- Schwarz-Gelb im Streit über Zweitstimmen
Die FDP will in den Bundestag. Weil es knapp werden könnte, braucht sie Zweitstimmen. So gibt es Aufrufe und Vereinbarungen mit CDU/CSU. Nicht alle finden das lustig. Worin besteht das Problem?
Der Name des Bundestagspräsidenten und CDU-Kandidaten für den nächsten Bundestag, Norbert Lammert, fällt in diesen Tagen in den Wahlkampfzentren der FDP häufig. Meistens mit negativem Unterton. Lammert nämlich wird bei den Liberalen verdächtigt, das gemeinsame Wahlziel von Union und FDP, die Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition, zu torpedieren. Und zwar aus ganz eigennützigen Gründen: Er will sein Bundestagsmandat nicht verlieren.
Die Ursache für den Unmut der FDP über Norbert Lammert ist die massive Zweitstimmenkampagne der FDP.
Und da wiederum die Idee der FDP-Spitze in Berlin, den Wählern in rund 80 Wahlkreisen quer durch Deutschland zu empfehlen, ganz bewusst die Stimmen zwischen Union und FDP zu splitten. Bereits am Sonntagabend hatte der Generalsekretär der FDP, Patrick Döring, die Kandidaten der 80 Wahlkreise angeschrieben und sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie auf den Kandidaten der CDU zugehen und mit ihm vereinbaren sollten, dass er bei seinen Wahlkampfauftritten die Zweitstimme für die FDP empfiehlt, und zusagen sollten, dass der FDP-Kandidat seinen Wählern im Gegenzug empfehlen wird, mit der Erststimme CDU zu wählen.
Funktioniert eine Zweitstimmenlampagne?
Dass so ein Vorgehen – vorausgesetzt die Wähler folgen denn auch der Empfehlung – zum Vorteil für beide Parteien sein kann, zeigt der Wahlkreis von Guido Westerwelle in Bonn exemplarisch. Dort lagen die Kandidaten von CDU und SPD bei der letzten Wahl in den Erststimmen beinahe gleich auf, leichter Vorteil für den Kandidaten der SPD. Westerwelle, der prominente FDP-Kandidat, erhielt 19 Prozent der Erststimmen, was aber lange nicht für den Sieg des Direktmandates ausreichte. Weil Westerwelle als Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen FDP über die Landesliste so gut abgesichert ist, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Sitz im Bundestag erhalten wird, wenn es die FDP ins Parlament schafft, sind seine Erststimmen für ihn und seine Partei eigentlich wertlos.
Die CDU-Kandidatin in Bonn, Claudia Lücking-Michel, allerdings muss damit rechnen, gegen den erfahrenen SPD-Wettbewerber Ulrich Kelber zu verlieren. Machen die Anhänger von Schwarz-Gelb in Bonn den Splitting-Deal von Westerwelle und Lücking-Michel aber mit, dann hat die Frau von der CDU die Chance auf ein Direktmandat und Westerwelles FDP auf eine höhere Prozentzahl für den Bundestag. Win-Win-Situation nennt man das in der Wirtschaft. Freilich nur auf der Wahlkreis-Ebene, nicht aber bei der bundesweiten Sitzverteilung.
Allerdings könnte das im schlimmsten Fall Norbert Lammert und seine Mitstreiter von der CDU-Landesliste den Berliner Job kosten. Denn die Anzahl der Zweitstimmen und das Verhältnis zu den gewonnenen Direktmandaten bestimmt, wie viele Kandidaten der Liste in den Bundestag zusätzlich zu den Direktkandidaten einziehen können. Könnte also sein, dass Frau Lücking-Michel nach der Wahl ihre Koffer für die Reise nach Berlin packen darf, während der Parlamentspräsident dem nächsten Bundestag nicht mehr angehört. „Die Wählerinnen und Wähler lassen sich in der Regel gerne informieren, aber nicht bevormunden“, wetterte Lammert nun in der „Saarbrücker Zeitung“ gegen die Zweitstimmenkampagne der FDP. Die Parteien und ihre Kandidaten würden sich um Erst- wie Zweitstimmen der Wahlberechtigten bewerben. „Sie gehören ihnen nicht, also können sie von ihnen auch weder verschenkt noch verliehen oder getauscht werden.“
Bettelwahlkampf und Mitleidsmasche?
Auch in der CSU geht mittlerweile die blanke Angst davor um, dass solche „Splitting-Deals“ mit der FDP oder aber das Verfangen der Zweitstimmenkampagne zulasten von Listenkandidaten gehen könnten. Jeder vierte Kandidat auf der CSU-Landesliste zur Bundestagswahl, darauf machte der CSU-Jugendverband am Mittwoch aufmerksam, gehört zur „jungen Generation“. Jede Zweitstimme für die CSU sei damit eine Stimme für die Jugend. Avancen der FDP nach „Mitleidsstimmen“ aus den Reihen der Unionswähler seien daher unwillkommen.
Was noch am Montag wie ein Akt nationalen Geschichtsbewusstseins für schwarz-gelbe Anhänger klang, nämlich der FDP mit einer Zweitstimme das Überleben im Parlament zu sichern, ist schon nach wenigen Tagen zum traurigen und mancherorts sogar lästigen Stalker-Kurs der Liberalen geworden. Wozu gewiss der anhaltende Widerstand der Union beigetragen hat, die seit dem Wochenende keine Gelegenheit Zur Erklärung auslässt, jeder der beiden Koalitionspartner kämpfe bis Sonntag für sich, und man habe nichts zu vergeben, auch keine Zweitstimmen.
Die „Splitting-Deal“-Idee von FDP-General Döring ist in der Tat weniger erfolgreich als das die Liberalen erhofft hatten. Geantwortet hat ihm kaum ein Kandidat, und manche liberalen Wahlkämpfer fürchten schon nach den ersten 48 Stunden, der Wahlkampf-Schuss könnte ganz nach hinten losgehen. Dann nämlich, wenn noch mehr Wähler, die damit geliebäugelt haben, FDP zu wählen, dies allein deshalb unterlassen, weil sie im Zweitstimmenaufruf der FDP Selbstbewusstsein vermissen. In Berlin etwa erhielten drei Kandidaten Post des FDP-Generalsekretärs: Pankow, Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf.
In Charlottenburg tritt Lars Lindemann für die FDP an, von der CDU ist es der langjährige Stadtrat Klaus-Dieter Gröhler. Einen Deal wollte Gröhler jedoch nicht eingehen, Lindemann schickt jetzt Postkarten an die Wähler und bittet um die Zweitstimme.
Der FDP-Kandidat in Berlin-Mitte, Hartmut Bade, meint sogar: „Mir persönlich ist das peinlich“. Er will für seine Arbeit gewählt werden und nicht aus Mitleid. Mit dem CDU-Kandidaten Phillipp Lengsfeld hat Bade übrigens einen Mitstreiter, auf den nicht er, sondern der auf ihn zugekommen ist. Lengsfeld nämlich hat sich so eine Chance auf das Direktmandat erhofft. Nun haben beide verabredet, zumindest in den letzten Tagen vor der Wahl ihren Wählern ein deutliches Zeichen der schwarz-gelben Verbundenheit zu geben. Gemeinsam wollen sie ein paar Wahlkampftermine besuchen.
Auch Daniel Bahr, liberaler Gesundheitsminister und Wahlkämpfer in Münster, und seine CDU-Mitbewerberin Sybille Benning lehnen eine Absprach offensiv ab. „Ich werbe nicht für andere Kandidaten“, sagte Bahr, und Benning fügte hinzu, eine Absprache entspreche nicht ihrem demokratischen Verständnis. „Das mache ich grundsätzlich nicht.“
Ob nun mit offizieller Absprache oder nur, weil lang und breit darüber überhaupt gesprochen wurde: Die Wähler, die grundsätzlich eine schwarz-gelbe Koalition unterstützen wollen, sind nach drei Tagen Zweitstimmenkampagne sensibilisiert. Der Heidelberger FDP-Kandidat und Entwicklungsminister Dirk Niebel erläutert seinen Deal mit dem „CDU Kollegen“ Karl A. Lamers sogar ganz offen auf Facebook. „Er wirbt für die Erststimme, für mich ist ja die Zweitstimme wichtiger. So ein glücklicher Zufall!“, schreibt Niebel und fordert seine Anhänger auf: „KLUG WÄHLEN!! DN.“
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