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Blasphemie-Debatte - Die Freiheit nicht für die Freiheitsfeinde opfern

Kisslers Konter: Die Perspektive auf die Pariser Attentate hat sich geändert. Aus Solidarität mit den Opfern wurde Verständnis für die Motive der Täter. Gotteslästerung soll strenger geahndet werden. Das wäre das falsche Signal

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Frankreich war im vergangenen Jahr „das weltweit gefährlichste Land für Juden“. So stand es gestern zu lesen. Eine Studie des „Ministeriums für Jerusalem und Diaspora-Angelegenheiten“ kam zu diesem Ergebnis. Die Anzahl der Übergriffe habe sich 2014 auf rund 1000 verdoppelt. Der „radikale Islam“, so der zuständige Minister, habe eine Scharnierfunktion zwischen altem und neuem Antisemitismus. Zu Wochenbeginn stand auch zu lesen, das Londoner Victoria & Albert Museum habe ein iranisches Poster aus dem Jahre 1990 aus seiner Online-Datenbank genommen. Warum wohl? Weil es Jesus oder Moses in unvorteilhafter Pose zeigt? Natürlich nicht. Dargestellt ist ein lächelnder Mohammed. Der gutgelaunte Bursche muss weg. Das Sicherheitsteam des Museums habe die Zensur nahegelegt. Terror wirkt, heißt das.

Terror wirkt


Auch 2015 wird der radikale Islam Tod und Schrecken verbreiten unter den minder radikalen Muslimen und den Angehörigen sämtlicher anderer Religionen. Da, wie unlängst Ahmad Mansour darlegte, „die meisten muslimischen Verbände sich seit Jahren als Opfer der Gesellschaft“ darstellen und die Gewaltprävention vernachlässigt haben, ist von deren Seite nicht unbedingt ein nachhaltiger Beitrag zur Friedenssicherung zu erwarten. Umso wichtiger sind die Reaktionen der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaften in Europa. Welche Signale sendet man aus, hinein in die Köpfe und Herzen so ganz unterschiedlich prädisponierter Muslime? Hier ist ein Perspektivenwechsel zu beobachten. In den ersten Tagen nach den islamistischen Morden von Paris dominierte die Solidarität mit den Opfern. Mittlerweile nähert man sich der Täterperspektive mit überraschend hohem Einfühlungsvermögen: Muss man vielleicht doch Verständnis dafür haben, dass besonders Fromme besonders reizbar sind? Muss man vielleicht Blasphemie stärker unter Strafe stellen?

Die CSU fordert eine solche Verschärfung des Straftatbestands der Gotteslästerung, der Bonner Rechtsprofessor Christian Hillgruber sprang ihr in der FAZ bei. Auch das stand gestern zu lesen: Die „Duldung von Religionsdiffamierung“ sei ein „Integrationshindernis ersten Ranges“. Der „wechselseitige Verzicht auf Beschimpfungen“ religiöser Bekenntnisse sollte nun „rechtsverbindlich eingefordert werden“. Wird der Gesetzgeber auf Hillgrubers Ruf reagieren? Vorauseilend strecken Öffentlichkeitsarbeiter die Waffen. Der Chefredakteur der New York Times bekräftigte, seine Zeitung werde keine Mohammed-Karikaturen drucken. Unter seinen Lesern seien zu viele „Menschen, die sich durch Satire über den Propheten Mohammed beleidigt fühlen würden.“ Ist das sensibel und klug – oder feige und ängstlich?

Eine neue, falsche Front


Mit der Forderung nach Maßnahmen, reizbare Muslime zu besänftigen, öffnet sich eine neue, eine falsche Front. Glaubt wirklich jemand, muslimischer Antisemitismus schwinde, wenn künftig in Ennepetal und Kitzingen das Verbreiten gewisser Zeichnungen strafbewehrt ist oder im Internet kein Mohammed lächelt? Glaubt wirklich jemand ernsthaft, jede Moscheegemeinde werde zum Friedenslabor, wenn an den Kiosken davor zensierte Zeitschriften feilgeboten werden? Not tut vielmehr die entschiedene, die selbstbewusste Stärkung der Meinungs- und Religionsfreiheit, zu welcher die Freiheit des Religionswechsels gehört. Die westlichen Mehrheitsgesellschaften müssen den unveräußerlichen Kern ihrer Demokratie entschlossener denn je benennen und verteidigen: Ja, liebe Bürger, ihr dürft den Islam gerade so verlassen wie das Christentum, das ist euer gutes Recht. Ja, liebe Bürger, ihr müsst es ertragen, dass viele andere Menschen viele Dinge ganz anders sehen, auch solche Dinge, die euch besonders am Herzen liegen.

Ich bin kein Freund der Blasphemie. Meistens ist sie das Resultat einer intellektuellen Unreife und eines grundlegenden Mangels an Umgangsformen. Auch geistige Pöbelei ist rüpelhaft, Spott ziert keinen Ehrenmann. Doch wenn ich die Wahl habe zwischen einer freien Gesellschaft, in der Spott und Unreife um der Freiheit willen geduldet werden, und einer Gesellschaft, die aus Angst einen islamophilen Schutzwall errichtet und so sich selbst kasteit, dann ist meine Wahl klar: Ich ziehe die freie Gesellschaft mit all ihren Abgründen vor. Lieber setze ich mich in einer freien Gesellschaft für bessere Umgangsformen und bessere Bildung ein, als in einer unfreien Gesellschaft um diese Wahl gebracht zu werden. Genau an dieser Scheidelinie verläuft die Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem Rest der Welt am Beginn des 21. Jahrhunderts: Wollen wir die Freiheit opfern für die Illusion, dadurch die Freiheitsfeinde zu besänftigen?

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