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Der Besserhesse

Klarer Sieger des Ypsilanti-Debakels ist Hessens Ministerpräsident Roland Koch.Er wird die CDU in Neuwahlen führen und diese aller Voraussicht nach gewinnen. Und dennoch bleibt ein Makel, meint sein Biograf

Lesen Sie auch: Alexander Görlach: Farbenspiele 2009 Hajo Schumacher: Alle gegen eine Betrachtet man die Politik als großen Mythenzirkus, dann spielt Roland Koch eine Hauptrolle. Kaum ein Politiker hat so viele, so widersprüchliche Figuren der Sagenwelt durchlebt. Anfangs war er Wunderkind und Ödipus, dann Zauberlehrling, Bandenchef und Kronprinz, später Trickser und hammerharter Durchhalter. Nur strahlender Sieger war er nie. Jeder seiner Triumphe hatte einen Makel. So war es auch an diesem Novemberwochenende, als sich die hessische SPD derart zerstritt, dass das Anti-Koch-Bündnis von Sozialdemokraten, Grünen und Linkspartei zerbröselte, bevor es überhaupt zur geplanten Abwahl Kochs im Landtag kam. Der Ministerpräsident blieb im Amt. Aber wie? Nicht Koch hatte aus eigener Kraft gewonnen, sondern die gegnerische Front kläglich versagt. Mochte er sich verhalten freuen, durfte ihn sein ergebenes Team wieder mal für den Eisernen halten, an dem jeder Herausforderer zerschellt – brillant war die Nummer dennoch nicht. Dass er sein politisches Überleben eines Tages allein dem strategischen Ungeschick einer Sozialdemokratin verdanken würde, hätte er noch vor Jahresfrist für ein ehrabschneidendes Szenario gehalten. Gemessen an seinen eigenen Ansprüchen dürfte Koch diese Schicksalsabhängigkeit eher peinlich gewesen sein. Was ist vom Mythos des Bösewichts geblieben? Wenig. Der Koch-Hass der Gegner war nicht mal mehr stark genug, sie für das einstmals große Ziel zu einen: seinen Sturz. Das war mal ganz anders. Nie war die Definition von Erfolg so läppisch wie 2008: einfach nur Machterhalt. Bleibt er auch im Amt, geht er als Spitzenkandidat in Neuwahlen, gewinnt er womöglich sogar – egal, es geht bergab. Traditionell bedeutet die erste Legislaturperiode immer Aufstieg, die zweite den Höhepunkt der Macht, die dritte dagegen den Abstieg. Die Karrierekurve stieg vor zehn Jahren kurz und steil empor, seither weist sie konstant nach unten. Die Neuwahlen bedeuten Kochs vierten Wahlkampf, wahrscheinlich seinen letzten. Er müsste den Job zur Halbzeit an Volker Bouffier übergeben, spätestens 2011. Überdruss ereilt jeden langjährigen Chef. Aus dem Wunderknaben ist das ewige Talent geworden, wohlbekannt aus einem modernen Epos wie der Tour de France. Immer mal wieder gewinnt er dank seiner Begabung eine Etappe, mit taktischer Finesse, mit überraschenden Attacken oder weil der Gegner schwächelt. Aber im großen Rennen siegt er nie. Tonnen früherer Lorbeeren wiegen so schwer, dass er kaum von der Stelle kommt. Daran leidet er schwerer als der Durchschnitt. Denn das Scheitern an den eigenen hohen Erwartungen tut eben besonders weh. Koch ist gefangen in der Rolle des Hoffnungsträgers, der die großen Verheißungen schuldig geblieben ist. Inzwischen gealtert und angezählt, das Schicksal von fremden Mächten mehr bestimmt als vom eigenen Genius, krönt er immer noch Weinköniginnen oder eröffnet Bundesstraßenabschnitte: Wiesbaden statt Washington, Eschborn statt Elysée. Wenn Macht bedeutet, möglichst viele Handlungsoptionen zu besitzen, dann ist Koch ziemlich ohnmächtig. Andrea Ypsilanti hat ihm den Rang eines Ministerpräsidenten zweiter Klasse belassen, Angela Merkel entscheidet, ob er jemals sein Gefängnis Hessen verlassen darf. Der längst überfällige Wechsel nach Berlin ist ihm verbaut, solange die Kanzlerin ihrem geschätzten Feind nicht das Oneway-Ticket in die Hauptstadt spendiert. Es sind andere, die über seinen Lebensweg bestimmen – untrügliches Zeichen schleichender Machterosion, tragischer Lebensweg für jemanden, dessen Lebenslauf einst aufs Kanzleramt ausgerichtet war. Der Fluch des Wunderkindes lastete von Anfang an auf den hängenden Schultern des Juristensohnes. Voller Andacht erzählt man sich in Hessen bis heute die Geschichte vom kleinen Roland, der unter dem Wohnzimmertisch spielte, als die hohen Herren der Hessen-CDU, moderiert vom ausgeglichenen Karlheinz Koch, die Geschicke der Partei und des Landes besprachen. Dregger, Kanther und der Dreikäsehoch mittendrin. Roland war 14, als er ein paar Freunde mit Cola bestach, damit sie unter seiner Anleitung die Schüler-Union von Eschborn mit begründeten. Später dann übernahm er die Junge Union, vernetzte sich über Geheimbünde wie die hessische „Tankstellen-Connection“ und den sagenumwobenen „Andenpakt“. Keinen Bonn-Besuch ließ er verstreichen, ohne nicht bei Helmut Kohl vorbeigeschaut zu haben. Der Alte und sein Lieblingsenkel, das war keine öffentliche, dafür eine umso emotionalere Nähe, die der ewige Kanzler „eine ausgesprochen freundschaftliche Beziehung“ nannte. „Wir vertrauen uns sehr“, bestätigte Koch mit jenem unbeschreiblichen Grinsen, das Understatement ins Gegenteil verkehrt. In seiner letzten Amtszeit wurde der ewige Kanzler noch deutlicher. „Der Roland“, verriet Kohl Mitte der neunziger Jahre im engsten Kreis, „der steht in meiner Nachfolge als Parteivorsitz und Kanzlerkandidat.“ Koch hatte, jung und kraftstrotzend wie dereinst Kohl in Rheinland-Pfalz, gerade die Oppositionsführerschaft in Wiesbaden übernommen. Es gehört zu den Eigenheiten der hessischen CDU, dass Politik dort eine quasi religiöse Ebene besitzt. Entscheidungen sind selten nur von Vernunft geprägt, sondern immer auch von Endkampf-Pathos. Nirgendwo sonst in Deutschland, nicht mal in Bayern, sind die Lager derart verfeindet. Der gemeinsame Feind von links war es, der Kochs Jungunionisten-Bande zusammenschmiedete, die noch heute die Regierung dominiert. Nach Kochs Sieg 1998 wuchs eine eigenartige Stimmung, gemischt aus Selbstüberschätzung und Paranoia, aus Vernunft und Vernichtungsfantasien. Im Kampf gegen den politischen Gegner war fast jedes Mittel recht. Ausgerechnet der Vernunftmensch Koch ließ sich vom hessischen Furor immer wieder ergreifen. So blieb ihm eine Sozialisation als seriöser Sachpolitiker verwehrt. Jeder seiner Siege hatte Geruch. War es 1999 der Doppelpass, schwang 2003 das Spenden-Spektakel nach. Anfang 2008 folgte schließlich die unappetitliche Ausländer-Kampagne, die selbst den eigenen Reihen peinlich war. Zwar schwoll die Aura des harten Wahlkämpfers, aber auch der Ruf des eiskalten Karierristen, der immer seine hidden agenda hatte. Anstatt sich allerdings vom Image des ewigen Tricksers zu befreien, manövrierte Koch sich immer tiefer hinein. Egal, was er sagte, stets war er dem Verdacht der Hinterlist ausgesetzt. So war eine der ersten Theorien nach dem Ypsilanti-Chaos: Die vier Abweichler seien gekauft. Koch traut man das zu. Was Koch fehlte, war der Blick von außen. Jede Kritik wurde als Angriff betrachtet, der Star von seinem Stab am liebsten abgeschirmt. Man bestätigte Koch in fast allem, was er tat. Kritiklose Ergebenheit war Kochs größtes Problem. Seine Tankstellen-Connection, die früher das Land verändern wollte, schrumpfte zu einer Truppe bärbeißiger Provinzfürsten, die nur mehr an der Macht bleiben wollte. Die Welt änderte sich, die Rivalen wuchsen – aber die Hessen versicherten sich stur ihrer unvergleichlichen Großartigkeit. Das Verhältnis zu den altdeutschen Traditionsbataillonen der Hessen-CDU bekam er nach der Spendenaffäre dagegen nicht mehr repariert. Koch ist es nie gelungen, das Verhältnis zu Manfred Kanther zu ordnen, der mit militärischer Leidensbereitschaft alle Schuld auf sich genommen hatte. Es waren eben auch die Wertkonservativen, die zum Minus von zwölf Prozent beigetragen haben, die Koch bei der letzten Landtagswahl einfuhr. Die Chance dieser Niederlage hat er nicht begriffen. Hätte der Besserhesse staatsmännisch die Verantwortung übernommen und wäre zurückgetreten wie das bayerische Duo Beckstein/Huber, er hätte gleichsam eine rituelle Reinigung vollzogen und selbst seinen Gegnern Respekt abgenötigt. So geht die Salami-Demontage weiter. Kochs relativer Bedeutungsverlust ist präzise am Lebenslauf von Peer Steinbrück abzulesen. Vor fünf Jahren vereinbarten die beiden das Rasenmäher-Paket, eine Liste mit Sparvorschlägen für Deutschland. Koch war der mächtige Hesse, Steinbrück regierte NRW, Augenhöhe also. Und heute? Ist Koch angeschossener Ministerpräsident, Steinbrück dagegen der stoische Kapitän im Sturm der Weltfinanzen. Früher spielten sie an der Spitze der Bundesliga, inzwischen kickt der eine in der Champions League, der andere gegen den Abstieg. Denn Christian Wulff und Jürgen Rüttgers haben Koch ebenfalls über- oder eingeholt. Und jetzt kommt auch noch Horst Seehofer. Fast alle großen politischen Biografien haben einen Bruch gemeinsam, das tiefe Tal oder zumindest eine ordentliche Delle, die Phase der Enttäuschung, der Besinnung, aber auch von gestärkter Rückkehr: Kohl musste Strauß den Vortritt lassen, Merkel Stoiber und Schröder Scharping. Auch Steinbrück schwebte eine Weile. Alle schienen angeschlagen, bezogen aber neue Kraft aus der Pause und schafften das Comeback. Koch hat nie loslassen wollen. Stets siegte kleinmütige Verlustangst. Er war vom falschen Zauber der Geradlinigkeit umfangen, vom Ideal des linearen Aufstiegs und zugleich offenbar auch von einer Urangst, für immer von der Bühne zu verschwinden, würde er einmal nur die Macht aus der Hand geben. Trugschluss. Durchhalten an sich ist allenfalls beim Ausdauersport eine Leistung. In Kochs Fall steht zielloses Klammern dagegen eher für Autoritätsverlust, schon, weil es so offenkundig ist. Es mutet schon putzig an, wie der begeisterte Raufbold so plötzlich Harmonie mit Angela Merkel zelebriert. Der Kuschelkater aus Eschborn übt sich im großkoalitionären Schalmeienspiel. Plötzlich sind alle aggressiven Eigenarten unter Kontrolle, auf die Koch bislang stolz gewesen war. Das Kalkül dahinter ist klar: sich als ergebener Teamspieler für Berlin empfehlen. Keine Frage: Roland Koch hat mit dem neuerlichen politischen Überleben seinen eigenen Mythos geschaffen: Er ist der Unkaputtbare. So wie der VfL Bochum, der sich für unabsteigbar hielt. Meister ist der VfL trotzdem nie geworden. So wird es auch Koch ergehen. Er behält einen Job, aber verspielt seine Zukunft. Wiesbaden, womöglich lebenslänglich. Wunderkind ade. Foto: picture-alliance

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