- Das alte Machtsystem ist am Ende
Fünf Jahrzehnte lang regierte die CSU in Bayern unangefochten. Sie war faktisch eine Staatpartei. Doch die CSU ist eine völlig normale Partei geworden – und das bedeutet, sie wird nicht mehr ewig regieren.
CSU-Parteitage sind Machtdemonstrationen. Auch der diesjährige Parteitag am vergangenen Wochenende in Nürnberg war da keine Ausnahme. Eine riesige Halle, 1.000 Delegierte und hinter der überdimensionierten Bühne ein Slogan, der Programm und Anspruch zugleich sein soll: „Auf Bayern kommt es an“. Die CSU demonstriert selbstbewusst ihre Sonderstellung im bundesdeutschen Parteiensystem. Dazu verkündete der CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident Horst Seehofer, sein Land stünde „so gut da wie noch nie zuvor in seiner Geschichte“. In Deutschland sei Bayern „die Nummer eins“ und in Europa „unter den Top Ten“ und das natürlich dank ihm und dank der CSU. Die Delegierten feierten ihren Frontmann mit stehenden Ovationen. Trotzdem war schon eine Menge Autosuggestion nötig, um die Krisensymptome der CSU zu verdrängen.
Ein halbes Jahrhundert lang waren Bayern und die CSU eins. Ein halbes Jahrhundert regierte die selbsternannte bayerische Staatspartei das Land allein und selbstherrlich. Bayern war die CSU, die CSU war Bayern. Dass sie bei der Landtagswahl vor drei Jahren 17,3 Prozentpunkte und die absoluter Mehrheit verlor und seitdem gemeinsam mit der FDP regieren muss, gilt unter Christsozialen als Betriebsunfall. 2013, wenn in Bayern wieder gewählt wird, soll dieser behoben werden.
Verzweifelt und vergeblich versucht die CSU sich auf die alten Erfolgsrezepte zu besinnen und läuft in Wirklichkeit einer Illusion hinterher. Denn die alten Zeiten kommen nicht zurück; das überholte Machtsystem der CSU lässt sich nicht restaurieren.
Die Tage der regionalen Volkspartei CSU sind also gezählt, der stille Tod der Volksparteien macht um Bayern keinen Bogen. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass die CSU nach der Landtagswahl in zwei Jahren erstmals seit den 1950er Jahren wieder in der Opposition landet.
Das liegt nicht in erster Linie an dem spröden, wankelmütigen und politisch sprunghaften bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Es liegt auch nicht daran, dass die SPD erstmals seit vielen Jahren mit dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude wieder einen aussichtsreichen Ministerpräsidentenkandidaten ins Rennen schickt. Es ist vielmehr umgekehrt. Der Sozialdemokrat Ude kann sich deshalb Hoffnung auf einen Wahlsieg machen, weil das alte Machtsystem der CSU am Ende ist.
Es waren sowohl interne als auch externe Faktoren, die das Erfolgsmodell CSU ausmachte und ihr in Bayern eine in ganz Europa beispiellose Vormachtstellung ermöglicht haben. Die Partei setzte zugleich auf Tradition und Moderne, auf Populismus und Reformen. „Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts marschieren“, so lautete schon das Motto des langjährigen CSU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß, sein Nach-Nachfolger Edmund Stoiber brachte es auf die einfache Formel „Laptop und Lederhose“. Zum Erfolgsmodell der CSU gehörten die regionale kulturelle Verankerung der Partei, die enge Bindung der katholischen Wähler an die Union sowie eine selbstbewusste Interessenvertretung im Gesamtstaat.
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Hinzu gesellte sich die erfolgreiche ökonomische Entwicklung des Landes vom zurückgebliebenen Agrarland zum modernen Industriestandort. Dieser Wandel eröffnete dem Land und der CSU eine Menge sozialpolitischen Verteilungsspielraum und ermöglichte allen Bayern einen relativen gesellschaftlichen Aufstieg. Zu Tradition und Moderne gesellte sich bei der CSU also immer auch ein Höchstmaß an sozialdemokratischer Umverteilungspolitik. Mit dem Dreiklang aus Heimat, Moderne und Sozialstaat wurde die CSU stark.
Doch an ihren Wohlstand haben sich die Bayern längst gewohnt. Stattdessen fühlen auch sie, dass die Verteilungsspielräume enger werden und die Reallöhne sinken. Abstiegsängste haben trotz Aufschwung und Vollbeschäftigung auch die CSU-Wähler erreicht. Das postmoderne städtische Bürgertum hat sich von der CSU abgewandt, viele sind auch aus anderen Bundesländern und vor allem aus Ostdeutschland zugezogen und tun sich schwer mit dem traditionellen bayerischen „Mir san mir“. Die Katholiken wählen längst nicht mehr automatisch die Partei mit dem C im Namen. Auch in Bayern lässt sich nicht mehr übersehen, dass bestimmte Regionen von der insgesamt positiven wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt worden sind. So ist der CSU mit den Freien Wählern im eigenen Lager politische Konkurrenz erwachsen. Zudem sind die Grünen längst auch für Konservative wählbar geworden.
Der Einfluss der CSU in der Bundespolitik ist zugleich deutlich zurückgegangen. Sie wird daheim nicht mehr als bayerische Interessenvertretung wahrgenommen, sondern im Gegenteil für die unpopuläre Politik der schwarz-gelben Bundesregierung in Mithaftung genommen. Der programmatische Spagat etwa, den die CSU auf ihrem Nürnberger Parteitag in der Europapolitik vollzog, wird dem Wähler nicht verborgen bleiben. Immerhin hat es die CSU unterlassen, sich europapolitisch ganz ins fundamentalistische Abseits zu stellen. Aber der Widerspruch zwischen dem demonstrativen Bekenntnis zu Europa, der Sehnsucht nach dem Nationalstaat und der Verweigerung der Solidarität gegenüber Griechenland ist eklatant. Der nächste Eurorettungsplan kommt bestimmt und wird den tiefen Riss, der in Sachen Europa quer durch die CSU verläuft, noch für den Wähler offenbarer machen.
Politisch bläst der CSU der Wind derzeit also kräftig ins Gesicht. Trotzdem reichen alle diese externen Faktoren nicht, um die Nachhaltigkeit der christsozialen Vormachtstellung und dessen absehbares Ende zu erklären.
Zum Machtsystem CSU gehörten viele Jahrzehnte unverzichtbar einige interne Faktoren, die wichtigsten waren die reibungslose Zusammenarbeit der unterschiedlichen Machtzentren der Partei sowie die absolute Geschlossenheit. Es galt viele Jahre als ehernes Prinzip der CSU, dass interne Konflikte nicht an die Öffentlichkeit dringen. Nach außen stand die Partei wie ein monolithischer Block. Wer sich daran nicht hielt, wurde abgestraft und ausgegrenzt. Dabei ging es in der CSU nie zimperlich zu.
Doch längst werden auch in der CSU politische und personelle Auseinandersetzungen auf offener Bühne ausgetragen und politische Debatten über die Medien geführt. Dem Sturz von Edmund Stoiber etwa gingen 2007 heftige innerparteiliche Auseinandersetzungen voraus. Im vergangenen Jahr hatten dann Ministerpräsident Horst Seehofer und der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ihren Machtkampf auf offener Medienbühne ausgetragen. Noch vor ein paar Jahren wäre es auch noch undenkbar gewesen, dass ein einfacher Bundestagsabgeordneter wie Peter Gauweiler bei der Vorstandswahl einen Bundesminister in eine Kampfabstimmung zwingt. Die Partei hätte Mittel und Wege gefunden, die Personalfrage im Vorfeld des Parteitages intern zu regeln. Auch die Zusammenarbeit mit der FDP in der bayerischen Landesregierung funktionierte in den ersten drei Jahren alles andere als reibungslos, sie offenbarte dieselben Abstimmungsprobleme wie Schwarz-Gelb im Bund.
Aus der CSU ist in den letzten Jahren also eine ganz normale Partei geworden. Und als solche wird sie sich auch mit ganz irdischen Dingen beschäftigen müssen, zum Beispiel mit den Oppositionsbänken.
Noch hat die CSU die Wahl 2013 nicht verloren. Viel wird davon abhängen, ob es den drei Oppositionsparteien SPD, Grüne und Freien Wählern gelingt, bei den unzufriedenen Wählern genügen Vertrauen und Kompetenz zu gewinnen. Aber allein die Tatsache, dass ein Machtverlust der CSU in den Bereich des Möglichen gerückt ist, zeigt, in Bayern hat sich in den letzten Jahren schleichend eine Revolution vollzogen.
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