- Quotengeil und unpolitisch?
Die Medienkolumne: Zwei Studien der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung haben sich das politische Angebot der Sender angeschaut. Ihr Urteil: verheerend
Sie schielen nur auf die Quote, prassen bei der Unterhaltung, knausern bei der Information: Immer wieder müssen sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten Vorwürfe über die Qualität ihres Programms anhören, zuletzt auch im Cicero. Wie politisch ist das Programm? Und erfüllen die Sender damit noch ihren öffentlichen Auftrag?
Dass die Verantwortlichen die Debatte leid sind, kann man an einer Stellungnahme des Westdeutschen Rundfunks in dieser Woche ablesen: Der Informationsanteil des eigenen Programms liege bei „mehr als 70 Prozent“. Berücksichtige man das gesamte Angebot des WDR Fernsehens im Jahr 2014, fielen sogar 76 Prozent des täglichen Angebots auf Informationssendungen.
Politikanteil im MDR: nur 14 Prozent
Der WDR reagierte damit auf das Arbeitspapier „Information oder Unterhaltung? – Eine Programmanalyse von WDR und MDR“ der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung. Darin präsentiert ein Team um den Medienwissenschaftler Joachim Trebbe ganz andere Zahlen: Der Informationsanteil beim WDR liege nur bei rund 53 Prozent, beim MDR sogar nur bei 38 Prozent. Ziehe man Service- und Ratgebersendungen ab und betrachte nur „politische“ und „gesellschaftlich kontroverse Themen“, dann schmelze der Anteil sogar auf 16 (WDR) beziehungsweise 14 Prozent (MDR).
Trebbe moniert das Übermaß an Boulevard: Die „Human-Touch-Berichterstattung“ habe „in den dritten Programmen inzwischen ein ähnliches Ausmaß wie bei der privaten Konkurrenz erreicht“. Der MDR sei der unterhaltungsorientierteste der dritten Sender.
Streichelzoo, Lokalsport und Volksmusik
Fakt ist aber auch: Der MDR ist der erfolgreichste der dritten Sender. Er erreicht in seinem Sendegebiet regelmäßig die höchsten Quoten – neun Prozent Marktanteil im Jahr 2014, das waren durchschnittlich zwei Prozentpunkte mehr als alle anderen ARD-Sender in ihrem Sendegebiet einsammelten.
Streichelzoo, Lokalsport und Volksmusikformate sind aus Sicht der Sender auch „Informationen“. Und sie kommen bei den Menschen an. Das übersehen die Wissenschaftler, die in ihrer 62-seitigen Studie nicht einmal das Wort „Publikum“ erwähnen. ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke brachte es einmal auf den Punkt, als er ein Gespräch mit Altenheimbewohnern schilderte. „Nehmt uns nicht auch noch die Hitparaden weg“, sollen die Betagten sinngemäß gefleht haben, „wir haben doch sonst nichts mehr!“
Der Streit um Sendeminuten ist eben auch ein Verteilungskampf – zwischen Alt und Jung, unten und oben, Daily-Soap-Machern und Dokumentarfilmern.
Was aber – und das fragte sich der Medienwissenschaftler und ehemalige Geschäftsführer des Grimme-Instituts, Bernd Gäbler, – ist mit jenem Teilprogramm, das sich ausschließlich an die Politikinteressierten richtet? Wie „politisch“ sind die Politikmagazine?
Die gesellschaftliche Relevanz fehlt
Ebenfalls für die Otto-Brenner-Stiftung analysierte er alle Ausgaben von „Report Mainz“, „Fakt“, „Kontraste“, „Report München“, „Monitor“, „Panorama“ (alle ARD), „Frontal 21“ (ZDF) und „Spiegel-TV“ (RTL), die zwischen Mitte September und Dezember 2014 ausgestrahlt wurden. Sein Anfang Juli veröffentlichtes Fazit liest sich verheerend: Die Magazine seien unpolitisch, ungenügend recherchiert und kämen häufig zu spät in der öffentlichen Debatte. Immer wieder würden dramatische Einzelschicksale präsentiert, die zwar Empörung garantierten, denen jedoch die gesellschaftliche Relevanz fehle.
In dem untersuchten Vierteljahr sei es in nur drei Beiträgen um Parteipolitik gegangen. Kanzlerin Angela Merkel, der Rücktritt von Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit oder der NSU-Prozess seien dagegen gar kein Thema gewesen. Zur „NSA-Spähaffäre“ und dem „Problem der Digitalisierung“ gab es der Studie zufolge nur je einen Beitrag. In der Kategorie „Gesundheit“ wurden dagegen 20 Beiträge ausgestrahlt – aber nur ein einziger zur Ebola-Epidemie. „[I]m Ernst wird niemand behaupten, dass diese Schwerpunktsetzung einen realistischen Blick auf die gegenwärtige Gesellschaft und deren zentrale Probleme ausdrückt“, schreibt Gäbler.
Sein Arbeitspapier – und insbesondere der Vorschlag, „Fakt“ und „Kontraste“ abzuschaffen und insgesamt nur noch zwei Magazine zu senden – stießen auf Kritik bei den Programmverantwortlichen. „Im Fall der politischen Magazine ist weniger eben nicht mehr, denn die unterschiedlichen Handschriften der Sendungen sind keine Schwäche, sondern eine Stärke der Magazin-Flotte der ARD“, erklärte RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein.
ARD-Chefredakteur erklärt die Debatte für beendet
Die „Panorama“-Redaktion kritisierte Gäblers Methodik scharf. Immer wieder habe er gesundheitspolitische Beiträge unter „Gesundheit“ statt unter „Politik“ eingeordnet. Viele Ergebnisse seien „weniger belastbare Fakten als vielmehr Gäblers Meinungen“. Um zu beweisen, dass „Panorama“ regelmäßig über die NSU- und die NSA-Affäre, den Ukraine-Konflikt sowie die Digitalisierung berichtet habe, stellte die Redaktion entsprechende Beiträge auf der Webseite zusammen.
Und ARD-Chefredakteur Thomas Baumann erklärte: „Die jahrelange ARD-interne Debatte ist beendet.“ Es ist ein Satz, der an den früheren Kanzleramtschef Ronald Pofalla erinnert: Der erklärte auf dem Höhepunkt der NSA-Affäre im August 2013, alle Vorwürfe seien „vom Tisch“.
Die Berichterstattung über die umstrittenen Studien der Otto-Brenner-Stiftung mag beendet sein: ja. Doch die Debatte über die Qualität der Magazine, über das journalistische Angebot von ARD und ZDF, ist es nicht. Sie darf es auch nicht sein.
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