Der Konservative 2005
Wo andere sich in abstrakten Diskursen um Wohl und Wehe einer Leitkultur zerzausen, weist einer den geraden Weg: Harald Schmidt kehrt ins Fernsehen zurück. Der Lotse geht an Bord.
Wir können auch ohne ihn. Aber wir wollen nicht. „Wir“, wir sind eine millionenstarke Minderheit im Alter von 30 bis 45 Jahren. Die meisten von uns können (ein bisschen) denken. Er ist Harald Schmidt. In unserer Bedürfniswelt steht dieser Name nicht etwa für Spaßgesellschaft, Lachkultur oder auch nur kluge Unterhaltung, sondern zunächst und vor allem für geistige Gesundheit. Schließlich war es niemand anderes als Harald Schmidt, der uns über Jahre durch den Zeichenmüll dieser Gesellschaft lotste und allabendlich unser Bedürfnis nach Weltdeutung stillte. Begeistert wuchsen wir mit ihm, folgten wir dem Prozess seiner Selbstvervollkommnung. Mit jedem Sendetag aber gewahrten wir klarer: Der Mann, an dessen Lippen wir hängen, ist ein Konservativer.
Diese Feststellung ist ebenso ironisch wie unabweisbar. Religiöse Grundprägung, beste bürgerliche Bildung, feiner Patriotismus und ausgeprägter Familiensinn, von welcher öffentlichen Gestalt wurden diese Festen konservativer Weltanschauung überzeugender verkörpert als von Harald Schmidt? Wo andere sich in abstrakten Diskursen um Wohl und Wehe einer Leitkultur zerzausen, werden wir uns auch in Zukunft von ihm, dem paradigmatischen Konservativen unserer Zeit, den Weg weisen lassen. Für welche Werte Harald Schmidts Programm konkret stand und steht, mag man fragen.
Erste Aufschlüsse gibt die desolate Lage seiner Rivalen, also zunächst die des politischen Kabaretts. Es hat sich bis heute nicht vom Untergang der DDR erholt. Stellvertretend für die Gesamtkrise der Altherrengattung erfuhr Dieter Hildebrandts Marotte des permanenten Verhedderns und Satzabbruches einen unfreiwilligen Funktionswandel. In den Achtzigern noch einleuchtende Form des Systemzweifels, wurde sie im Verlauf zum Sinnbild einer Desorientierung, die vor allem das eigene Rollenverständnis betraf. Harald Schmidt hielt sich von diesem linken Genre stets entfernt und wird gewiss nicht aufhören, dessen Relevanzverlust weiter zu beschleunigen.
Wertvolle Distanz gewann unser Held auch zu den Quatschköpfen der Comedy-Kultur samt spaßpolitischen Folgeerscheinungen. Zunächst selbst Trendsetter, verweigerte sich Schmidt schon bald dem direkten Pointenpopulismus und setzte von dort aus zur gewitzten Autoaggression an. Erst wurde das Fernsehen, schließlich das eigene Late-Night-Format fertig gemacht. Die Motivation ist klar. Ein konservativer Geist wie er hält beide für Verfallsursachen.
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