Das Journal - Die Liebe springt

Feridun Zaimoglu erzählt von Liebesdiensten und Gottesanrufungen in den Zeiten neuer Glaubenskriege

«Das Glück», Robert Walser wusste es, «ist kein guter Stoff für Dichter. Es ist selbstgenügsam. Es braucht keinen Kommentar.» In kleinen Portionen aber kann es durchaus literaturfähig sein: «Zwölf Gramm Glück» hat Feridun Zaimoglu seinen neuen Erzählungsband mit zwölf Geschichten über die Liebe in Zeiten der neuen Glaubenskriege übertitelt, und so fein dosiert ist das Glück durchaus erträglich. Zugleich aber auch anfällig für sein Gegenteil: Die Liebe muss sich gegen Widerstände durchsetzen, das Private gegen das Politische, das Individuum gegen die Macht religiöser Systeme, das Ich gegen überkommene gesellschaftliche Wertvorstellungen.

Zaimoglus Erzählungen spielen meist im Spannungsfeld binärer Codes. Die zwischen Anspruch und Verlangen hin- und hergerissenen Figuren geraten zwischen ihnen ins Schleudern, selten aber gänzlich aus der Bahn. Manchmal fügt sich ihre Geschich­te zu einem glücklichen Ende, manchmal auch zu einem enigmatischen. Der Autor kennt die Mehrdeutigkeit und Wankelmütigkeit des Glücks. Die beiden Pole dieses Bandes liegen weit auseinander: Sind die ers­ten sieben Geschichten mit «Diesseits» überschrieben, hat Zaimoglu die restlichen fünf im «Jenseits» angesiedelt.

Diese Unterteilung sollte man eher wörtlich als transzendental nehmen. Im «Dies­seits» herrscht die Realität deutscher Großstädte, das «Jenseits» führt an abgeschiedene Orte eines mehr phantasierten als wirklichen Orients. Dort herrschen Schwüle und Aufgewühltheit, «Gotteskrieger» ringen um die heilige Sache und verlieren sie angesichts der Reize sinnlicher Körperlichkeit aus den Augen. Parallel dazu stößt ein lebensmüder junger Schriftsteller im «Diesseits», dem Hamburger Schanzenviertel, mit einem Mini Cooper zusammen und verliebt sich unsterblich in die Lenkerin des Wagens. Die Kollision verschiebt die Koordinaten seines Denkens – «die Liebe springt», Selbstmordpläne werden vertagt.

Wie in Bernardo Bertoluccis Film «Die Träumer» suchen sich Zaimoglus Figu­ren Rückzugsorte für ihre Phantasie, während draußen die Revolution oder zumindest eine Schlacht tobt: «Das Private ist nicht politisch, es steht manchmal der politischen Tat im Wege.» Der Zusammenstoß mit der betörenden Lulu genügt, um dem Erzähler, einem «Gelegenheitskomparsen» des Alltags, das Gefühl zu geben, «wirklich zu leben und zu erleben», ihn zu einem «potentiellen Lieb­haber zu machen». «Fünf klopfende Herzen, wenn die Liebe springt» ist nicht nur die schönste Geschichte des Bandes, sie gibt ihm auch eine poetische Grundgestimmtheit, die von den anderen Erzählungen aufgenommen wird.


Die Sprache ist eine Haut

Der türkischstämmige deutsche Autor Feri­dun Zaimoglu hat Liebesgeschichten geschrieben, und er hat darüber seinen sprachlichen Furor nicht verloren, sondern ihn weiter verfeinert und moduliert. In seinen ersten dokumentarischen Aufzeichnungen «Kanak Sprak» (1995) oder «Koppstoff» (1998), die Monologe junger türkischstämmiger Männer und Frauen protokollierten, erinnerten hart herausgestoßene, stak­katohafte Sätze an Formen des Hip­Hop. Sie machten Zaimoglu bekannt, prägten die Rezeption seiner Texte – und auch ein Missverständnis.

Man las die frühen Texte ausschließlich als authentische Multikulti-Berichte von den virilen und
latent gewaltbereiten Kindern der zwei­ten und dritten Migrantengeneration. Doch ging es da nie um ethni­sche Differenzen, sondern stets um soziale, nicht um eine Parallelwelt, sondern um die Bundesrepublik, die längst nur noch in der Phantasie konservativer Politiker ein homogenes Land darstellt. Dass diese Literatur vom «Rand» kam, machte sie reizvoll.

Bei alldem übersah man leicht die originär literarische Wucht in Zaimoglus Texten, seine Verdichtungs­arbeit, die eine äußerst künstliche Authentizität erzeugte. Von Anfang an nämlich ging es ihm um Literatur, um das «babylonische Kauderwelsch», das Zaimoglu vernahm, ästhetisierte und stilisierte. Erst recht nach «Liebesmale, scharlachrot» (2000), das in direkter Nachfolge des empfindsamen Briefromans stand, wurde es immer schwerer, Zaimoglu als Vertreter einer Außenseiter- oder gar Gastarbeiterliteratur, als «Malcolm X der Türken», in den literaturkritischen Griff zu bekommen. Gut so! Denn Zaimoglus durch­gängiges Thema ist das libidinöse Verhältnis der Figuren zur Sprache.

Auch «Zwölf Gramm Glück» erzählt von Riten und Ausbrüchen, Liebesdiensten und Gottesanrufungen, Fremd- und anderen Körpern: Das Wort ist hier immer auch Fleisch, sinnlich und gewalttätig, nie fad oder fadenscheinig. Die Sprache ist eine «Haut» und «reibt sich», wie Zaimoglu es selbst benannt hat, «an einer anderen» – und reibt sich manchmal auch an ihr auf.

Selbst da, wo sie konstruiert, undurchsichtig und heikel erscheinen, be­stechen die Geschichten durch ihre eigen­artige Wahrnehmung, die ein leicht ver­schwom­menes, hitzig flimmerndes Bild hervorbringt. Archaik und Moderne werden  ge­mischt, in grellen Farben zuweilen, bilderreich, poetisch. Die Erzählung «Häute» il­lus­triert das eindrucksvoll. Hier gerät ein junger Mann in einen geschlossenen Kosmos, die Welt seiner Vorfahren. Im Dorf erscheint er als verwestlichter Eindringling. Er schaut sich in einem Antiquitätenladen um, wird argwöhnisch beäugt, sein Marktwert wird von der Patronin taxiert, schließlich bietet man ihm ein junges Mädchen als Frau an, bevor «der Auswärtige» aus dem Dorf ver­trieben wird.
In einem dichten Symbol- und Motivgewebe entstellt sich die Idylle zu dem, was sie immer schon war: eine Illusion. Macht, Tausch, Aberglaube sind die allgegenwärtigen Prinzipien, und sie herrschen im «Diesseits» wie im «Jenseits». Doch manch­mal lösen sie sich im Liebesglück für kurze Zeit auf: guter Stoff für einen Dichter.

 

Feridun Zaimoglu
Zwölf Gramm Glück. Erzählungen
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 234 S., 17,90 €

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