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Grüne? Ja bitte! - Begrenzt mich, ihr Besserwisser

Warum ich darüber nachdenke, die Grünen zu wählen, obwohl das nicht unbedingt gut für mich ist

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Ja, ich könnte mir vorstellen, die Grünen zu wählen. Die Frage ist: Weiß ich wirklich, was ich da tun würde? Ist das gut für mich? Oder wähle ich mein Unglück, das Ende meines lustvollen Lebens, meinen finanziellen Ruin?

Tatsache ist, dass es sich bei den Grünen um die Partei handelt, bei der ich ein größtmögliches Maß an Entmündigung wähle. Keine andere Partei ist so bevormundend wie die Grünen. Sie sind für das Gute, und zum Guten gibt es keine Alternative. Die einstmals Alternativen empfinden ihre Lehre als alternativlos. Allein darin liegt ein atemberaubender Widerspruch.

Das ist schon mal ein wichtiges Argument gegen die Wahl der Grünen. Ich mag keinen Absolutheitsanspruch, egal aus welcher politischen Ecke oder Gesinnung er kommt.

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Dazu kommen lebenspraktische Erwägungen. Mein Ausflug übers Wochenende nach Dublin, alles nur, um mit einem guten Freund oberhalb der irischen Landeshauptstadt den großartigen Christy Moore bei einem Heimspiel zu hören, mit Aer Lingus hingeflogen, mit dem Leihwagen die raue Küste hinauf: Herrlich war das. Aber dieser Ausflug hat natürlich überhaupt keinen Bestand vor einem grünen Gesinnungsgericht. Eine furchtbare CO2-Bilanz für anderthalb Stunden Christy Moore in Drogheda.

Der alte 500er in der Tiefgarage, die schöne alte S-Klasse aus der Zeit von Helmut Kohl: ein Traum von Auto, aber bei 15 Litern auf 100 Kilometer ein No-Go für Menschen mit einem grünen Gewissen.
Natürlich weiß ich auch, dass das Brathähnchen beim Döner-Türken um die Ecke nicht glücklich und artgerecht aufgewachsen sein kann, wenn es als Hälfte für 3,50 Euro zu haben ist. Aber ich gestehe: Ab und zu gönne ich mir diese Sünde, und für 15 oder 20 Euro würde ich es nicht tun.

Und dann all diese politischen Irrwege, die die Grünen konsequent und unbelehrbar beschritten haben. Das Dosenpfand des Jürgen Trittin, mit einiger Sicherheit ein grober Unfug; und wenn ich die Joghurtbecher vom Biomarkt aus der Papierhülle schäle und den Plastikbecher für die gelbe Tonne auswasche, beschleicht mich mehr als nur Zweifel, ob das alles zu Ende gedacht ist, was ich da tue.
Der Emissionshandel, der Wahnsinn des EEG, dessen skurrile Auswüchse von Fehlsteuerung durch Subventionen, selbst beim sehr deutschen Atomausstieg bin ich mir nicht sicher, ob wir wirklich wissen, was wir da tun.

Es ist nicht alles schon deshalb falsch, was den Grünen zur Last gelegt wird, nur weil es von deren politischen Gegnern vorgetragen wird.

Der Autor Andreas Möller hat das nachdenkliche Buch „Das grüne Gewissen“ über die Grünen und ihre Gesinnung geschrieben, das dieser Tage erscheint. Es ist wohltuend, weil es aus einer grundsätzlichen Empathie heraus viele berechtigte Fragezeichen anbringt an dem, was manche die Ökodiktatur nennen. Die Unterstützung des Biosprits einerseits und die totale Abneigung der grünen Gentechnik andererseits. Oder einfach nur eine Regal­schau einer Biomarkt-Kette in Berlin, die alle ihre Produkte über Hunderte von Kilometern aus Bayern ankarren lässt und nicht aus dem Brandenburger Umland. Möller findet den Ursprung des kollektiv Ökologischen im Deutschen an sich, in der Romantik, also der Epoche, ebenso wie im Romantischen, also der Verklärung einer Natur, die so denaturiert ist wie laktosefreie Milch. Friedrich Schlegel sprach von „rückwärts gekehrter Prophetie“. Möller ergänzt, es gehe den modernen Ökologen um einen Naturzustand, in dem alles Unbehagliche getilgt ist, um eine Natur, die nur noch Projektionsfläche von Sehnsüchten sei. „Während die Sorge um den Zustand der Umwelt früher ganz selbstverständlich christlich oder pazifistisch motiviert war und keiner Vorzeigepolitiker wie Katrin Göring-Eckardt oder Winfried Kretschmann bedurfte, ist das grüne Lebensgefühl unserer Tage von einem Bedürfnis nach sozialer und kultureller Verteidigung im Kleinen getrieben.“ Befriedigen die Grünen also nur meinen urbanen Eskapismus, sind sie die Landlust unter den Parteien? Kann gut sein. Aber wahrscheinlicher ist, dass ich bei allen Verirrungen der Grünen weiß, dass die Richtung stimmt, dass es kein Zufall ist, dass Kinder ihre Eltern immer wieder besonders hart rannehmen, wenn sie den Eindruck haben, dass die Erwachsenen kein hinreichendes Bewusstsein für den Schutz der Natur und der Kreatur haben. Womöglich ist das Elternbild auch gar nicht schlecht. Man sucht sich mit der Wahl der Grünen eine Art grüne Urmutter, die einem vorschreibt, was zu tun und zu lassen ist. Man delegiert seinen inneren Schweinehund, weil man weiß, dass man selbst zu schwach ist, ihn zu beherrschen. Man wählt die partielle Entmündigung, weil man weiß, dass es besser ist so. Ich muss begrenzt werden. Als CO2-Schleuder, als Brathähnchenesser, als Autonarr. Begrenzt mich, ihr grünen Besserwisser. Denn alleine schaffe ich es nicht. Das ist es. Das ist die Erklärung für die paradoxe Wahl des eigenen Unglücks als Möglichkeit. 

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