- Hartmut Mehdorn, der unverstandene Künstler
Der neue Großstadtflughafen soll mit „kleinem Betrieb“ eröffnet werden. So kündigte es Hartmut Mehdorn an. Das zeigt: Der BER ist längst ein Fall für Lyriker und Dadaisten
Wer bisher dachte, Hartmut Mehdorn sei ein Macher und Manager, ein Alphabulle mit der Lizenz zum Durchgreifen, der weiß es nun besser. Hartmut Mehdorn tut, was sonst keiner tun will, auch wenn niemand es ihm dankt. Hartmut Mehdorn lebt im Reich der Träume und des Gesangs, auch wenn ihn niemand dorthin begleiten will. Er stellt die Idee über die Realität und das Ersehnte über das Erlebte. Mit einem Wort: Hartmut Mehdorn ist ein Künstler durch und durch – und unverstanden obendrein.
Den letzten Beweis lieferte er jetzt: Der Berliner Pannenflughafen BER soll im Frühling kommenden Jahres eröffnet werden, jedoch „mit kleinem Betrieb“. Ein Flugzeug hier, ein Flugzeug da und dann und wann ein Mensch. Von höchstens 1500 Passagieren am Tag ist die Rede, maximal zehn Flügen. Ansonsten soll die leere Fläche beeindrucken, der bekanntermaßen vorzügliche brandenburgische Sand. Der BER lädt ein zu einem ganz neuen Erlebnis, sympathisch und kompetent: zur Meditation mit Tragflächen.
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Künstler, der er ist, hat Flughafen-Chef Mehdorn keine Scheu vor Dadaismen. Dass ein milliardenteurer Flughafen nach Jahren des Bauens und Modelns sensibel erprobt sein will, als sei er ein Füllen auf zugiger Au – Mehdorn verkündet es mit fester Stimme. Dass „personelle Abläufe“ getestet werden können, wenn da kaum Personen sein werden – Mehdorn weiß es. Dass Mitarbeiter scheu sind wie Rehe, weshalb man ihnen zur „mentalen“ Einstellung auf den neuen Flughafen nur Bonsaibedingungen zumuten kann – Mehdorn spricht es aus. Vermutlich trank er weißen Tee und dachte dabei an den berühmten Haiku des Hasegawa Kai: „Sommerfinsternis / als ginge ich /mit einem Kranich im Arm.“
Mehr als einmal ließ der Künstler in seine Seele blicken. Vor über zehn Jahren etwa war es, da überzeugte Hartmut Mehdorn schon als bildstarker Lyriker. Im trüben Brotberuf eines Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG ließ er es sich nicht nehmen, im Lande Schillers und Uhlands die Musen anzurufen. Als die neue Trassenplanung bevorstand und Mannheim, das schon Goethe trefflich gepriesen hatte, aus der Verbindung Köln-Stuttgart heraus operiert werden sollte, beschied er das hartleibige Volk: Die Bahn könne „nicht jede Milchkanne mitnehmen.“
Herrlich. Da stand es gleich vor Augen, das Bild des Ländles als eines Paradieses, darinnen Milch und Honig fließen und freundliche Züge lustig ihre Bahn ziehen. Ein Schelm, wer da nicht mitsummen wollte. Wird Industrie nicht überschätzt? Ist nicht die Milch in ihrer Kanne der Treibstoff eines jeden Miteinanders? Kann es nicht ein Segen sein, wenn die Kanne ruhig und proper steht im heiteren Mannheim, ohne dass ein Hochgeschwindigkeitszug sie stört? Sauer wird sie nicht, Butter kann sie werden, ganz ohne ICE und IC.
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Leider aber hat nicht jeder Künstler eine so weite Seele. Meinhard von Gerkan, Architekt des BER, schreibt in seinem Buch „Black Box BER“ grimmig: Die Bauherren des BER kennten „kein Konzept, nur unstillbares Verlangen. Die 487 Änderungen und Anordnungen sprechen jedenfalls unmissverständlich die Sprache des Wunsches.“ Zauberkünstler hätte man sein müssen, um alle Wünsche erfüllen zu können. Die Fluggastzahlen etwa „wurden entweder gar nicht ermittelt oder verschwiegen, obwohl jeder weiß, dass jemand mit Schuhgröße 38 selbst mit Kneifzangen und Vorschlaghammer nicht in Schuhgröße 30 zu zwängen ist.“ Auch schwarz, ohne Genehmigung, sei gebaut worden. Alles in allem hätten die Bauherren eine „Mogelpackung mit eingebauter Selbstüberschätzung“ vorgelegt. Seit Mai 2012 ruhten nun „sämtliche Arbeiten“ auf der Baustelle.
Den wahren Künstler ficht das nicht an. Er sieht alles Große in der Stille und freut sich über eine rechtschaffene Milchkanne genauso wie über einen Kranich aus Stahl oder freies Gelände im kleinen Betrieb. Mehdorn wird’s schon richten.
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