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Linkspartei - Das Gysi-Dilemma

Die Stasi-Debatten um Gregor Gysi haben der Linken wie zuvor auch der PDS nie geschadet. Im Gegenteil, Angriffe von außen schweißen die Genossen zusammen. Das Problem, das die Partei mit ihrem Frontmann hat, ist ein ganz anderes

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Gefühlt ist es bereits die hundertste Stasi-Debatte um den Superstar der Linkspartei. Mit jedem neuen Blatt, das aus der Hinterlassenschaft des DDR-Geheimdienstes an die Öffentlichkeit gelangt, flammt der Glaubenskrieg wieder auf. 

Für die einen ist Gysi ein Täter, der gegen seine Mandanten „willentlich und wissentlich“ mit dem Ministerium der Staatssicherheit zusammenarbeitete und der dafür inoffizielle Kontakte unterhielt. Zudem führe er die Öffentlichkeit seit zwei Jahrzehnten über seine zentrale Rolle als Rechtsanwalt im Repressionssystem der DDR hinters Licht. Es gibt gute Gründe, dies so zu sehen.

Doch Gysi wird auch diese Welle der öffentlichen Erregung überleben. Denn die Hinterlassenschaft des MfS, die in Sachen „IM Notar“ beziehungsweise „IM Gregor“ jetzt schon seit 23 Jahren systematisch gesichtet wird, gibt keine klare Antwort. Auch die jetzt aufgefundenen Papiere liefern keine substanziell neuen Erkenntnisse. Die Akte Gysi, die mittlerweile mehr als 300 Dokumente umfasst, steckt voller Widersprüche. Es gibt Weisungen, Quittungen, Treffberichte, die ihn belasten, genauso wie solche Protokolle und Aufzeichnungen, die nachlegen, der Anwalt und seine Kanzlei seien abgeschöpft worden. Vieles spricht gegen Gysi und genauso viel für ihn.

Für seine Anhänger ist Gysi deshalb das Opfer einer antikommunistischen Kampagne, mit der seit zwei Jahrzehnten versucht wird, den beliebtesten und bekanntesten ostdeutschen Politiker mundtot zu machen. Auch für diese Sicht auf die Dinge gibt es gute Gründe.

Der Linkspartei schaden die Stasi-Debatten um ihren Frontmann nicht, im Gegenteil. Sie schweißen die Genossen zusammen und mobilisieren die Basis, pünktlich zu Beginn des Bundestagswahlkampfs.

Das Gysi-Dilemma der Linken ist ein anderes, und die neuen Stasi-Debatten lenken davon nur ab: Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist Gysi das Aushängeschild. Und genauso lange schon hängen Wohl und Wehe der SED-Nachfolgepartei – die erst SED-PDS, dann PDS hieß, schließlich in Linkspartei umbenannt wurde und 2007 mit der WASG zur Partei „Die Linke“ verschmolz – von Gysi ab. Mit seiner persönlichen Ausstrahlung, seinem rhetorischen Talent und seinem Wortwitz hat er alle Widersprüche der Partei immer wieder überdeckt. Im September tritt Gysi zum sechsten Mal seit 1990 als Spitzenkandidat bei einer Bundestagswahl an. Nur 2002 verzichtete er, die PDS scheiterte prompt an der Fünf-Prozent-Hürde.

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Mit zwei historischen Missionen hat Gysi sich einen Platz in den gesamtdeutschen Geschichtsbüchern gesichert: 1989 war er einer der wenigen SED-Genossen, der in der untergehenden DDR seine Glaubwürdigkeit nicht völlig verspielt hatte.  Ihm verdankt die Partei ihr politisches Überleben. Nur mit seinem Einsatz konnte sich die PDS im gesamtdeutschen Parteiensystem etablieren und als ostdeutsche Regionalpartei in rot-roten Bündnissen in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg Partner der SPD werden.

Als die Transformation der DDR-Eliten in die gesamtdeutsche Gesellschaft abgeschlossen war und die PDS vor dem politischen Aus stand, trieb Gysi zusammen mit Oskar Lafontaine den Aufbau der Linken als gesamtdeutsche Partei voran. Zusammen profilierten sie die neue Partei mit Protesten gegen die Agenda-Politik von Gerhard Schröder und mit aggressiver Kritik an der Regierungs-SPD . Bei der Bundestagswahl 2009 konnte die Linke so das Rekordergebnis von 11,9 Prozent erzielen.

Doch auch Gysis zweite Mission hat ihren Zenit mittlerweile überschritten. Im Westen geht der Zuspruch zurück, bei den Landtagswahlen in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrheinwestfalen ist die Partei zuletzt an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und wieder aus den Landtagen geflogen. 

Seit die SPD wieder auf den Oppositionsbänken sitzt und sich Rot-Grün als Alternative zu Schwarz-Gelb profiliert, fehlt der Linken ein zugkräftiges Mobilisierungsthema. Die Partei beschäftigt sich vor allem mit sich selbst, die innerparteilichen Gräben zwischen Ost und West, zwischen Reformern und Fundis sind tief. Die Finanzkrise hat die Partei verschlafen, die Chance, die Linke als möglichen Regierungspartner von SPD und Grünen zu profilieren, hat sie versäumt. Überzeugendes politisches Personal fehlt.

Nach dem Rückzug von Oskar Lafontaine steht Gysi nun wieder ganz alleine da. Hinter ihm tut sich eine große politische und personelle Leere auf. Das achtköpfige Spitzenteam, mit dem die Linke in den Bundestagswahlkampf ziehen will, potenziert diese Leere noch.

So ist Gysi, der einst das erste Zugpferd der PDS war, nun das letzte Zugpferd der Linken. Sehr wahrscheinlich wird es dem mittlerweile 65-Jährigen gelingen, die Linke im Herbst noch einmal in den Bundestag zu führen. Doch die Kraft, die Linke bundespolitisch in die Realpolitik zu führen, besitzt er nicht mehr. Eine dritte Mission wird es mit Gysi für die Linke nicht mehr geben. Aber ohne ihn wird es diese erst recht nicht geben. Das könnte für die Linke schon bald zu einer Überlebensfrage werden.

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