- Die CDU hat ein Problem
Am Sonntag wird die Alternative für Deutschland ins Europaparlament einziehen und sich damit einen festen Platz im deutschen Parteiensystem sichern. CDU und CSU gefällt das gar nicht
Es wird amtlich. Am Sonntag werden aus selbsternannten Nichtpolitikern auch ganz offiziell Berufspolitiker. Und das ausgerechnet auf der so ungeliebten europäischen Bühne.
Nachdem die Euro-Kritiker bei der Bundestagswahl noch knapp an der Fünfprozentklausel scheiterten, ist der Marsch in die Europäische Institution fest eingeplant. Jüngste Wahlumfragen sehen die Anti-Euro-Partei bei sechs bis sieben Prozent.
Die AfD wird die neue Linkspartei der CDU
Insofern wird am Sonntag nicht nur eine Partei mehr auf die politische Landkarte Europas katapultiert, sondern auch das bundesrepublikanische Parteiensystem neu aufgestellt. Manches spricht dafür, dass sich die AfD zumindest mittelfristig in der deutschen Parteienlandschaft etablieren wird. Immerhin erreichten die Rechtspopulisten bei der Bundestagswahl im September auf Anhieb 4,7 Prozent, was seit Bestehen der Bundesrepublik keiner anderen Neupartei gelang. Außerdem finden am Sonntag gleichzeitig in zehn Bundesländern Kommunalwahlen statt und auch bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegen die Euro-Gegner auf 5-Prozent-plus-X-Kurs.
Für CDU/CSU könnte die AfD das werden, was die Linkspartei für die SPD seit Langem ist: Ungeliebte Verwandtschaft, die man am Liebsten meiden möchte, aber ohne die es künftig keine Lager-Mehrheit (im Unionsfall rechts der Mitte) mehr geben wird. Der AfD-Chef Bernd Lucke steht stellvertretend für die vielen unzufriedenen Ex-Unionisten, die in der Merkel-CDU keine politische Heimat mehr sehen. Die AfD ist längst dabei in das nationalkonservative Vakuum zu stoßen, dass die heutige CDU/CSU in Jahren der Regierungsverantwortung hinterlassen hat. Darüber hinaus kann die AfD durch den Niedergang der FDP auch nationalliberal punkten.
Das alte Straussche Diktum, wonach es rechts der Union kein Platz für eine Partei geben darf, wird am Sonntag zum blanken Theorem. Zwar gibt es in der jüngeren Vergangenheit genügend Beispiele für Protestparteien, die für kurze Zeit die Schlagzeilen bestimmten, aber genauso schnell wieder verschwanden. Viel spricht jedoch dafür, dass dies bei der AfD anders sein wird.
Da gibt es zum Beispiel die vielen alten Politprofis, die den etablierten Parteien den Rücken gekehrt haben und nun Ihr Glück in der AfD suchen. Viele, die die notwendige politische Erfahrung mitbringen, das politische System, Fallstricke und Strukturen kennen. Allerdings steht die größte Hürde der jungen Partei der älteren Herren noch bevor: Die Parteispitze hat sich ihr Programm bisher immer im Eilverfahren absegnen lassen. Eine breite, parteiinterne Debatte steht noch immer aus. Ob die AfD, die allein durch die Heterogenität ihrer Mitglieder ungeheuren Zündstoff beherbergt, das aushält, wird entscheidend für die Zukunft der Partei.
Das Problem der Mitte
CDU/CSU machen indes das durch, was Parteien, die lange an der Macht sind, durchmachen: Sie rücken in die politische Mitte, sie bedienen die gesellschaftliche Mehrheit und verlieren ihre Ränder. In den Augen vieler Konservativer hat Angela Merkel die Partei bis zur Unkenntlichkeit modernisiert: Unter der CDU-Kanzlerin wurde die CDU zur besseren sozialdemokratischen Partei, bemühte sogar keynesianische Konjunkturpolitik wie die Abwrackprämie. Sie beschleunigte den Atomausstieg, beschenkt Mütter und Rentner und versetzt das konservative Urklientel regelmäßig in Angst und Schrecken.
Auch bei der Union greifen die ungeschriebenen Gesetze des politischen Marktes: Ist eine Partei lange in politischer Verantwortung, bildet sich fast schon naturgemäß eine Opposition im eigenen Haus. Macht erodiert zu aller erst an der Peripherie, bevor sie das Zentrum erreicht. Die AfD ist so etwas wie der fleischgewordene Rand der Union, ein Sammelbecken für Libertäre, christliche Fundamentalisten, konservative Antikapitalisten und politisch Heimatlose am rechten Rand
Die SPD kann davon ein Liedchen singen: Die Regierungsverantwortung unter Schröder bescherte der alten Dame eine Reihe unzufriedener Genossen, die schließlich die WAsG gründeten und zusammen mit der PDS in einer neuen Partei aufgingen: die Linke.
Dabei stand Rot-Grün vor der Kanzlerschaft Schröders eigentlich für ein linkes Gesellschaftsmodell. Doch einmal in die Verantwortung gewählt, wirkte der Druck der Mitte. Entsprechend wurden erst unter Rot-Grün Kriegseinsätze und Hartz-Gesetze möglich. Die erstaunliche Dialektik der Macht: Das größte sozialpolitische Reformprojekt der letzten Jahre hätte es unter Angela Merkel nicht gegeben. Denn: In der Parteiendemokratie ist die Politik der sozialen Härte jenen vergönnt, die sie in der Opposition beklagen.
So war und ist es der politischen Linken vorbehalten, nach gewonnener Wahl liberales Programmgut auf den Weg zu bringen und der Rechten ihr sozialdemokratisches Herz zu entdecken.
Innerhalb der CDU ist längst eine Debatte darüber entbrannt, wie man mit der AfD umgehen soll: Schweigen oder schimpfen? Während Merkel die Schweigestrategie verfolgt, um ja nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf die hässliche Schwester zu lenken, haben andere das Schweigegelübde bereits gebrochen:
Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Beispiel. Sie bezweifelte die Demokratietauglichkeit der AfD, erklärte, dass das, was die AfD von sich gebe, oft hart an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit sei. Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich rückte die AfD in die Nähe der rechtsextremistischen NPD.
Dass gerade Tillich den Weg der Konfrontation sucht, ist nicht verwunderlich. Stehen doch im August in Sachsen Landtagswahlen an. Auch in Thüringen wird im Herbst ein neuer Landtag gewählt. Gerade in diesen Bundesländern konnte die AfD bereits bei der Bundestagswahl ihre besten Ergebnisse einfahren und liegt laut Umfragen auf Landtagskurs.
Für Tillich und Co. ist die Frage des Umgangs mit der AfD nicht mehr nur rein abstrakter Natur, sondern längst zur konkreten Frage künftiger Machtsicherung geworden.
Zwar beschwichtigen Unionisten, wie Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, dass die AfD kein Koalitionspartner sei. Doch ist das Tabu erst einmal als solches benannt, beginnt die Zeit derer, die es abzutragen beginnen.
Und das Tabu könnte wesentlich schneller fallen, als das zwischen der SPD und der Linkspartei. Nicht nur, weil es nach wie vor gute Kontakte zwischen EX-CDUlern in der AfD und alten Parteifreunden in der Union gibt. Nicht nur, weil der Machthunger in bürgerlichen Kreisen traditionell größer ist als bei der Sozialdemokratie und programmatische Gräben zu überdecken weiß. Nicht nur. Denn das größte Hindernis, das es zwischen SPD und Linkspartei gab, existiert zwischen Union und AfD schlicht nicht: Die AfD hat keinen Oskar Lafontaine.
Am Sonntag ist es also soweit, die CDU bekommt ihre Linkspartei und die SPD einen Anlass für eine Sockenkampagne bei zukünftigen Wahlen. Und so, wie man die Sozialdemokraten kennt, werden die Socken nicht blau, sondern braun sein.
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