- Die Rache der Entmachteten
Auf dem Parteitag in Bremen stellte Bernd Lucke kritische Funktionäre kalt. Jetzt schlagen sie zurück. Die kommenden Wochen entscheiden, ob die AfD im Jahr 2017 eine realistische Chance erhält, in den Bundestag einzuziehen
Nach der erfolgreichen Parteigründung und den Wahltriumphen des vergangenen Jahres ist die Euphorie bei den Euro-Kritikern inzwischen verflogen. Der innerparteiliche Machtkampf ist voll entbrannt. Mit allen Tricks, die das politische Gewerbe bereithält, gehen die Kontrahenten aufeinander los. Gezielte Indiskretionen und Diffamierungen gehören genauso dazu wie öffentliche Appelle. So soll das innerparteiliche Kräfteverhältnis neu vermessen werden. Mittlerweile bekriegen sich die Flügel der Partei mit Resolutionen. Steht die AfD vor einem Rechtsruck, oder gar vor der Spaltung?
Auf dem Parteitag in Bremen Anfang des Jahres hat sich der Parteigründer Bernd Lucke vielmehr die alleinige Macht in der Partei gesichert. Lucke hatte die Partei erpresst, um seine Parteireform durchzusetzen. Der Volkswirt und Europaabgeordnete will die AfD ab dem kommenden Jahr alleine führen. Er will aus der AfD eine Partei machen, die zwar rechts von der Union steht, aber sich bürgerlich, konservativ, wirtschaftsliberal gibt und schon bald koalitionsfähig gegenüber der CDU werden könnte. Die Parteibasis war in großer Zahl nach Bremen gereist. Mehr als zwei Drittel der dort anwesenden Mitglieder stellten sich auf seine Seite. Unter den einfachen Parteimitglieder wird Lucke verehrt; für sie ist der Parteigründer sakrosant.
Viele in der Parteispitze wollen eine radikalere AfD
Viele Funktionäre jedoch ballten auf dem Bremer Parteitag die Faust in der Tasche. Sie sind genervt von Luckes professoraler Attitüde, seinem unkollegialen Führungsstil, seinen politischen Alleingängen. Sie wollten ihn deshalb weiter in eine kollektive Führung einbinden – und an der Dreierspitze festhalten. Am Ende mussten sie eine Niederlage einstecken.
Doch Luckes Sieg hat einen Preis. Seine Mitstreiter an der Parteispitze vertrauen ihm nicht mehr. Viele von ihnen wollen zudem eine andere Partei, rechter und radikaler, nationaler und islamkritischer. Das Thema Euro reicht ihnen schon lange nicht mehr. Mit wirtschaftsliberalen Forderungen haben sie nichts am Hut. Die CDU ist für sie Teil eines verhassten Parteienkartells und kein möglicher Koalitionspartner.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Lucke-Gegner zurückschlagen würden. Bis die Entmachteten versuchen würden, für die Niederlage in Bremen Rache zu nehmen. Jetzt hat Björn Höcke, Landeschef der AfD Thüringen, mit der Erfurter Resolution gegen Bernd Lucke mobilisiert. Es ist keine Überraschung, dass der Aufstand gerade von ihm angezettelt wurde. Höcke ist ein politischer Grenzgänger: Der Fraktionsvorsitzende im Erfurter Landtag will keine gemäßigte Rechtspartei, die an die alte CDU erinnert, sondern er will das ganze etablierte Parteiensystem herausfordern. Er will keine technokratische Professoren-Partei, sondern eine populistische Wutbürger-Partei, zu dessen politischer Basis auch die Dresdner Pegida-Demonstranten gehören.
Henkel warnt davor, aus der AfD eine „sektiererische Rechtsaußenpartei“ zu machen
Höcke stammt aus dem nordrhein-westfälischen Lünen. Er hat Sport und Geschichte studiert, lebt im thüringischen Eichsfeld und war bis zu seinem Einzug in den Landtag Lehrer an einer hessischen Gesamtschule. Höcke repräsentiert den Rechtsaußenflügel der AfD. Er vertritt völkische Ideen, fordert die Zahl der Flüchtlinge, die Deutschland aufnimmt, zu begrenzen, spricht von „kultureller Gleichschaltung“ und bezieht sich in seinen Reden gerne auf die politischen Theorien der Neuen Rechten.
Auch die Erfurter Resolution lehnt sich daran an. So wird die AfD darin etwa als „Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte“ oder als „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ beschrieben. Selbst der AfD-Europaabgeordnete Hans-Olaf Henkel, ein enger Vertrauter Luckes, warnt mit Blick auf Höcke und die Erfurter Resolution davor, aus der AfD eine „sektiererische Rechtsaußenpartei“ zu machen, die sich auf „völkisches Gedankengut“ reduziere, „Ausländerfeindlichkeit“ in Kauf nehme und „primitiven Antiamerikanismus“ verbreitet. In einer mittlerweile von Lucke initiierten Gegenresolution, der Deutschland-Resolution, heißt es, die Anhänger der Erfurter Variante wollten die AfD „auf Provokation und Protest verengen“, sie schadeten der Einheit der Partei.
Lucke gegen Höcke, Deutschland-Resolution gegen Erfurter Resolution, Rechtskonservative gegen Nationalchauvinisten: So heißt mittlerweile die Aufstellung im innerparteilichen Machtkampf. Weil viele Lucke-Gegner aus Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg stammen, erscheint der Machtkampf in der AfD auch als Ost-West-Konflikt. Der Riss, der durch die AfD geht, ist tief und scheint kaum noch überbrückbar.
Noch nie ist eine Partei so schnell gewachsen
Seit ihrer Gründung im April 2013 verzeichnete die AfD einen rasanten Aufstieg. Nun folgt eine entsprechend rasante Konsolidierungsphase. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Partei nach ihrer Gründung so schnell so viele Wahlerfolge erzielt, noch nie ist eine Partei so schnell gewachsen. Bereits ein gutes Jahr nach der Parteigründung feierte die AfD ihre ersten Wahlerfolge, bei den Grünen dauerte es drei Jahre bei den Piraten sogar fünf. Mittlerweile hat die AfD rund 22.000 Mitglieder. Mehr als fünf Millionen Euro erhält die AfD allein für das Jahr 2014 aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Auch das viele Geld erweckt Begehrlichkeiten und heizt die Machtkämpfe an. Kein Wunder, dass die Konflikte nun mit solcher Vehemenz ausgetragen werden. In den vergangenen zwei Jahren hat es die unterschiedlichsten Menschen in die AfD und in politische Ämter und Mandate gespült. Manche sind diesen nicht gewachsen, andere verfolgen ihre ganz persönliche politische Agenda, vielen fehlt jede politische Erfahrung. Auch Nerds und Verschwörungstheoretiker sind zur AfD gestoßen. Die Euro-Kritik hingegen trägt als Markenkern auf Dauer genauso wenig wie die Dauerpolemik gegen die „Altparteien“. Einen Konsens über die politischen Ziele, verbindende Grundüberzeugungen oder gemeinsame Werte gibt es bei der AfD bislang hingegen nicht.
Das soll sich zwar noch vor der Bundestagswahl 2017 ändern. Bis zum Jahresende will die AfD ihr Parteiprogramm verabschieden und so zumindest den innerparteilichen Richtungsstreit befrieden. Aber derzeit scheint es unvorstellbar, das dies gelingen kann. Allein zeitlich lässt sich die Herausforderung bis dahin kaum bewältigen. Vor allem aber scheint es mittlerweile unvorstellbar, dass sich Transatlantiker und Moskauversteher, Anhänger des Freihandels und TTIP-Gegner, Verteidiger der Religionsfreiheit und Islamgegner, Liberale und Rechte, Professoren und Populisten auf ein Programm verständigen können.
Dass der Riss in der AfD kaum noch überbrückbar scheint, hat allerdings auch viel mit der Person Lucke zu tun. Eigentlich könnte er ganz gelassen sein. Der Parteichef ist erfolgreich, hat in Ost und West Wahlen gewonnen, er weiß die große Mehrheit der Partei hinter sich und hat alle innerparteilichen Machtkämpfe der letzten drei Jahre für sich entschieden. Der Parteichef ist das bekannteste Gesicht der Partei. Er ist talkshowtauglich. Lucke ist die AfD.
Doch Lucke versteht es immer wieder, selbst enge Mitstreiter gegen sich aufzubringen, er führt die Partei wie einen Lehrstuhl.
Ist Frauke Petry eine Alternative zu Lucke?
Viele AfDler glauben deshalb, Frauke Petry könne eine personelle Alternative zu Lucke an der Spitze der AfD sein. Die Sächsin, die ebenfalls zu den Parteigründern gehört und neben Lucke der Partei vorsteht, bringt jene politische Integrationskraft mit, die Lucke vermissen lässt. Ihren Landesverband führt die Landes- und Fraktionsvorsitzende unangefochten und erfolgreich. Petry versucht sich als integrative Politikerin zwischen den Flügeln zu profilieren. Im aktuellen Machtkampf lässt sie sich deshalb bislang weder von Höcke noch von Lucke vereinnahmen. Keine der beiden Resolutionen, die die Partei derzeit polarisieren, wird von ihr unterstützt.
Doch Petry weiß: Sie kann sich nicht gegen Lucke stellen, zumindest nicht bis zur Bundestagswahl. Petry weiß auch: Noch hätte sie gegen diesen keine Chance. Denn wie der Parteitag in Bremen gezeigt hat, kann Lucke immer die Basis mobilisieren, wenn die Funktionäre ihm nicht folgen.
Noch hält Lucke deshalb alle entscheidenden Fäden der Macht in seinen Händen. Er hat nicht nur agile Gegner, sondern vor allem auch starke Unterstützer. Im Sommer bekommt er zudem einen Generalsekretär zur Seite gestellt. So bleibt Lucke zumindest für die kommenden zweieinhalb Jahre die politische Schlüsselfigur der AfD. An ihm entscheidet sich die Zukunft der Partei. An ihm entscheidet sich, ob es gelingen kann, 2017 in den Bundestag einzuziehen. Mit Lucke wird es eine Herausforderung, denn der Zauber des Anfangs ist bei den Mitgliedern und auch bei den Wählern längst verflogen.
Aber ohne Lucke kann die AfD einpacken.
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