- Der heimliche Parteivorsitzende
Christopher Lauer ist der populärste und intern umstrittenste Politiker der Piratenpartei. Er hat Ambitionen auf Führungspositionen und da gehört er auch hin - wenn ihn die eigene Partei denn lässt. Porträt eines Zurückgehaltenen
Wenn er glaubt, dass er im Recht ist, wird er flapsig. Das stellt Christopher Lauer, der populärste und innerhalb seiner Partei umstrittenste Piraten-Politiker, regelmäßig unter Beweis. Bei einer Diskussion über den Schultrojaner steht er mit brav geschnittenen, strubbeligen Haaren in selbstsicherer Pose am Rednerpult des Berliner Abgeordnetenhauses. Mit hochironischem Tonfall richtet er sich an die CDU-Fraktion: „Wenn Google unsere Hausfassaden fotografiert, rufen Sie medienwirksam: Der Untergang des Abendlandes. Wie können die nur? Unsere Hausfassaden! – Aber wenn wir in unseren Schulen eine Software zur Überwachung von Lehrern und Schülern installieren, dann passt das wieder!“
[gallery:Die Piratenpartei. Ein Landgang auf Bewährung]
Lauer, der in Bonn aufwuchs und während der Schulzeit an einer Hochbegabtenförderung teilnahm, studierte zunächst Physik in Bonn, dann Kultur und Technik in Berlin und China. Heute ist er Abgeordneter der Berliner Piratenpartei. Hinzu kommt ein inoffizieller Nebenjob: Als einer der medial gefragtesten Piraten macht er spätestens seit einem Auftritt in Anne Wills Talkshow die effektivste Öffentlichkeitsarbeit für seine Partei. Und das, obwohl er – meist im leicht biederen Dozenten-Outfit unterwegs – mit seiner Art so gar nicht in das populäre Bild der jungen Partei zu passen scheint.
So sehen das auch einige Parteimitglieder. Lauer drängt an die Spitzenämter der Partei und verfolgt einen pragmatischen, realistischen Politikstil. Deshalb scheiden sich an ihm die parteiinternen Geister. Einige feiern ihn als medienwirksamen Parteiprofi mit der Kompetenz und dem Willen zu Spitzenämtern. Da wirkt es so, als wäre er der heimliche Parteivorsitzende. Bei den anderen stößt der 27-Jährige dafür immer wieder auf Abwehrreaktionen, sie beschimpfen ihn in Internet-Foren und -Blogs als demagogischen, arroganten Ehrgeizling.
Dass ihm wegen seiner Ambitionen Vorwürfe gemacht wurden, versteht Lauer nicht. „Aus denen habe ich nie ein Geheimnis gemacht, sie immer klar formuliert. In der Partei wird die Transparenz ja immer so hoch gehalten, mir das jetzt als Arroganz auszulegen, finde ich widersprüchlich“, sagt er ohne Bitterkeit in der Stimme. Auch auf die Vorwürfe seiner all zu pragmatischen Politik äußert er sich ruhig und differenziert: „Schon bevor ich im Parlament war, wurde ich häufig als ‚der Realo‘ bezeichnet.“, beginnt er und rückt seine Brille zurecht. „Wir Piraten müssen halt tatsächlich aufpassen, dass wir in Wahlkämpfen keine Ressentiments gegen die Politik mobilisieren, die uns dann nach der Wahl auf die Füße fallen.“
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Lauer eben doch ein typischer Pirat ist.
Lauer sitzt in seinem Abgeordnetenbüro, es ist Freitagabend. Gerade noch hatte er mit einer Forscherin über Facebook, Vorratsdatenspeicherung und Post Privacy geredet, in einer Stunde steht ein Telefoninterview auf dem Terminplaner. Auf dem Fensterbrett reihen sich gut fünfzehn leere Club-Mate-Flaschen. Nun nimmt er einen Schluck aus der sechzehnten, die halb voll auf seinem Schreibtisch steht.
Doch nicht nur die Vorliebe für das Kultgetränk der Piraten teilt Lauer mit den anderen Politikern seiner Partei. Trotz aller Streitigkeiten entspricht er in einem Punkt ganz klar dem klassischen Typus des Piratenpolitikers: Er vereint Nonkonformismus und Selbstbewusstsein. Dies nutzt er sehr geschickt, indem er sich und seine Partei über ihren Außenseiterstatus in Politik und Leben profiliert:
„Mit den Piraten haben die Nerds die politische Bühne betreten, diejenigen, die in der Schule nicht zu den Parties eingeladen worden sind, die nicht in der Mitte der Gesellschaft standen“, erklärt er dem Parlament voller Inbrunst in seiner Rede zu Wowereits Regierungserklärung. Ein spöttisch-mitleidiges „Oohh…“ von Regierungskoalition und Grünen erklingt. Lauer erwidert er mit einem gut zurechtgelegten Seitenhieb „Und Sie haben vorhin von Solidarität gesprochen und machen bei so was ‚Oh!‘! Sie sollten sich schämen!“
[video:C. Lauers Rede zu Wowereits Regierungserklärung]
Es ist der gelegentlich beleidigte Tonfall, mit dem Lauer den Eindruck eines Getriebenen und Ausgeschlossenen erweckt. Aber das ist ihm bewusst. Er spielt damit, um zu erfühlen, wie weit sich das Gegenüber auf ihn einlassen kann. Die älteren Parteien schaffen das kaum. Lauer führt aus, warum: „Die Piraten gemahnen ja insbesondere die etablierten Parteien und das ganze gutbürgerliche Milieu, dass es komplett darin versagt hat, eine ganze Generation von Menschen zu integrieren. Das ist natürlich unangenehm – jetzt haben sie Probleme, damit zurecht zu kommen. Wir sind Sand im Getriebe.“
Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Oppositionsarbeit der Piraten bisher erbrachte und was die Zukunft für Christopher Lauer bereit hält.
Genau darin, Sand im Getriebe zu sein, besteht das größte Potential der Piraten. Während die Bundespartei sich im Moment schlechte Öffentlichkeitsarbeit, wirre Personalwechsel und verpasste Chancen vorwerfen lassen muss, nutzt die Berliner Fraktion eben jenes Potential und zeigt damit zunehmende Professionalität. Mit ihrer Oppositionsarbeit hätten sie schon viel erreicht, sagt Lauer. Die Augen des redegewandten Politikers, der jüngst sein ADHS öffentlich machte, huschen stetig hin und her, immer wieder bekommt er SMS- und Twitter-Nachrichten, die sofort beantwortet werden wollen.
Häufig reiche es, die Themen öffentlich zu machen und Widersprüche aufzuzeigen, antwortet Lauer auf die Frage, wie eine Oppositionsfraktion bei der „Show“ des Politikalltags und der eingehaltenen Fraktionsdisziplin überhaupt Erfolge erringen könne. Für die Außenkommunikation hätten die Piraten einen riesigen Vorsprung gegenüber den etablierten Parteien: die Gegenöffentlichkeit des Internets. Diese nutzt Lauer, wie sich beispielsweise schnell an seinem Twitter-Account nachvollziehen lässt, auch für die parlamentarische Arbeit, indem er seine Leserschaft um schnelle Informationen oder das Mitverfassen eines Antrags bittet.
2012 hat der Pirat im Innenausschuss noch viel vor. Zum Beispiel will er klären, was für Informationen der Polizei zu der Brandanschlags-Serie auf die Berliner S-Bahn vorliegen, um zu prüfen, ob dort auch eine Funkzellenabfrage durchgeführt wurde. Wenn er dabei die Anfragen der Medien weiterhin so gut bedienen kann, werden ihn die Wähler in höheren Positionen sehen wollen. Da er so locker auf die interne Kritik reagiert, wird er wohl seine Ambitionen, innerhalb der Partei nach oben zu kommen, nicht so schnell aufgeben. Vielleicht wird dann aus dem heimlichen Parteivorsitzenden schon bald der offizielle.
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