Syrische Flüchtlinge kehren über den Cilvegozu-Grenzübergang aus der Türkei nach Syrien zurück / dpa

Nach dem Sturz von Assad - Wie weiter in Syrien?

Der Sturz des Assad-Regimes durch islamistische Rebellen hat in Syrien ein Machtvakuum hinterlassen, das viele Akteure auszunutzen versuchen. Zu den Verlierern zählen Russland und der Iran, während für Israel ein Feind gegen einen anderen ausgetauscht wird.

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Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Das Assad-Regime, das Syrien fast ein halbes Jahrhundert lang an der Macht war, ist am Wochenende gestürzt, nachdem Rebellen die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus übernommen hatten. Der ehemalige Präsident Bashar al-Assad floh aus dem Land und erhielt Asyl in Moskau. Er hinterlässt ein strategisches Vakuum, das, wenn es gefüllt wird, erhebliche Auswirkungen auf Syrien und den gesamten Nahen Osten haben wird.

Entscheidend ist, dass der Konflikt in der Levante noch lange nicht vorbei ist. Irans regionales Imperium hat einen schweren Schlag erlitten, und Russland hat einen 70 Jahre alten Vorposten am Mittelmeer verloren, aber der Kampf um Syrien geht weiter. Die Türkei, die die Rebellengruppen unterstützt hat, die Assad soeben gestürzt haben, wird nun ihren eigenen wachsenden Einflussbereich verwalten müssen, während Israel einfach einen Feind – schiitische Radikale – gegen einen anderen – sunnitische Dschihadisten – austauschen wird.

Der Zusammenbruch des syrischen Regimes sollte keine Überraschung sein. Er ist das direkte Ergebnis der Konfrontation zwischen Israel und dem Iran, die sich nach den Angriffen auf Israel am 7. Oktober vorigen Jahres verschärft hat. Die Verluste des Iran und seines wichtigsten Stellvertreters, der Hisbollah, eröffnete der Türkei und ihren Rebellenvertretern die Möglichkeit, gegen das syrische Regime zu gewinnen. So schaffte eine von der sunnitischen Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) angeführte Rebellenkoalition in neun Tagen, was während des Arabischen Frühlings und des syrischen Bürgerkriegs niemand geschafft hat.

Die Islamistengruppe HTS hat erklärt, sie wolle tolerant sein, aber das sind vorerst nur Worte

Das Problem ist, dass die HTS nur eine von vielen Gruppen ist, die um die Macht kämpfen. Sie mag die größte und am besten organisierte Formation sein, die von der Türkei und Katar unterstützt wird, aber sie ist nicht stark genug, um das Schlachtfeld zu beherrschen. Und es ist unklar, wie sie das erreichen will. Die Gruppe hat öffentlich erklärt, sie wolle tolerant sein, aber das sind vorerst nur Worte, und in Syrien gibt es eine Vielzahl religiöser und ethnischer Minderheiten – Alawiten, Christen, Schiiten, Ismailiten, Drusen und Kurden –, die etwa 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das bedeutet, dass sich die verschiedenen Rebellengruppen in Syrien auf eine Art Machtteilung für eine neue politische Ordnung einigen müssen, was viel Zeit in Anspruch nehmen wird.

Zunächst müssen sie sich in der sunnitischen Landschaft zurechtfinden, in der es ideologische, regionale und politische Differenzen gibt, die beseitigt werden müssen, bevor eine Einigung mit den Minderheiten erzielt werden kann, von denen die meisten über das mögliche Entstehen einer sunnitischen oder islamistischen Regierung besorgt sind. Dann muss eine Einigung mit den Kurden erzielt werden, die den Osten und Nordosten des Landes besetzen und seit mehr als einem Jahrzehnt über eine eigene Regierung verfügen.

Hier hat die Türkei erhebliche Interessen. Ankara möchte, dass die Rebellen die syrisch-kurdischen Separatisten unter dem Banner der von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) schwächen. Für Ankara sind Verbindungen zwischen den SDF und der türkischen separatistischen Arbeiterpartei Kurdistans, die Ankara als Terrorgruppe einstuft, eine untragbare Bedrohung der nationalen Sicherheit. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit die Türkei in Syrien das Sagen haben wird.

Israel richtet bereits eine Pufferzone nordöstlich der Golanhöhen ein

In diesem Zusammenhang wird die neue Trump-Administration ihre Position zu den Kurden definieren müssen, insbesondere wenn sie glaubt, dass der Islamische Staat in dem syrischen Machtvakuum wiederentstehen könnte. Erschwerend kommt hinzu, dass der Iran, der die Levante verloren hat, sicherstellen will, dass es keine Auswirkungen auf den Irak gibt, wo er seinen Einfluss um jeden Preis sichern möchte. Die grenzüberschreitenden sunnitischen Mehrheiten an der syrisch-irakischen Grenze sind ein zentrales Anliegen des Iran, da die mit ihm verbündeten schiitischen Milizen erst nach der Niederlage des Islamischen Staates vor etwa fünf Jahren die Kontrolle über die sunnitischen Regionen des Irak erlangten. Diese Kontrolle ist sowohl neu als auch prekär.

Andernorts ist Israel bereits dabei, eine Pufferzone nordöstlich der Golanhöhen, in den Regionen südwestlich von Damaskus, einzurichten. Für Israel stellen die sunnitischen Islamisten zwar nicht die gleiche Art von Bedrohung dar wie der Iran und seine Stellvertreter, aber sie sind dennoch eine Bedrohung. Die israelischen Streitkräfte führen bereits Luftangriffe gegen Waffenanlagen durch, die sie vor den Händen der HTS und ihrer Verbündeten schützen wollen. Israel wird auf absehbare Zeit weiterhin militärische Operationen in Syrien durchführen und dabei auf die Türkei treffen, die zum einflussreichsten Akteur der Region in Syrien werden wird.

Neben Assad selbst war Russland an diesem Wochenende der größte Verlierer. Moskau kann nicht mehr darauf hoffen, seinen Luftwaffenstützpunkt in Hmeimim oder den Marinehafen in Tartus zu halten. Natürlich wird es versuchen, seinen Einfluss in Syrien aufrechtzuerhalten, doch wird es dies vor allem über die Türkei tun müssen, mit der es eine umfassendere strategische Beziehung unterhält.

Unterm Strich hat der Sturz Assads zu einer massiven Verschiebung des geosektoralen Kräfteverhältnisses in der Region geführt, die sich auf die ganze Welt auswirken wird.

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Jens Böhme | Di., 10. Dezember 2024 - 13:27

Die sogenannte russische Militärbasis in Syrien (Tarsis) ist ein Versorgungsstützpunkt für Treibstoff und Verpflegung vorbeifahrender russischer Militärschiffe. Nebenbei steht noch ein Reparaturschiff in dieser "Basis". Bewacht wird das Ganze von Syrern, da der Stützpunkt innerhalb einer syrischen Militärbasis. Dauerhaft ist an diesem Russenstützpunkt kein militärisches Equipment. Russland ist wegen des Assad-Sturz nicht geschwächt oder Verlierer. Syrien war lediglich russisch-militärisches Übungsgebiet der russischen Luftstreitkräfte unter realen Kampfbedingungen.

Reinhold Schramm | Di., 10. Dezember 2024 - 16:45

► Wie steht es um die Zukunft von 52 Prozent der weiblichen, syrischen Bevölkerung?

Bemerkenswert: Junge muslimische Mädchen und Frauen in Deutschland, die den Umsturz in Syrien freudig bejubelten. Wohl nicht Wenige, die in Deutschland geboren wurden und auch (hier) die Schule besuchten und (möglicherweise) über eine Berufsausbildung verfügen?

1. Frage: Hat die bürgerliche Erziehung im deutschen Schulwesen und in der Zeit der Berufsausbildung keinen Beitrag zur Aufklärung und Emanzipation der Mädchen und Frauen geleistet? Ist der Wunsch nach psychischer und physischer Unterwerfung unter die Macht und Herrschaft der feudal-religiösen Patriarchen größer als die persönliche Emanzipation und der Wunsch nach wirtschaftlicher und sozialer Gleichstellung – mit dem muslimischen Mann?

2. Frage: Kommt es im 21. Jahrhundert zu einer sozialrevolutionären Reformation und antireligiösen Aufklärung über die Wirklichkeit der heutigen muslimischen Welt?
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Nachtrag, Teil II.

Reinhold Schramm | Di., 10. Dezember 2024 - 16:48

Wie steht es um die Zukunft von 52 Prozent der weiblichen, syrischen Bevölkerung?
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3. Frage: Wann endet der Missbrauch der Mädchen und Frauen als (weibliche) „Gebärmaschinen“, so auch in Deutschland für den Nachwuchs der feudalen Patriarchen des Propheten?

Reinhold Schramm | Di., 10. Dezember 2024 - 17:04

Nachtrag: Syrien quo vadis?

»Alice Schwarzer fragt: Wird sich die Hoffnung der freiheitsliebenden Menschen in Syrien auf ein Leben in Frieden erfüllen? Ahmed al-Sharaa, der neue Herrscher von Syrien, hat am 8. Dezember seine erste politische Rede in Damaskus in der Umayyad-Moschee gehalten, unter Ausschluss der Frauen (die keinen Zutritt zur Moschee haben). Ist Syrien auf dem Weg in den Gottesstaat?«

EMMA, bleibt mutig: Syrien quo vadis? | EMMA

Weltfremd trifft es eher, Worte wie "freiheitsliebenden Menschen in Syrien" zeugen nicht von Realitätsbezug. Die Menschen in Syrien waren unter Assad mehrheitlich unfrei und sie werden es unter den islamistischen Extremisten, die die Macht übernommen haben, erst recht nicht sein! Aber offensichtlich ist das beim Islam so, die Menschen haben bekommen, was sie wollten, es ist aber das Gegenteil von Freiheit, siehe auch Afghanistan.

Ich fürchte zudem die Zukunft bringt nichts Gutes. Wird Israel jetzt seine Chance sehen und den Iran angreifen? Netanjahu will das seit Jahren, ich kann es mir gut vorstellen, daß er die Gunst der Stunde nutzt, er braucht Krieg, um von seinen innenpolitischen Problemen und dem Genozid in Gaza abzulenken! Sollte das so kommen, so wäre dies für die Region und für uns eine Katastrophe die mit massiven Flüchtlingsströmen verbunden sein wird, denn ohne Atomwaffen wird nichts gehen, dafür ist der Iran zu stark!

Die Lage im Nahen Osten ist am Kipppunkt!

Andrea Seibel | Di., 10. Dezember 2024 - 18:34

In den Medien kommen erste Berichte von syrischen Flüchtlingen, die wieder zurück nach Syrien möchten. Ich weiß nicht, in wie weit diese Flüchtlinge die aktuellen Gegebenheiten vor Ort kennen, was die einheimische Wirtschaft, Infrastruktur, Gesundheitswesen usw. anbelangt.
Ich habe in den zurückliegenden Jahren immer für eine Gruppe hier in Deutschland etwas finanzielle Hilfe geleistet, die nach Syrien weitergeleitet wurde, da aufgrund der scharfen westlichen und auch deutschen Sanktionen oft das Nötigste fehlt: Strom, Treibstoff, Heizung, Krankenhausinventar, Baustoffe und vieles andere. Es wäre sehr wichtig, wenn sich die Situation in Syrien entspannt hat, dieses Sanktionen aufzuheben.

Jochen Rollwagen | Di., 10. Dezember 2024 - 20:56

Israel hat quasi handstreich-artig den Mount Hermon, also das Hermon-Gebirge besetzt, das einerseits der höchste Punkt Syriens ist, andererseits aber auch die einzige Region in Syrien mit europäisch-vergleichbarem Klima und fruchtbaren Böden (von dort kommt - Tip an Genießer - ausgesprochen leckerer Wein). Damaskus ist von da knapp 50 Kilometer weg und es entspringen wichtige Wasserquellen - wichtig für Syrien, aber auch für den Libanon, der westlich vom Hermon-Gebirge liegt. Syrien ist jetzt also - was das Wasser angeht - im Norden von der Türkei und im Süden von Israel abhängig.

Die Frage "Wie geht es mit Syrien weiter" ist damit beantwortet:

Gar nicht.