- „Das Wort Integration ist zum Trauma geworden“
In den Integrationsdebatten, die regelmäßig die deutsche Öffentlichkeit erregen, kommen junge Muslime in der Regel nicht zu Wort. Cicero Online hat mit Fatma Camur, Gründerin des muslimischen Jugendmagazins Cube-Mag, über ihre Arbeit und das Trauma Integration gesprochen.
Frau Camur, auf der Homepage von Cube-Mag erklären Sie
muslimische Feste für Nicht-Muslime, aber auch christliche Feste
für Muslime. Bemühen Sie sich damit um Integration?
Als ich den Text über Weihnachten geschrieben habe, habe ich sehr
viel gelernt. Viele Leser wussten vorher auch nicht unbedingt, was
es mit Weihnachten auf sich hat. Wir schaffen mit solchen Artikeln
einen Austausch, der verbindet. Von Integration würde ich in diesem
Zusammenhang aber nicht sprechen, weil dieses Wort zu wenig für das
gegenseitige Verständnis steht. Wie bei vielen anderen Muslimen ist
auch für mich das Wort Integration zu einem Trauma geworden.
Was
ärgert Sie an dem Wort Integration?
Ich bin zwar in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber durch
meine Eltern, die als Jugendliche nach Deutschland kamen, habe ich
einen türkischen Hintergrund. Wenn man mich mit der Frage nach
Integration konfrontiert, ist das vielleicht noch verständlich.
Aber ich habe viele Freunde, die einen deutschen Hintergrund haben,
zum Beispiel einen deutschen Elternteil und einen arabischen. Sie
selbst sind Muslime und werden deshalb gefragt, ob sie gut
integriert sind. Dabei ist das doch selbstverständlich: Wir sind
hier geboren, hier zur Schule gegangen.
Ist Deutschland Ihre
Heimat?
Mit meinen 22 Jahren weiß ich heute nicht mehr genau, wo meine
Heimat ist. Vor einigen Jahren war mir klar, dass es Deutschland
ist. Schon bei der Überquerung einer Straße in der Türkei habe ich
Probleme, weil die Autos nicht bei Rot stehen bleiben. Ich bin also
eigentlich klar hier beheimatet. Aber durch die ganzen Diskussionen
der letzten Jahre stelle ich mir mittlerweile selbst die Frage, ob
ich hier jemals als Einheimische angenommen und akzeptiert
werde.
Was glauben Sie, womit die Probleme von Muslimen in
Deutschland, sich zu integrieren, verbunden sind?
Vor allem Sprache ist ein wichtiger Schlüssel zur Integration. Die
ältere Generation hat da viel versäumt. Ich weiß nicht, ob es die
Schuld der Familien war. Oder ob es an der Denkweise der Leute lag,
die ursprünglich ja zurück wollten, wenn sie ausreichend Geld
verdient haben und sich deswegen überhaupt nicht um die Sprache
gekümmert haben. Das finde ich absolut schade. Die meisten Muslime
tun sich schwer damit, selbst aktiv zu werden. Wenn man die Sprache
lernt und sich ein wenig eingliedert, dann reicht das. Man sollte
dafür aber nicht seine eigene Meinung oder Kultur aufgeben.
Lesen Sie weiter über den Generalverdacht auf der Straße...
Viele junge Muslime erzählen auf der Cube-Mag-Homepage
von Verdächtigungen am Flughafen, Vorurteilen bei
Vorstellungsgesprächen oder kritischen Blicken auf der Straße.
Kennen Sie das auch, obwohl Sie gar keine Migrantin sind? Wie fühlt
man sich, wenn man unter diesem „Generalverdacht“
steht?
Richtig, ich bin keine Migrantin. Aber ich werde trotzdem so
behandelt: Weil meine Eltern Migranten sind und ich so aussehe wie
sie, bin ich oberflächlich gesehen auch eine. Diese Diskriminierung
gibt es nicht nur auf der Straße, sondern auch im Berufsleben.
Viele haben einen Abschluss mit Bestnote und bekommen dennoch
jahrelang keinen Arbeitsplatz. Das demotiviert. Sogar die Muslime,
die sich wirklich engagieren und partizipieren wollen, werden durch
die Meinungsmache gegen den Islam langsam traurig und auch
aggressiv. Seit zwei Jahren nehme ich in meiner Umgebung verstärkt
wahr, dass viele Migranten deshalb in ihre Herkunftsländer
zurückgehen wollen. Aber sie kehren nicht zurück, sondern wandern
aus.
Die Deutschen vergraulen also Migranten, oder sogar
muslimische Deutsche, mit ihren Vorurteilen? Was muss sich Ihrer
Meinung nach in der deutschen Gesellschaft ändern, um Integration
und Akzeptanz anderer Lebenskulturen zu verbessern?
Zunächst muss man verstehen, dass Muslime ein Teil dieser
Gesellschaft sind. Wenn man eine Frau mit Kopftuch sieht, sollte
man sie nicht sofort als Putzfrau kategorisieren. Eine Freundin von
mir ist Medizinstudentin und macht ein Praktikum im Krankenhaus.
Sie wird dort nicht als Teil des Personals wahrgenommen, das für
die medizinische Betreuung zuständig ist.
Muslimische Jugendliche, die ja Teil der Zukunft Deutschlands sind, brauchen mehr Vertrauen und mehr Anerkennung. Dabei bestehen auf beiden Seiten noch Defizite: Auch Migranten und Migrantenkinder könnten sich mehr darum kümmern, dass ein Austausch stattfindet. Ich leugne nicht, dass ich die Probleme sehe: In der Straßenbahn schäme ich mich auch manchmal, weil ich das Verhalten einiger „Landsleute“ nicht ertragen kann.
Mit vielen dieser Fragen setzen Sie sich auch in Ihrem
Magazin auseinander. Ursprünglich hieß es „The Next Muslim
Generation“, seit einer Weile heißt es nun schon „Cube Mag“. Wie
kam es zu dieser Titeländerung und was steckt
dahinter?
Der alte Titel war viel zu speziell – Menschen, die keine Muslime
sind, hat das nicht angesprochen. Wir wollten aber, dass uns auch
Nicht-Muslime lesen. Deshalb haben wir uns einen abstrakteren Namen
gesucht. „Cube“ könnte dabei für die Kaaba (Anm. d. Red:
quaderförmiges Gebäude und zentrales Heiligtum des Islam in
Saudi-Arabien) stehen – also nur noch ein diskreter Hinweis auf den
Islam.
Die Unterzeile des Titels ist geblieben: „Jetzt sprechen
wir!“ – worauf wollen Sie damit anspielen?
Das Problem ist, dass Muslime in den Medien immer als Objekte
dargestellt werden. Das frustriert junge Muslime, sie sind
unzufrieden. Aber viele sind dabei auch sehr passiv und wenig
konstruktiv. Es wird hauptsächlich gemeckert. Wenn andere uns in
eine Schublade stecken wollen, müssen wir dem entgegenwirken. Wir
wollen nicht nur reagieren, sondern agieren.
Lesen Sie weiter über Diskussionen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft...
Wie ist das Magazin inhaltlich
ausgerichtet?
Wir versuchen, das Heft so ausgewogen wie möglich zu gestalten: In
der letzten Ausgabe ging es zum Beispiel um Tabu-Themen in der
muslimischen Gesellschaft, also Sexualität oder unterschiedliche
Religionsvorstellungen innerhalb einer Familie. Eher weltpolitisch
war die Ausgabe davor über den arabischen Frühling. Wir gucken aber
auch mal über den Tellerrand und berichten beispielsweise über eine
Freundschaft zwischen einer Muslima und einem Juden.
Auf Ihrer Website werden auch Diskussionen geführt, die
an vielen Deutschen vorbeigehen – z.B. ob die Khutba, also die
Predigt beim Freitagsgebet in der Moschee, wie meistens
üblich auf Türkisch oder Arabisch, oder besser auf Deutsch gehalten
werden sollte. Finden Diskussionen wie diese also durchaus statt,
werden aber zumeist von der Öffentlichkeit nicht
wahrgenommen?
Ja, natürlich. Viele Themen gelangen gar nicht erst in die
Öffentlichkeit. Dort muss man sich eher mit Themen wie
Diskriminierung rumschlagen. Dinge, die in der muslimischen
Gemeinde diskutiert werden, wie die Khutba auf deutsch, finde ich
besonders wichtig. Weil es nun mal nicht nur arabische, türkische,
bosnische Muslime gibt, sondern auch deutsche. Die Khutba auf
deutsch würde die Integration weiter fördern, weil man so mit der
deutschen Sprache den Islam erklären kann.
Gibt es noch ein weiteres ähnliches Thema, dass in der
muslimischen Gesellschaft anders diskutiert wird als von der
Öffentlichkeit wahrgenommen?
Ja, zum Beispiel das Kopftuch. Alice Schwarzer hat mal behauptet,
Mädchen würden dafür bezahlt, dass sie das Kopftuch tragen – ich
weiß nicht, woher sie das hat. Das ist natürlich nicht so, fast
alle tragen das Kopftuch bewusst und freiwillig. Bei uns geht es um
andere Dinge: Abgesehen von dem theologischen Hintergrund gibt es
im Augenblick eine richtige Modewelle. Das Leben unter dem
Kopftuch ist gar nicht so grau, wie man es sich vorstellt. Viele
Mädchen haben 80-90 Kopftücher und muss jeden Morgen überlegen,
welches Tuch zu welcher Kleidung passt. Unsere „Probleme“ sind
nahezu identisch mit denen der Frauen, die kein Kopftuch tragen.
Auch uns geht es darum, Lebensart auszudrücken.
Vielen Dank für das Gespräch!
Fatma Camur ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Duisburg-Essen Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften. Nebenbei ist sie in der Islamischen Studierenden Vereinigung tätig und schreibt für Cube-Mag, das sie mit gegründet hat. Das Magazin erscheint zwei Mal im Jahr und hat eine Auflage von 2.500 Exemplaren.
Das Interview führte Karoline Kuhla
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