- „Das ist das Ende der Geisteswissenschaft“
Wenn korrektes Zitieren zum einzigen Kriterium für eine wissenschaftliche Arbeit wird, haben wir ein Problem, meint Plagiatsforscher Philipp Theisohn. Annette Schavans Arbeit bewege sich in einer Grauzone
Sie unterstellen den Politikern, die Plagiatsvorwürfen
ausgesetzt sind, sie hätten sich für die eigenen Doktorarbeiten zu
wenig interessiert. Wie kommen Sie darauf?
Das trifft nicht nur auf Politiker zu. Es gibt in einigen Fächern
eine Vielzahl von Promotionen, die nicht in die Wissenschaft
führen, sondern nur gemacht werden, um später auf anderen Wegen von
der Reputation zu profitieren. Es geht dann tatsächlich nur noch um
den Titel und das damit verbundene Prestige. Wenn man nur ein
oberflächliches Interesse am Gegenstand hat, kann es leicht dazu
kommen, dass man sich mit der Materie auch nur soweit wie nötig
auseinandersetzt. Deutsche Politiker, die promovieren, haben doch
ein grundsätzliches Problem: Auf der einen Seite müssen sie sich in
ihrer Partei profilieren, regional präsent sein und Einsatz zeigen,
auf der anderen Seite verlangt ihnen die Wissenschaft viel ab,
nicht zuletzt auch ein gehöriges Maß an Mobilität, wenn sie es gut
machen wollen. Es handelt sich schlichtweg um zwei verschiedene
Lebensentwürfe, die nur sehr schwer miteinander kombiniert werden
können. Dementsprechend sollte es niemanden wundern, dass die
Arbeiten von „Karrieredoktoren“ dann letztlich auch so aussehen
können und so zustande kommen wie die von Frau Koch-Mehrin oder
Herrn zu Guttenberg.
Trifft das
auch auf Frau Schavan zu?
Ich würde Frau Schavan nicht zur Gruppe der Karrieredoktoren
zählen.
Hat sich die Bildungsministerin denn zu wenig mit ihrem
Promotionsthema „Person und Gewissen“
auseinandergesetzt?
Wie gesagt, Frau Schavan ist nicht mit den bisher diskutierten
Fällen vergleichbar. Sie hat nicht, während sie schon
Parlamentarierin war, promoviert. Es wäre durchaus noch im Bereich
des Möglichen gewesen, dass sie in die Wissenschaft geht. Auch wenn
ihre Arbeit nach heutigen Maßstäben zweifellos grundlegende
Schwächen aufweist – unabhängig von der Plagiatsdebatte.
Einer der Hauptvorwürfe gegen Frau Schavan lautet, sie
habe Freud nicht im Original gelesen und Überlegungen aus
Sekundärliteratur als eigene ausgegeben. Sollte sie ihren Job
verlieren, nur weil sie Freud offenbar zu wenig kennt?
Als Geisteswissenschaftler kann ich ihr vorwerfen, dass man Freud
nicht primär rezipiert. Wenn ich gemein sein wollte, könnte ich
auch sagen: Sie war als Geisteswissenschaftlerin – zumindest zum
Zeitpunkt der Dissertation – nicht satisfaktionsfähig. Das
universitätsrechtliche Problem bei dieser Arbeit ist jedoch ein
anderes: Sie hat vorgegeben, Freud rezipiert zu haben.
Sie hat die Nutzung von Sekundärliteratur nicht
kenntlich gemacht. Klarer Fall – ein Plagiat. Oder?
Es ist immer die Rede von „eindeutigen Plagiaten“. Plagiate sind
nie eindeutig. Denn es handelt sich viel mehr um ein Narrativ: Der
Autor eines Textes hat einem anderen Text absichtlich eine Passage
ohne Kenntlichmachung entnommen. Das Problem ist das Nachweisen
dieser Absicht. Sogar bei Guttenberg, bei dem das Plagiieren
deutlich eindeutiger erscheint, ist es eigentlich eine Geschichte,
die wir erzählen. Während die Öffentlichkeit davon spricht, dass er
sich im Internet bedient hat, sagt er einfach, es sei ihm
„unterlaufen“, ein Versehen sozusagen. Beweisen kann man weder das
eine noch das andere. Es gibt nur glaubhafte Erzählungen und
weniger glaubhafte.
Herr Professor Rohrbacher schreibt, dass Frau Schavan an
einigen Stellen durchaus korrekt zitieren kann und es an den
strittigen Stellen nicht tut. Daraus leitet er eine bewusste
Täuschungsabsicht ab…
Das ist eine seltsame Umkehrargumentation, die eigentlich nicht
ausreicht. Aber die Universität muss zu einem Urteil kommen. Das
heißt: Wenn ich der Meinung bin, dass man den Titel aberkennen
muss, dann kann ich das nur mit der schwerwiegendsten aller
Annahmen begründen, Spielraum für Relativierungen bleibt da wenig,
auch wenn es derer bedürfte. Der Promotionsausschuss muss also eine
Entscheidung treffen, die ich nicht gerne übernehmen möchte.
Allerdings halte ich die gesamte Herangehensweise ans Thema für
hochproblematisch. Man muss den Entstehungskontext solch einer
Arbeit viel stärker miteinbeziehen und die Doktorarbeit auch in
ihrer inhaltlichen Konstitution beurteilen.
Sie haben die Arbeit gelesen. Was meinen
Sie?
Es handelt sich um eine Dissertation, die von einer 23-jährigen
Frau Ende der 1970er Jahre verfasst wurde. Wenn man ehrlich ist,
dann wird man einräumen müssen, dass ein so extrem und
interdisziplinär anspruchsvolles Thema wie das Gewissen einer
gewissen intellektuellen Reife bedarf, die man von einer so jungen
Promovendin, die zudem noch keinen anderen Abschluss vorzuweisen
hat, nicht erwarten kann. Gäbe es die grundständige Promotion heute
noch, dann wäre diese Arbeit sicherlich ein gutes Argument für ihre
Abschaffung. Ein Großteil des Problems liegt da sicher auch in der
damaligen Organisation des Promotionsstudiums und nicht zuletzt im
völlig überdimensionierten Zuschnitt der Doktorarbeit. Aus der
Überforderung resultiert die Unsicherheit im Schreiben, aus der
Unsicherheit das stete Entlanghangeln an der Sekundärliteratur. Auf
sicherem Terrain fühlt man sich dann nur noch, wenn man andere
Texte paraphrasiert. Und dann hört man irgendwann damit auf, sich
die Primärtexte anzuschauen und selbst Thesen zu formulieren und
bleibt gleich ganz bei der Paraphrase – und da hört dann die
geistige Arbeit auf und es wird unredlich.
Seite 2: Das eigentliche Problem ist, dass das Gutachten öffentlich wurde
Ist das Paraphrasieren also das Problem?
Es ist ein Problem, aber ein unauflösbares Problem. Denn es ist ja
grundsätzlich notwendig, dass Geisteswissenschaftler paraphrasieren
dürfen, ansonsten ist die Lesbarkeit von Arbeiten grundsätzlich
nicht mehr gegeben. Die Schwierigkeit liegt in der Unterscheidung
dessen, was in einer Paraphrase Information und was Interpretation
ist. Die Übernahme von Informationen aus anderen Texten wird
niemand beanstanden, solange ich sie geprüft habe. Hat die
Information aber individuelles Gepräge, dann ist es eine
Interpretation und die darf ich nicht einfach ohne Angabe zu meinem
eigenen Wissensstand erklären. Auch diese Unterscheidung ist aber
nicht immer objektiv zu leisten – denn in einem Gebiet, in dem ich
mich etwa nicht gut auskenne – wie Frau Schavans Arbeit auf dem
Gebiet der Psychoanalyse –, erscheinen mir viele Dinge, die ein
Kenner etwa als Perspektiven einer bestimmten Denkschule erkennt,
mitunter als Sachinformationen. Man kann es sich da also nicht ganz
so einfach machen. Sobald allerdings die Rede davon ist, dass es
sich um eine leitende Täuschungsabsicht handelt, habe ich die
Möglichkeit zur Differenzierung nicht mehr. Hat sie das nun mit
Vorsatz gemacht oder ist der falsche Gebrauch der Paraphrase ein
Problem der Wissenschaftskultur, in der sie gelebt hat? Ich glaube,
man bewegt sich da mitunter in Grauzonen, ein Pauschalurteil fiele
mir da schwer.
Geht die Uni Düsseldorf zu hart vor?
Es ist auf jeden Fall eine sehr deutliche Einschätzung, die
Professor Rohrbacher getroffen hat. Das eigentliche Problem aber
ist, dass das Gutachten jetzt öffentlich wurde. Frau Schavan und
die Universität hätten das unter Geheimhaltung klären und am Ende
bekannt geben sollen.
In Ihrem Essay „Literarisches Eigentum“ beschreiben Sie,
dass die Plagiatsdebatten einen Einfluss auf die Wissenschaft
selbst haben.
Diese Debatten vermitteln der Öffentlichkeit den Eindruck, es ginge
in den textzentrierten Wissenschaften nur noch darum, welches
sprachliche Kostüm einer Arbeit gegeben wird, damit sie als korrekt
erscheint und bei der Prüfung durchgeht. Das heißt, die
wissenschaftliche Leistungsfähigkeit wird allein danach bemessen,
ob man das richtige Kleid anhat. Tausche ich die Wortkombinationen,
über die Frau Schavans Arbeit der Plagiatssoftware ins Netz ging,
durch andere aus, ist wieder alles in Ordnung. Was hat sich dann an
der Arbeit substantiell verändert? Gar nichts. Es ist das Ende der
Geisteswissenschaft, wenn für ihre Außenwahrnehmung nur noch
entscheidend ist, ob richtig paraphrasiert wurde. So wird
Wissenschaft zum Rechtfertigungsdiskurs.
Wie finden Sie denn Plagiate?
Ich kenne meine Leute und habe im Zweifel schon vorher kleinere
Texte von ihnen gelesen. Dann merkt man schon, wenn was nicht
passt, man braucht ein wenig Stilgefühl und Menschenkenntnis. Im
übrigen beurteile ich zuerst einmal die eigene geistige Leistung
und nicht, ob jemand es geschafft hat, unfallfrei zu
paraphrasieren. Auch wenn sich im Zuge dieser Plagiatsjagden sich
die Ansicht breitmacht, dass in den Geistes- und
Sozialwissenschaften ohnehin immer nur voneinander abgeschrieben
wird und es allein darauf ankommt, wie gut man diesen Sachverhalt
kaschieren kann. In den Kommentarspalten von Online-Portalen wird
dann daraus regelmäßig der Schluss gezogen, dass man es da ja
ohnehin nicht mit echten Wissenschaften zu tun hätte, sondern
bestenfalls mit Rhetorikübungen.
Stimmt das nicht ein Stück weit?
Sicherlich stimmt es in manchen Fällen. Stichwort Karrieredoktor.
Es wird aber nicht mehr darüber geredet, was für eine Arbeit
eigentlich dahinter steckt, einen guten geisteswissenschaftlichen
Text zu schreiben. Dazu gehört in der Tat auch das Paraphrasieren,
das sprachliche Nachvollziehen anderer Gedanken – aber eben und vor
allem auch eigenständiges Denken. Augenblicklich bewegen sich
unsere Vorstellungen von geistiger Arbeit zunehmend auf dem Niveau
von mittelmäßig alphabetisierten Textscannern. Um das Niveau wieder
zu heben, brauchen wir dringend eine breite Debatte über zentrale
Kategorien, Begriffe und Normen wissenschaftlicher Textarbeit. Dann
hätte man aus dem Skandal noch einen Erkenntniswert gezogen –
augenblicklich sehe ich den noch nicht.
Dr. Philipp Theisohn arbeitet am Lehrstuhl für Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Zürich. Kürzlich erschien von ihm „Literarisches Eigentum“, ein Essay über die Auswirkungen der Plagiatsdebatte auf die Wissenschaft. Foto: Privat
Das Gespräch führte Timo Steppat.
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