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FDP - Currywurst und Untergangsstimmung

Die Bundestagswahl ist eine historische Niederlage für die FDP. In Berlin sind die Liberalen an vernichtende Ergebnisse schon gewöhnt. Sie zelebrieren den Untergang auf ihre Weise

Autoreninfo

Studiert Politikwissenschaften in Hamburg und hat unter anderem für die Süddeutsche Zeitung geschrieben.

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Der 19. September 2011 war ein pechschwarzer Tag für die Berliner FDP. Mit 1,8 Prozent flog sie aus dem Abgeordnetenhaus. Ein ähnlich miserables Ergebnis fuhren lediglich die NPD und die Tierschutzpartei ein.

Doch das war nur der Auftakt zu einem noch frustrierenderen Szenario ziemlich genau zwei Jahre später. Wieder sind die Berliner Liberalen in Untergangsstimmung.

Die Wahlparty des Landesverbands gleicht einem Leichenschmaus, auf dem Currywurst, Steak und Kartoffelsalat gereicht werden. Dazu fließen Bier und Weißwein in Strömen. Auf den Stehtischen im feudalen Weinlokal Habel am Reichstag stehen Vasen mit gelben Rosen und possierlichen FDP-Wimpeln. Ein Mann mit schwarz-gelber Fliege drängelt sich verbissen durch die Masse der Wartenden. 

Unter den Parteimitgliedern glaubt vor der ersten Prognose keiner mehr so recht daran, dass die Fünf-Prozent-Hürde zu knacken ist. Deprimierte Blicke ins Bierglas, tiefe Stirnfalten und hitzige Diskussionen über die Umfragewerte der Union sprechen für sich.


Die Liberalen fühlen sich im Stich gelassen


Die meisten sind sich einig, dass sie heute Abend eine historische Niederlage zelebrieren werden, und keinen auch noch so knappen Triumph. Dementsprechend bestätigen die ersten Zahlen um 18 Uhr auch nur die schlimmsten Vermutungen. Ton gibt es keinen: Macht nichts. Die Leute stehen so dicht gedrängt vor der Leinwand, dass die Hinteren nichts sehen. Auch das stört nicht weiter. „Vier Komma sieben Prozent“ tönt es von allen Seiten durch den Saal. Ein paar stöhnen gequält auf, hier und da ein abfälliges Schnauben für das Unions-Ergebnis, resigniertes Kopfschütteln. „Das ist ja entsetzlich“, raunt eine zierliche Frau mit gelb gemustertem Halstuch im Hintergrund. „Das war’s mit der FDP“, konstatiert ein Mann mit Bierglas in der Hand. Es ist halb leer. 

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Empört sind die Liberalen weniger über ihr eigenes Ergebnis, sondern darüber, dass die Union und ihre Wähler sie dermaßen im Stich gelassen haben. Statt der FDP gnädigerweise ein paar Leihstimmen abzugeben, hat sich die Wählerschaft auf die CDU konzentriert und die Liberalen voll abgestraft. Ein paar junge Anzugträger fangen an ihrem Tisch lautstarke Debatten an.

Bevor die Stimmung total kippt, entert der stellvertretende Berliner Fraktionsvorsitzende Martin Lindner das Redepult. Handys werden gezückt, die Liberalen spenden großzügig Beifall – wie um sich selbst Mut zuzusprechen. „Das ist nicht das, wofür wir gekämpft hatten“, ruft Lindner. Aber: „Es gibt noch die Chance, dass wir unsere Regierungsarbeit fortsetzen können“. Oder eben nicht. Es sei noch alles offen. Die Parteikollegen applaudieren lange. Außer Lindner hat keiner Lust, etwas zu sagen.

Langsam verlagert sich die Veranstaltung nach draußen. Deprimierte FDPler zünden sich dicke Zigarren an. Von alkoholfreien Getränken scheint niemand etwas zu halten: Wein und Bier sind eher dazu geeignet, den Schmerz zu lindern. Ein Herr im schwarzen Anzug stapft rastlos die Straße auf und ab, das Handy am Ohr. „Die erste Hochrechnung bei 4,7 Prozent. Mal sehen, wo das hinführt“.

Mitja Schulz, der Landesvorsitzende der Jungen Liberalen, steht mit einem Grüppchen Parteikollegen draußen auf dem Bürgersteig. „Dass das Ergebnis unter fünf Prozent ist, damit hätte ich nicht gerechnet“, sagt er. Und dass die AfD noch ein paar Prozentpunkte über seiner Partei liegt, sei erst recht ein schlechtes Signal. Für ihn war der Wahlkampf ein Desaster: „Ich halte nichts von der Zweitstimmenkampagne, das war eine absolute Fehlentscheidung“, kritisiert er die Parteispitze. „Wir wollen von den liberalen Wählern für unsere Inhalte gewählt werden." Und nicht aus Mitleid.

Eine halbe Stunde später flimmern die Granden der FDP über den Bildschirm. Ein paar Anwesende starren auf Westerwelle und Rösler. Brüderle bewegt den Mund. Wieder gibt es keinen Ton.

 

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