Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Dauerbaustelle BER - Das hat der Willy nicht verdient

Politiker haben es schwer. Erst recht, wenn ihre Namen posthum für monumentale Baustellen und andere Großprojekte herhalten müssen. Ausgerechnet die Dauerbaustelle FDP rät nun den BER-Verantwortlichen, auf den Namen „Willy Brandt“ zu verzichten

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Der wahre Leidtragende am Berliner Flughafendesaster ist weder der deutsche Steuerzahler noch Horst Amann, welcher als technischer Geschäftsführer des Airport-Projekts die dortige Situation am Dienstag als „fast grauenhaft“ beschrieben hat (wobei man sich fragen könnte, was noch alles passieren muss, damit in der Lageeinschätzung das Wörtchen „fast“ entfällt). Sondern ein ehemaliger deutscher Bundeskanzler, der bereits vor mehr als 20 Jahren im mittelrheinischen Städtchen Unkel aus dem Leben schied und insofern prima facie sowohl geographisch wie auch zeitlich eher wenig mit dem Planungsgewürge in der deutschen Hauptstadt zu tun haben scheint. Willy Brandt, dessen Namen bekanntlich der Versuch trägt, in Berlin einen Flughafen von Weltrang zu bauen, kann sich ja leider nicht mehr gegen diese rufschädigende Inanspruchnahme wehren, weshalb dies nun von anderen Leuten an seiner statt übernommen werden muss.

Überraschend daran ist freilich, wer sich dazu berufen fühlt. Nämlich die FDP, von der wir annahmen, sie hätte derzeit andere Probleme, als sich ausgerechnet um das Gedenken an sozialdemokratische Säulenheilige zu sorgen. So schlimm wie auf der Baustelle des Willy-Brandt-Flughafens scheint es auf der freidemokratischen Abbruchhalde also nicht herzugehen, wenn der Obmann im Haushaltsausschuss der FDP-Bundestagsfraktion, Jürgen Koppelin, uns heute Morgen via Presseerklärung mitteilen lässt: „Im Übrigen wäre es ratsam, erst mal auf den Namen ,Willy Brandt‘ für den Flughafen zu verzichten, um den guten Namen nicht auch noch zu beschädigen.“

[gallery:20 Gründe, warum sich Ehrlichkeit in der Politik nicht lohnt]

Deutlicher formuliert möchte Koppelin damit zum Ausdruck bringen, Willy Brandt müsse vor dem unglücklichen Agieren seiner politischen Urenkel Klaus Wowereit und Matthias Platzeck geschützt werden, von denen der erstgenannte auch noch ein Amt bekleidet, das Brandt selbst in den Jahren 1957 bis 1966 innehatte – eine hübsche Spitze also gegen den Regierenden Bürgermeister Wowereit. Sie erinnert irgendwie an das Bismarck’sche Bonmot über den allgemeinen Sittenverfall: „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt.“

Tatsächlich legt Koppelin mit seinem Vorstoß, so albern er auch sein mag, den Finger in eine Wunde, die allenthalben aufbrechen kann, wenn unsere Gesellschaft weiter daran festhält, Bauwerken den Namen verstorbener (oder auch lebender) Persönlichkeiten zu verleihen. Früher lag die Crux darin, dass die namensgebende Person schon recht bald wieder in Verschiss geriet – man denke nur an die vielen Adolf-Hitler-Plätze oder an die Stalin-Allee. Heute geht es umgekehrt meist darum, dass die miese Bausubstanz dem Namenspatron schadet, obwohl dieser mit der ganzen Sache in den allermeisten Fällen am allerwenigsten zu tun hat.

Seite 2: Erfolgsgeschichte Willy-Brandt-Flughafen

Die modernen Denkmäler unserer Zeit sollen ja regelmäßig aus ganz pragmatischen Erwägungen heraus eine Funktion erfüllen und sind deswegen naturgemäß störungsanfällig. Oder sie sind schon von ihrer äußeren Gestalt her dermaßen banal, dass sie als wahrer Affront gegen den Paten gelten müssen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an das Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel. Politiker, die etwas auf sich halten, wären also gut beraten, wenn sie in ihrem letzten Willen notariell festhalten ließen, dass nie und nimmer irgendein Flughafen, Wasserwerk, Autobahnkreuz oder auch nur eine Turnhalle ihren Namen tragen darf.

Nicht einmal der erwähnte Otto von Bismarck war vor dem Denkmalstiftungsfuror seiner Anhängerschaft gefeit, wie die erkleckliche Anzahl heute noch existierender Bismarck-Türme eindrücklich beweist. Allerdings hatten diese Bauwerke den Vorteil, dass sie eigentlich keinen richtigen Zweck erfüllten, ausser irgendwie imposant in der Gegend herumzustehen. Die Ausfall-Wahrscheinlichkeit tendierte somit gegen Null. Außerdem waren bei ihrer Errichtung wesentlich weniger technische Details zu beachten als etwa beim Bau eines Flughafens – allein schon deshalb, weil für die Türme weder störungsanfällige Gepäckförderbänder noch unübersichtlich komplizierte Brandschutz-Sprinkleranlagen benötigt wurden. Und dennoch konnte selbst bei diesen doch eher simplen Turm-Anlagen schon einiges schiefgehen. Der Bismarck-Turm in Bad Kissingen etwa wurde erst 1986 nach der Installation von Treppe und Toiletten für die Öffentlichkeit freigegeben – 72 Jahre nach Baubeginn. Dagegen ist der Willy-Brandt-Flughafen schon beinahe eine Erfolgsgeschichte.

____________________________________________________________

Jetzt den Newsletter von Cicero Online abonnieren!

Liebe Leserinnen und Leser, gerne informieren wir Sie regelmäßig über das aktuelle Angebot von Cicero Online. Bitte tragen Sie hier Ihre E-Mail-Adresse ein und wir schicken Ihnen montags bis freitags unseren täglichen Newsletter.

____________________________________________________________

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.