- Der zweite Papst
Ab und zu erzählt er auch mal einen Witz, um die Stimmung aufzulockern: Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Wer geglaubt hat, Bertone sei am Ende, der irrt: Der Papst hält an seiner „bella figura“ fest – trotz heftiger Kritik
Es war ein typischer Bertone-Termin. Einer, von dem er wohl selbst weiß, dass einige im Vatikan wieder die Augen rollen werden. Kurz vor der Sommerpause bekam Kardinal Tarcisio Bertone, der zweitwichtigste Mann im Vatikan, Besuch vom deutschen Botschafter am Heiligen Stuhl und von einem Vertreter von Mercedes-Benz. Die beiden Herren hatten ein Geschenk dabei: das Modell eines Formel-1-Mercedes. Ein netter Gag, ein Insiderwitz unter Vatikan-Besuchern, steht doch in Bertones Empfangszimmer im Apostolischen Palast bereits ein rotes Ferrari-Modell, dessen Bedeutung für die vatikanische Diplomatie nicht hoch genug einzuschätzen ist. Der Ferrari dient als Eisbrecher zwischen Gastgeber und Gast. Ein, zwei lockere Sprüche über das Automodell, bevor es etwa um das Verhältnis von Kirche und Staat in Guatemala geht.
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Für eine lockere Gesprächsatmosphäre sorgen, einen Witz machen. Es gibt viele im Vatikan, die dies als eine herausragende Fähigkeit Bertones anerkennen – und ebenso viele, die dies für seine einzige Fähigkeit halten. War es schon bislang eine regelrechte Manie einiger Kurialer, bei jeder Gelegenheit über Tarcisio Bertone herzuziehen, ist seit der Veröffentlichung geheimer Vatikan-Dokumente daraus offenbar ein regelrechter Kampf gegen den 77-Jährigen geworden: Der Kardinal soll vor den Augen der Welt als unfähig dargestellt werden. Immer häufiger sieht sich der Papst genötigt, Bertone demonstrativ das Vertrauen auszusprechen: Zum 75. Geburtstag vor zwei Jahren, dann 2012 bereits Ende Januar, Ende Mai und zuletzt am 2. Juli in einem öffentlichen Brief. Dass Benedikt XVI vor dem Sommer noch Ruhe geschaffen hat, begrüßen viele im Vatikan. Dass damit Bertones Abschied in weite Ferne gerückt ist, weniger. Denn: Unter Druck macht Benedikt XVI gar nichts. Erst recht nicht gegen einen Mitarbeiter, an dem er vor allem eins schätzt: seine Loyalität.
Als Tarcisio Bertone im Juni 2006 von seinem Amt als Erzbischof von Genua nach Rom ins Amt des Kardinalstaatssekretärs berufen wurde, schien dies eine gute Idee zu sein: ein erdverbundener, humorvoller, jovialer zweiter Mann als Gegenpol zum zurückhaltenden Deutschen, der wenig Lust auf große Reisen hatte und es sich zum Inhalt des Pontifikats machen wollte, den Glauben zu vertiefen. Schließlich hatte doch die Zusammenarbeit der beiden in der Glaubenskongregation schon gut funktioniert. Doch im Maschinenraum des Vatikans, dem Staatssekretariat, war man von dem Wechsel vom hochpolitischen Kardinal Angelo Sodano zum leutseligen Bertone wenig erfreut. Der Vorwurf lautete: Bertone reise zwar als eine Art zweiter Papst über die Kontinente und spiele dort auch Papst – allerdings mit dem einzigen Ziel, „bella figura“ zu machen.
Während diese wachsende Selbstgefälligkeit die bedeutendsten Kardinäle mit vielen weltlichen Ministern und Regierungschefs verbindet, hat Tarcisio Bertone im Laufe seiner Amtszeit auch in der Sache nicht immer eine glückliche Hand bewiesen. Nachhaltig geschadet hat er dem Pontifikat durch die Lässigkeit der Behandlung des Falles Richard Williamson: Weder fielen ihm die Holocaust-Leugnungen auf noch hielt er es für erforderlich, den ohnehin schon kritischen Schritt der Annäherung an die Piusbrüder ausführlich zu erläutern. Als Benedikt XVI bereits in größten Schwierigkeiten steckte, war von Bertone wenig zu sehen.
Und auch sonst gibt es genug Baustellen: Der mühsam gesponnene Faden zur Volksrepublik China ist mittlerweile abgerissen; ein Streit zwischen Irland und dem Vatikan wurde in aller Öffentlichkeit ausgetragen; mit der italienischen Bischofskonferenz liegt Bertone im Clinch, weil er alles, was Italien betrifft, am liebsten selbst regeln will. Und positive Initiativen? Vatikan-Beobachter bemängeln, dass der Vatikan zu ganz wesentlichen Fragen wie etwa der Krise der europäischen Idee im Zuge der Schuldenkrise wenig beizutragen hat. Bei aller Sympathie für Benedikt sagen auch papsttreue Journalisten in Rom: „In zehn Jahren wird man bei einem Rückblick auf diesen Papst sagen: Bertone war ein Schwachpunkt des Pontifikats.“
Schließlich gibt es auch strukturelle Gründe für die massive Kritik, die Bertone entgegenschlägt: Unter Benedikt XVI und der Regierung Bertones wurden viele Vatikan-Karrieren auf ein Nebengleis gelenkt: Während vor Benedikt die Nuntien in aller Welt damit rechnen konnten, nach ihrem Dienst im Ausland in verantwortungsvolle Posten im Vatikan zu kommen, idealerweise in der Verantwortung eines Dikasteriums (vergleichbar einem Ministeramt), setzt Benedikt XVI in der Personalauswahl andere Schwerpunkte: Leiter von Dikasterien werden Kandidaten aus der Praxis. Bertone ist so möglicherweise zum Blitzableiter ehrgeiziger Diplomaten geworden, die sich insgeheim über den Papst empören.
Tarcisio Bertone lässt sich jedenfalls nicht aus der Ruhe bringen. Verglichen mit dem, was Kardinälen in der Renaissance von ihren Kollegen widerfahren ist, ist „Vatileaks“ harmlos. Benedikt XVI wünschte ihm vor dem Sommer die Fürsprache der Jungfrau Maria und der Apostel Petrus und Paulus. Ob das seine Gegner abschrecken wird? Auch wenn Bertone erneut das Vertrauen des Papstes erlangt hat: Die Kritik an ihm macht wohl nur erzwungenermaßen Sommerpause.
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