- Ich will da nicht mitmachen
Eine Unterschrift hier, ein bisschen Crowdfunding da. Wohin wir auch kommen, wir werden zum Mitmachen aufgefordert. Und jetzt auch noch vom heiligen Tatort. Es reicht.
In dieser Sekunde kommt wieder über Facebook ein Angebot herein: Unter dem Motto „Dein Engagement. Unsere Zukunft“, lädt Studieren ohne Grenzen zum Mitmachen ein. Das ist jetzt gefühlt der sechste Aufruf in dieser Woche. Ein Aktivist hielt mir am Wochenende auf dem Spielplatz einen Wisch zum Berliner Energienetz unter die Nase, ich sollte mich schon gegen die Privatisierung der Wasserwirtschaft engagieren, mich erreichte die Email von Kurt Fleisch, einem mir unbekannten Kollegen, in der dieser erklärte, er plane einen Reiseführer über Europas Irrenhäuser – im Selbsttest – und ich solle ihn unterstützen. Auf der Crowdfunding-Plattform sammelt Fleisch Geld für sein Rechercheprojekt, ebenso wie Daniel Bröckerhoff, der sich zum Thema Daten im Netz ausziehen will. Bei Bröckerhoff mag das mit dem Ausziehen eine gewinnbringende Idee sein, trotzdem sieht es im Moment nicht so aus, als würde er die benötigten 42.000 Euro zusammen bekommen.
Um es gleich zu sagen: Diese Anliegen in allen Ehren, sie sind gut und wichtig. Aber mit jedem Aufruf um Aufmerksamkeit, Engagement und Geld fühle ich mich ein Stück überforderter. Es gibt so vieles zu tun, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ein Klick ist schnell gemacht, eine Unterschrift schnell geleistet, auch ein paar Euro sind – der Paypal-Zugang ist längst gespeichert – zügig überwiesen. Aber langsam meldet sich in meinem Inneren Widerstand. Den Mann, der zwischen Schaukel und Rutsche um meine Unterschrift bat, habe ich ganz schön angeblafft. Das ist sonst nicht so meine Art. Nein-Sagen war sicher nie meine Stärke, zurzeit aber fühle ich mich wie ein professioneller Körbeverteiler.
Hat das zugenommen? Ist eine Ad-Hoc-Gesellschaft wünschenswert, in der wir als Rezipienten mit einem Thema, einem Bild, einem Skandal gelockt werden und im Affekt nicken, klicken, unterschreiben, überweisen? Und wie geht es dann weiter? Ändern wir die Welt oder fassen wir jedes Thema, jedes Projekt einmal an und lassen es dann wieder liegen?
Prominentes Beispiel waren die Guttenberg-Unterstützer vor zwei Jahren. Schnell waren sie mit ihrem Facebook-Gefällt-mir zur Hand, um ihren Noch-Verteidigungsminister zu stützen. Dann aber, als es um tatsächliche Präsenz vor dem Brandenburger Tor ging, zuckten sie zurück. Von dem beeindruckenden Netzprotest blieb nur ein Häuflein übrig. Bereits damals vermutete man, dass es nicht weit her war mit nachhaltiger Mitmacherei im Internet.
Ausgehend von solchen Erfahrungen versucht sich Protest jetzt auch über Online-Demos den Gestus des Aktiven im Netz zu erhalten. Die Digitale Gesellschaft https://digitalegesellschaft.de/ rief kürzlich zur Demonstration gegen die Daten-Drosselei der Telekom auf. Ein Mausklick reichte aus und ein kleines schwarzes Männlein hielt auf der Telekomseite ein Banner in die Luft mit dem vorher gewünschten Slogan drauf.
Engagement und Protest geschehen heute vor allem projektbezogen, zeitlich begrenzt, punktueller. Sie werden nüchterner und geschäftsmäßiger koordiniert, erklärt der Volkskundler Klaus Schönberger in einem Interview mit dem fluter.
Vielleicht erspüre ich das bei all diesen Petitionen, Unterschriftenlisten und Crowdfunding-Aufrufen. Dass hinter den meisten von ihnen geschäftsmäßige Planung steckt. Dass sich hier kein Altruismus oder persönliches Interesse verbirgt, sondern der Versuch, professionelle Vorhaben durchzudrücken. Der Mitmachbürger wird marktgerecht reduziert, zum projektbezogenen Konsumenten.
Wenn ich aber meine morgendliche Zeitung lese, dann will ich kein Projekt vorantreiben. Ich möchte einfach nur meine Süddeutsche in den Händen halten. Dafür gebe ich auch gerne Geld aus und erwarte, dass mir Reportagen und Hintergrundtexte geliefert werden, die die Redaktion meines Vertrauens ausgewählt hat. Ich empfinde es als eine Erleichterung, mich hier nicht mehr engagieren zu müssen.
Genauso wie ich es als Erleichterung empfinde, jeden Sonntagabend um 21. 39 Uhr einen Mörder präsentiert zu bekommen. Denn nein, sehr geehrte ARD, ich will euch dabei nicht in einem Onlinespiel helfen müssen. Ich will keinen interaktiven Tatort, will mich nicht einmischen. Ich möchte, dass ihr gefälligst den Mörder sucht. Dafür zahle ich Gebühren. Verdammt.
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