- Ein Recht auf Blasphemie
Frankreich hat am Wochenende gezeigt, wie eine Demokratie einen Angriff auf ihre Werte mutig verteidigt. Die Pegida-Bewegung dagegen will den Anschlag auf Charlie Hebdo für ihre "Islamkritik" missbrauchen
Paris macht es vor. Einer schrecklichen Tat folgt eine Welle der Solidarisierung – mit den Opfern, der Freiheit, mit Demokratie und Laizismus. Während man hierzulande noch darüber diskutiert, wer sich denn nun bitteschön wovon und in welchem Namen zu distanzieren hat, geht von über einer Million Franzosen ein ganz wunderbares Signal um die Welt: dass ein Bekenntnis viel eindrücklicher ist, wenn es nicht abgrenzend, sondern positiv und nach vorne gerichtet ist. Die Menschen vom Place de la République haben aus einem Distanzierungszwang ein Solidarisierungsgebot gemacht.
Sie zeigen sich und der Welt, zeigen den Fanatikern, dass ihr Versuch, zu trennen, zu spalten, gescheitert ist. Ihr habt weder Witz, Verstand noch Würde, rufen sie trotzig und ausdauernd. Die Attentäter wollten die Darstellung und Überzeichnung ihres Gottes verhindern, ihr faschistoides Bild einer Gesellschaft anderen Gesellschaften mittels Gewalt aufzwingen und haben das Gegenteil erreicht: Sie haben durch ihre Tat die Darstellungen, die sie doch vernichten wollten, über den ganzen Globus getragen. Die Chiffre „Je suis Charlie“ und die Karikaturen haben sich innerhalb kürzester Zeit in der ganzen Welt verteilt. Welch Ironie. Ganz im Sinne Charlie Hebdos. Die mutigen Karikaturisten hätten sicher eine wunderbare, passgenaue Zeichnung dafür.
„Je suis Charlie“ heißt aber auch, die Trennung von Religion und Staat ernst zu nehmen. Ernster als bisher. Es heißt auf die Spitze getrieben, dass Blasphemie ein Menschenrecht ist. Auch diese Botschaft geht um die Welt. Dass die Islamisten gerade gegen Satire und Satiriker vorgehen, zeigt den humorlosen Kern dieser Reaktionäre.
Muslime nicht in Geiselhaft nehmen
Da hilft es wenig, wenn Politik und Funktionäre unmittelbar nach dem Anschlag erklären, die Tat habe nichts mit dem Islam, habe nichts mit Religion zu tun. Natürlich hat sie das. Ich würde ja auch nie auf die Idee kommen, zu sagen, die Kreuzzüge oder der Dreißigjährige Krieg hätten nichts mit dem Christentum zu tun gehabt. Richtig ist, dass die friedliebende Mehrheit der Muslime nicht in Geiselhaft für die Gewalt einer extremen Gruppe genommen werden darf. Das muss die Formel sein.
Die Frage aber, warum sich Religionen so leicht für Gewalt missbrauchen lassen, bleibt und stellt sich neu. Monotheistische Religionen, wenn man sie lässt, konkurrieren grundsätzlich mit Demokratie. Sie haben immer einen absoluten Kern.
Einer der ersten Sätze im Koran lautet: „Dies ist ein vollkommenes Buch. Es ist kein Zweifel darin.“ Wer aber nicht zweifelt, der kann kein Demokrat sein. Nur Ideologien sind vollkommen und ohne Zweifel. Im alten Testament ist im Übrigen Ähnliches zu finden.
Die hier friedlich lebenden Muslime sind das beste Beispiel dafür, wie der Fanatismus zu bekämpfen ist. Durch säkularen Druck innerhalb freiheitlicher Gesellschaften. Freiheiten wurden immer gegen Religionen erkämpft. Fromme Demokraten üben ihren Glauben privat aus und leben im Einklang mit dem Rechtsstaat.
Der Riss verläuft zwischen Freiheitsliebenden und Ideologen
Es ist nicht immer einfach, zwischen gebotener Religionskritik und ausuferndem Rassismus zu unterschieden. Gerade weil die Rechten auf diesen Zug aufspringen, vor einer vermeintlichen Islamisierung des Abendlandes warnen, dürfen wir ihnen nicht das Feld überlassen.
Die Pariser Terroristen haben mit ihrer Tat gezeigt, dass sie über das Leben anderer verfügen wollen. All jene, ob Pegidaisten oder AfDler, die nun in den Je-suis-Charlie-Chor einstimmen, wollen nun über den Tod der Zeichner verfügen, wenn sie diese für ihre Zwecke missbrauchen. Doch der Riss verläuft nicht zwischen Christen und Muslimen, zwischen Abend- und Morgenland, wie uns die Rechten glauben machen wollen. Es ist ihr Kulturkampf. Diesen dürfen wir uns nicht aufzwingen lassen. Weil der Begriff der Rasse tabuisiert ist, wird er immer öfter durch einen Kulturbegriff ersetzt, der allein auf die ethnische Dimension von Kultur abzielt. Nein, der Bruch verläuft zwischen Freiheitsliebenden und Ideologen.
Charlie Hebdo hätte diesen kleinbürgerlichen Extremisten der Mitte den passenden Spiegel vorgehalten. Doch die vielen Menschen in Paris, die friedliche Stimmung, das Zusammengehörigkeitsgefühl, das „Je suis Charlie“, „Je suis Ahmed“, „Je suis juif“, machen Mut, dass es auch anders geht.
Paris hat es vorgemacht. Können wir das auch?
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