- Das falsche Spiel mit der „Energiearmut“
Der Strompreis steigt und steigt – und plötzlich entdeckt die schwarz-gelbe Koalition ihr Herz für die davon besonders betroffenen Armen. Dahinter aber steckt ein zynisches, gleichwohl mustergültiges Doppelspiel von Energielobby und Regierungshandeln
Die biblische Schlange, ihre Augen als Steckdosen dargestellt, darüber der Schriftzug: Nicht verführen lassen – Subventionen gefährden die Energiewende. Mit solchen ebenso starken wie polemischen Bildern bringt sich die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft mit einer millionenschweren Plakatkampagne gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Stellung. Dass die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanzierte Initiative die Energiewende angreift, ist nicht neu – nur doppelzüngig. Schließlich sind es gerade diese beiden Branchen, die jene für die Energiewende schädlichen Subventionen erhalten, welche die höheren EEG-Abgaben notwendig machen.
Neu und nicht minder doppelzüngig ist indes das bemühte Argument der drohenden Energiearmut. Da Einkommen mit geringem Haushaltseinkommen besonders stark betroffen sind, so auch die Verlautbarungen der FDP, drohe „mit der permanenten Steigerung der Stromkosten auch eine soziale Schieflage.“ So nachzulesen im FDP-Positionspapier zur Reform der Förderung erneuerbarer Energien. Die FDP und Lobbyverbände als Advokaten der Armen? Sollte Schwarz-Gelb plötzlich seine Liebe zu den Unterprivilegierten dieser Gesellschaft entdeckt haben? Wohl kaum. Vielmehr ist die Geschichte von der Wiederentdeckung der poor classes als Opfer der Energiewende blanker Zynismus.
Denn wer sich, wie die Bundesregierung, nun Sorgen um die Bezahlbarkeit von Strom für Hartz-IV-Empfängern macht, sollte dabei nicht vergessen, dass es das Bundesverfassungsgericht war, welches letztlich erst eine Erhöhung des Regelsatzes erzwingen musste. Wer nun Geringverdiener als Opfer der Energiewende stilisiert, sollte sich fragen lassen, warum es in Deutschland noch immer keinen einheitlichen Mindestlohn gibt. Auch hier liefert die Initiative im Übrigen die Argumente – gegen den Mindestlohn. Wer einerseits energieintensive Betriebe verschont und andererseits nicht einmal die steigenden Einnahmen aus der Mehrwertsteuer auf die gestiegene EEG-Umlage nutzen will, um eine Umlage für Geringverdiener zu finanzieren, der will die Energiewende nicht gerechter machen. Sondern sie mit einem sozialen Scheinargument verhindern.
Schließlich würden Regierung und Lobbygruppen mit einer Lösung jener sozialen Frage ihrem so brillanten wie perfiden Königsargument der Energiearmut die Stoßkraft rauben. Das mühsam aufgebaute und leider auch so gut funktionierende Argumentationsmuster gegen die Energiewende, popularisiert vom damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann, würde in sich zusammenbrechen. Nur zur Erinnerung, es ist der Chef des gleichen Unternehmens RWE, welches noch vor der Energiewende mit exorbitanten Milliardengewinnen aufgrund nicht minder drastischer Preiserhöhungen seine Marktmacht ausgenutzt hat. Die Geschichte des deutschen Strompreises ist schlichtweg nicht zu erzählen ohne die der „Liberalisierung“ des Strommarktes, die schlicht eine Konzentration auf die Big Four, der Energiebranche RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall war – sekundiert vom damaligen Wirtschaftsminister Werner Müller.
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Müllers Werdegang aus der Energiewirtschaft ins Wirtschaftsministerium zurück in die Energiewirtschaft erzählt Bände über die (bewussten) Fehler deutscher Energiepolitik. Müllers Karriere in der Energiebranche begann 1973 bei RWE, später wechselte er zur VEBA AG (heute E.ON), war dort zuletzt zuständig für die Kraftwerkssparte und den Energiehandel. 1998 wechselte er dann ins Kabinett Schröder, erledigte die „Liberalisierung“ des Strommarktes und wechselte dann 2003 zur Ruhrgas AG. Jene Ruhrgas AG war zuvor in seiner Amtszeit, gegen den Einspruch des Kartellamtes mit Ministererlaubnis an E.ON verkauft worden. Weil Müller auf öffentlichen Druck hin als befangen galt, unterschrieb sein Staatssekretär Alfred Tacke. Müller holte ihn 2004 als Vorstandsvorsitzenden zum Energieversorger STEAG, einer einhundertprozentigen Tochter der Ruhrgas AG. 2010, im Jahr des Ausstiegs aus dem Atomausstieg erhielt Müller das Große Bundesverdienstkreuz.
Um aber solche politischen Verantwortlichkeiten aus der Schusslinie zu bekommen, auch um den öffentlichen Einmischungen den Geruch des reinen Eigeninteresses zu nehmen, suchen und finden gewiefte Lobbystrategen immer auch nützliche Idioten. Im Falle der Energiewende sind das die Sozialverbände – etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband oder der Sozialverband Deutschland. Die müssen als Interessenvertreter der sonst ohnehin politisch kaum vertretenen Geringverdiener natürlich alarmiert sein, wenn die Strompreise rapide steigen. Dass Energie kein Luxusgut werden dürfe, gibt etwa der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider zu bedenken. Schneider fordert deshalb eine Umverteilung der Kosten. Nur in der öffentlichen Debatte lässt sich eine solche Position schnell verkürzen auf die Aussage, die Energiewende sei unsozial – und nicht etwa die Profitinteressen der Energiebranche oder die Politik von Schwarz-Gelb. Da spielt es auch keine Rolle mehr, ob Schneider sich für die Energiewende ausspricht, was er de facto tut, oder nicht.
Derlei Spiel über die Bande aber beherrschen Lobbyisten perfekt. Wer sich fragt, warum die Verordnung zur energieeffizienten Dämmung von Häusern nicht so recht vorankommt, der muss sich nur das Bündnis ansehen, gegen welches ein solches Gesetz durchgedrückt werden muss. Da steht die Immobilienwirtschaft nicht allein, sondern es werden wieder andere – nützliche Idioten eben – vorgeschickt. Die Architektenkammer, die sich um das alte Stadtbild sorgt, die Naturschützer, die das Verschwinden von Nistplätzen für allerlei Vogelarten fürchten. Allesamt völlig berechtigte Einwände. Aber auch in diesem Fall wird dann, in der verkürzten öffentlichen Debatte, nicht mehr über Ausnahmeregelung für schützenswerte Fassaden oder neue Nistmöglichkeiten für Vögel diskutiert, sondern die Energieverordnung mit moralisch einwandfreien Argumenten versenkt.
Dabei weist allein die Energiewende den Ausweg aus der Kostenspirale. Denn anders als bei der immer teurer werdenden Stein- und Braunkohle oder der Kernenergie, stehen anfänglich hohen Investitionen gigantische Folgeersparnisse gegenüber. Zur Erinnerung, allein für die Subvention von Steinkohle hat die Bundesrepublik 360 Milliarden an Subventionen verpulvert, so das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, ohne sich aus deren Abhängigkeit lösen zu können. Fukushima oder noch viel näher, die Asse, erinnern zudem an gänzlich unkalkulierbare Folgekosten der Atomkraft. Nicht das EEG ist ein Fass ohne Boden, sondern ein Festhalten am bisherigen Strom-Mix.
Gleichwohl, ein solches Verhalten der jetzigen Regierung ist in sich nur konsequent. Wer wie Wirtschaftsminister Rösler die Effizienzvorgaben für die Industrie so weit verwässert, dass diese noch hinter der ganz normalen, evolutionären Effizienzsteigerung durch Technologieentwicklung zurückbleiben; wer den Kurzfristinteressen von Spekulationsgewinnen den Vorrang gewährt, statt nachhaltiges Wirtschaften und Finanzieren zu schützen, wie es noch zu Zeiten Ludwig Erhards und Helmut Kohls verbindlich war, den interessiert auch der Nachhaltigkeitsgedanke einer Energiewende nicht. Und damit das so bleibt, schüren FDP und Lobbygruppen die soziale Frage, statt sie mit einer Umlage für Geringverdiener zu entschärfen. Und Umweltminister Altmaier bemüht sich, eine gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er ist in diesem Spiel, sein ehrliches Bemühen für eine Energiewende vorausgesetzt, eben auch nur ein nützlicher Idiot.
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