zumindest eine Tradition des Wegschauens?
Wir werden sehen, ob es hier strukturelle Defizite in der Form der Ermittlungstätigkeiten gab. Der Rechtsextremismus hatte schlichtweg nicht die Aufmerksamkeit, die er hätte haben müssen. Herauszufinden woran das lag, ist Teil unseres Untersuchungsauftrages.
Der Eindruck drängt sich auf, dass der Verfassungsschutz nicht nur Fehler gemacht hat, sondern selbst der Fehler ist.
Eine Behörde, die sich gerade darum kümmert, verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu ermitteln, ist nach wie vor dringend notwendig. Gerade wir als FDP-Fraktion haben aber auch erhebliche Zweifel daran, ob das in den gegenwärtigen Strukturen auch gewährleistet ist. Wir machen uns sehr genau Gedanken darüber, welche strukturellen Änderungen vorgenommen werden sollten, damit solche Ermittlungspannen nicht wieder passieren.
Was heißt das konkret? Reformen fordern momentan alle – von Innenminister Friedrich bis hin zur Linkspartei.
Dass heißt, dass wir die Art und Weise der Zusammenarbeit innerhalb der Verfassungsschutzbehörden, zwischen Bund und Ländern, klären müssen. Wir müssen überlegen, ob im Hinblick auf die Zuständigkeiten noch gesetzliche Unklarheiten existieren. Es gilt zu klären, wie wir die Informationsbündelung und die Erkenntnisgewinnung deutlich verbessern können. Ob hier Ressortdenken innerhalb der jeweiligen Behörden aber auch im Austausch mit anderen Behörden dazu geführt hat, dass wichtige Erkenntnisse nicht zustande gekommen sind. Wir müssen vor allem sicherstellen, dass durch falsche Ressortegoismen und falsches Zuständigkeitsdenken Sicherheitslücken entstehen.
Dass heißt, den Verfassungsschutz an sich stellen Sie nicht in Frage?
Nein, ich halte seine Aufgaben grundsätzlich für erforderlich. Wir brauchen eine Institution die gegen verfassungsfeindliche Strömungen tätig werden kann.
Anders gefragt: Was müsste denn noch passieren, damit Sie den Verfassungsschutz als Institution in Frage stellen. Gibt es ein solches Szenario?
Ich glaube nicht, dass die Institution selbst in Frage gestellt werden kann. Einzelne Wortmeldungen hierzu haben bisher noch nicht dazu beigetragen, dass wir hier ein Umdenken bekommen. Das ändert nichts daran, dass wir auf jeden Fall einen frischen Wind brauchen.
Eine weitere Verfassungsschutzbehörde, der Militärische Abschirmdienst (MAD), hat ihnen Akten geliefert, die größtenteils geschwärzt waren. Warum verweigern sich die Verfassungsschutzorgane noch immer? Wünschen Sie sich im Falle des MAD ein Machtwort von Verteidigungsminister Thomas de Maizière?
In der Tat hatten wir den Eindruck, dass sich der MAD in der Vergangenheit nicht ausreichend eingebracht hat. Die bisherigen Lieferungen waren mehr als lückenhaft. Der Erkenntnisgewinn war gleich null. Mit Zufriedenheit stelle ich fest, dass jetzt klare Signale kommen hinsichtlich einer größeren Informationsbereitschaft. Bleibt abzuwarten, wie sich das tatsächlich entwickelt, ob der MAD bereit ist, mehr für die Aufklärung zu tun, sich künftig stärker und deutlicher kooperativ beteiligt. Wir haben beispielsweise Anhaltspunkte, dass der MAD bei der „Operation Rennsteig“ intensiv dabei war.
Eine solch stärkere Beteiligung bezieht auch den Verteidigungsminister mit ein?
Ich gehe davon aus, dass es im Interesse des Verteidigungsministeriums ist, sich hier zu beteiligen. Insofern werden wir sehen, ob der MAD die entsprechende Aufklärungsbereitschaft dann auch tatsächlich zeigt.
Im morgigen Untersuchungsausschuss wird der Aktenvernichter vorgeladen. Was erhoffen Sie sich davon?
Ich möchte wissen, welche Umstände dazu beigetragen haben, dass hier Akten vernichtet worden sind und auf welcher Basis das passiert ist. Ob es hier eine Verantwortlichkeit gab, die über den Referatsleiter hinaus existierte. Ich möchte wissen, ob die Akten rekonstruierbar sind und ob diese Akten in anderen Institutionen, die an der „Operation Rennsteig“ beteiligt waren, noch existent sind. Das heißt, haben wir tatsächlich schon alle Akten bekommen und was genau stand darin?
Herr Wolff, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Timo Stein
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.