- Abgeordnete in der Volkshochschule Internet
Das erste Mal sitzen sich Wirtschaftsvertreter, Abgeordnete und bloggende Internetaktivisten gegenüber, um in einem Parlament über das Netz zu reden. Es geht erwartungsgemäß hoch her. Aber liegt das an echten Streitfragen oder an der neuen Transparenz einer Teilöffentlichkeit, die alle Teilnehmer zu Schauspielern macht?
Die wichtigsten Probleme sind ausgehandelt. Zur besten Sendezeit resümiert der Bundestag am Freitag über die Ergebnisse der „Enquete Internet und digitale Gesellschaft“. Noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Enquete öffentlich getagt, zumindest die wichtigen Vollsitzungen der Enquete werden via Livestream übertragen, die 26. Expertenkommission ist längst zu einem wilden Schauspiel geworden. 17 Parlamentarier in Parteiproporz und die von ihnen ausgewählten 17 Sachverständigen reden über alles, was aus dem Lebensraum Internet in die politische Realität hineinstrahlt. Am Ende werden Handlungsempfehlungen ausgegeben. Kein anderes Parlament auf der Welt hat sich dieser Aufgabe bisher gestellt.
Während einige Stimmen die Enquete schon jetzt für gescheitert erklären, halten die Parlamentarier der Koalition dagegen. Falsch, sagen sie, der teilöffentliche Charakter der Enquete habe nur die Wirklichkeit verzerrt. Und eigentlich seien sich alle einig. Wenn die von der Partei DIE LINKE berufene Sachverständige Constanze Kurz von einer „verstrichenen Chance auf die Vorreiterrolle einer demokratischen Netzpolitik“ spricht, zeuge das nur von zu hohen Erwartungen.
Müssen Gesundheitsminister Ärzte sein? Ein Politiker grundsätzlich Pädagoge? Brauchen Netzpolitiker systemkritische Aufkleber auf ihren Macbooks? Wäre das so, der Christdemokrat Axel E. Fischer hätte als Leiter der Kommission kaum eine Eignung. Er will das „Vermummungsverbot im Internet“. Jeder solle für sein Handeln im Netz verantwortlich gemacht werden können und unter einem Klarnamen agieren. Möglich, dass Fischer sich einen politischen Geniestreich ausgerechnet hatte. Es war jedoch eher eine unkluge Provokation.
Aber trotz anfänglicher Distanz zum Thema hat Fischer schnell in seine Rolle als Moderator hineingefunden. Er hält sich zurück, kann vermitteln, hat die Geschäftsordnung im Griff. „Zwei Welten trafen aufeinander“, sagt der FDP-Abgeordnete Jimmy Schulz. Und als Mediator zwischen Union, Opposition und Sachverständigen des Chaos Computer Club macht Fischer seinen Job. Er kennt das parlamentarische Geschäft.
Um die Werkzeuge der Transparenz musste die erste teilöffentliche Kommission ordentlich ringen, die Bundestagsverwaltung stellte ein paar Kameras für den Livestream der Sitzungen ab. Doch die neue Transparenz schmeckt nicht allen. Reinhold Brandl von der CDU ist erbost, weil außerparlamentarische Absprachen zum Zwecke der Gesichtswahrung in den öffentlichen Sitzungen übergangen werden. Was mit den öffentlichen Sitzungen nach außen dringe, sei das reine Gegeneinander. „Dadurch, dass jede Wortmeldung auf Twitter kommentiert wird und direkt in die Sitzung rückkoppelt, werden Kompromisse nicht mehr honoriert. Das vermittelte Bild ist nicht die Wirklichkeit, sondern ein Schauspiel.“
Denn eigentlich sind die Unterschiede bei den Netzpolitikern „nicht so groß, wie sie gerne dargestellt werden", pflichtet der FDP-Netzpolitiker Schulz bei. „Da herrscht kein Krieg. In dem Moment, wenn die Kameras angeschaltet werden, verhalten sich Abgeordnete und Sachverständige plötzlich anders.“ Auf einmal werde die Konfrontation gesucht und polemisiert.
Es stimmt, viele Existenzen hängen davon ab, dass die netzpolitische Debatte zwischen David und Goliath heiß bleibt. Es sind vor allem die Blogger, Journalisten und selbsternannten Netzhüter, die an dieser Dramaturgie ein Interesse haben. Sie tragen dafür Sorge, dass die Zukunft zwischen den Aktivisten aus der Mitte der Netzgemeinde und einem globalen Überwachungsstaat verhandelt wird.
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In der Tat gibt es aber eine ungleiche Gemengelage im Gremium. Mehrere Sachverständige arbeiten für große Verbände. So wie der CDU-Sachverständige Bernhard Rohleder. Er ist Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbrache (BITKOM). Dieser kann erhebliche Ressourcen aufwenden, um Studien anfertigen zu lassen und Vorschläge einzubringen. Mehr Ressourcen, als den Bundestagsabgeordneten zur Verfügung stehen. Hinzu kommt das scheinbar unvermeidliche Fraktionsverhalten. Markus Beckedahl beschreibt gar ein politisches Intrigenspiel. Er ist zugleich Betreiber des Blogs netzpolitik.org, dem Quasi-Zentralorgans für Netzpolitik in Deutschland, und als Sachverständiger in der Enquete. Es geht um Verschleppungen, Manipulationen und Befangenheiten.
Vor allem bei der Frage einer gesetzlich abgesicherten Gleichbehandlung der Datenströme lag das Gremium im Clinch. Hier wurde die Öffentlichkeit zum Zeugen harter parlamentarischen Gepflogenheiten. Zwar sind sich alle darin einig, dass die sogenannte Netzneutralität behütet werden soll. Eine staatliche Gewährleistung will die schwarzgelbe Mehrheit aber verhindern, da sie im Moment keine Verstöße gegen den freien Datenverkehr sieht. Netzneutralität bedeutet, dass alle Sorten von Daten, ob Mails, Internettelefonie, Videos oder Krankenakten gleichberechtigt zwischen Sender und Empfänger pendeln. Während private Unternehmen längst ihre eigenen Kabel verlegen, geht es im nationalen Raum nicht um die sogenannte Reaktionszeit einer Verbindung, sondern um die Datenmenge.
Private Nutzer interessieren sich für große Downloads und Videos. Von Seiten der Koalition wird ein sich abzeichnender Datenengpass behauptet, für den es aber keinerlei Beweise gibt. Es soll grundsätzlich möglich sein, Daten in Klassen zu staffeln. Am Beispiel von medizinischen Daten klingt dies wünschenswert, räumt aber auch die Möglichkeit einer bezahlten Vorfahrtsstraße ein. Gleichzeitig würden zum Beispiel die Betreiber von Internetfernsehen für die Bevorzugung ihrer Daten große Summen zahlen.
In der Enquetekommission schien Ende Juli ein knappes Votum für eine gesetzliche Netzneutralität möglich, das im diametralen Widerspruch zu den von der Regierung geplanten Datenklassen stünde. Doch dann beantragte der FDP-Sachverständigen „padeluun“ plötzlich die Vertagung der Abstimmung. Der Künstler und ehemalige Punk möchte als Sachverständiger nur unter Pseudonym auftreten, er war zuvor mehrfach durch sein unabhängiges Abstimmungsverhalten als „Zünglein an der Waage“ aufgefallen. Nun wurde er in die Parteidisziplin gezwungen.
Hinter verschlossenen Türen verbrachte die Koalition mit ihren Sachverständigen eine redselige Mittagspause. Die Abstimmung wurde um Monate verschoben, „padeluun“ enthielt sich nun der Stimme. Was Markus Beckedahl eine Schmierenkomödie nennt, scheint eher dem parlamentarischer Alltag zu entsprechen. Kein Wunder also, dass Axel Fischer in seiner Stellungnahme zu diesem Vorgang an dem Kernproblem vorbeiredet. „An dieser Stelle ist die Enquete mit ihrer Zielsetzung gescheitert, einen Ausblick in die Zukunft zu schaffen, den Weg und die Instrumente dorthin aufzuzeigen", sagt er und versucht der Opposition die Schuld zuzuschieben. Sie sei an denjenigen gescheitert, "die in der Gegenwart verhaftet sind und seit Jahren die gleichen Grabenkämpfe führen.“ Aber wäre nicht die Genehmigung von Datenklassen der Anfang vom Ende des freiheitlichen Netzes?
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Die Rechtfertigung Fischers ist auch bemerkenswert, da Wertediskussionen in der bisherigen Debatte der Kommission nach Meinung der Opposition ausgeblendet werden. „Akute Fragen nach der Macht, die den neuen Daten-Herrscherhäusern Google, Apple und Facebook nahezu widerstandsfrei in den Schoß fällt, werden ausgeklammert“, erklärt Constanze Kurz. Sie ist unter anderem Sprecherin des Chaos Computer Clubs. „Das Netz funktioniert deswegen so hervorragend, weil sich Staaten raushalten, weil es sich selber organisiert", hält der Wirtschaftliberale Jimmy Schulz dagegen. Wie jedoch das Beispiel der Abstimmung über die Netzneutralität zeigt, trägt er damit dem Strukturwandel des Netzes keine Rechnung und offenbart eine gefährliche Marktgläubigkeit. Denn die Vorzugsbehandlung von Daten scheint längst eine von Wirtschaftsinteressen entschiedene Frage zu sein. Im Verborgenen findet das Sortieren von Datenklassen schon statt, die Provider hüllen sich darüber in Schweigen.
Wie also über Netzpolitik diskutieren? Als politische „Querschnittsaufgabe“, ein Begriff, den die Mitglieder der Enquete-Kommission wie ein Mantra herunterbeten? Als globales Zukunftsmodell, gar Utopie? „Viel zu sehr wurden tagespolitische Streitfragen in die Kommission hineingetragen“, lautet das Fazit des CDU-Abgeordneten Thomas Jarzombek. „Wir sollten nicht ständig an existenter Gesetzgebung herumdoktern“, meint Jimmy Schulz. Beim Urheberrecht etwa, diesem anderen großen Problemfeld, wünscht sich Schulz ein unvoreingenommenes Herangehen ohne Randbedingungen. Es zeichne sich ab, dass alte Geschäftsmodelle aussterben. „Was wäre, wenn wir mal auf Grundlage der Theorie des weißen Blattes nach dem perfekten Urheberrechtsmodell suchen?“ Doch solchen Fragen stellt sich die Kommission nicht und demonstriert so, wie sehr sie zwischen Alltagsproblemen, Überambition und Fragen philosophischer Tragweite schwankt.
Konstantin von Notz, als netzpolitischer Sprecher für die Grünen in der Enquete, bringt es auf den Punkt. „Eine Allzuständigkeit ist wie eine Nichtzuständigkeit. Das führt letztlich dazu, das nichts entschieden wird.“ In der Plenardebatte des Bundestags fiel die Zwischenbilanz erwartungsgemäß eher positiv aus. Darüber hinaus wurden die Ergebnisse der Projektgruppe Medienkompetenz vorgestellt. Eine beschlossene Handlungsempfehlung in diesem Themenfeld lautet, allen Schülern ein Internetempfangsgerät bereitzustellen. Bis zum Sommer folgen nicht minder kontroverse Themen – Forschung und Bildung, Demokratiemodelle, Sicherheit und quelloffene Software. Dann endet die zweijährige Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“. Wenn alles glatt geht.
Obwohl in der parlamentarischen Debatte der Kommission viele Wagnisse zerrieben wurden, könnte sie eine Signalwirkung haben. „Wenn es einen Ausschuss Europa im deutschen Bundestag gibt, der auch Beschlusskraft hat, dann wäre eine unserer Handlungsempfehlungen im Sommer vielleicht, einen entsprechenden Ausschuss Internet zu bilden“, so Fischer. Im nächsten Bundestag dürfte auch die Piratenpartei ein Wörtchen mitzureden haben, sie wäre dann ein „Zünglein an der Waage“. Vielleicht ist der Weg zu einer demokratischen Netzpolitik gerade erst beschritten.
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