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Griechenlandkrise - Tsipras ist kein Europäer

Aller Rhetorik zum Trotz: Der griechische Ministerpräsident hat mit Europa nichts im Sinn. Je länger die Europäische Union an dieser Illusion festhält, desto schmerzlicher und teurer wird das Erwachen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Alexis Tsipras ist kein Europäer, und Griechenland gehört letztlich nicht zu Europa. Das hellenische Selbstverständnis kommt wunderbar in dem Satz zum Ausdruck, „wir gehen nach Europa“. Gemeint sind jene Länder und Städte, die nördlich und westlich des eigenen Gebiets liegen, Rom zum Beispiel, Brüssel oder auch Berlin. Dass Alexis Tspiras nun, der so augenscheinlich unter der Last und dem Stress des Amtes leidende Premierminister, dieses Antipodentum derart unverschämt überbietet, ist traurig und schlimm für alle Beteiligten. Aus dem griechischen Selbstverständnis fällt er damit nicht heraus.

Wie lauten die Grundprinzipien der europäischen Zivilisation, dieses großen wunderbaren Projekts? Demokratie und Rechtstaatlichkeit, Toleranz und Meinungsfreiheit. In keiner dieser Disziplinen hat es Tsipras zur Meisterschaft gebracht. Gewiss, Griechenland nennt sich „Wiege der Demokratie“ und verweist zu Recht auf sein antikes Erbe. Tatsächlich entstanden in der griechischen Polis der öffentliche Raum, die Agora der Bürgerversammlungen, die Idee einer Gleichheit vor dem Gesetz. Die Menschheit steht ewig in der Schuld der Griechen – auch wenn diese ihrem Erbe nicht immer treu blieben, sei es in der bis heute nachwirkenden osmanischen Zeit, die die Entwicklung einer funktionierenden Staatlichkeit verhindert hat, sei es in den täglichen Volten des Alexis Tsipras, der Demokratie für eine Fassadenkunst hält. Die neuen Sparvorschläge, die er den Gläubigern jetzt unterbreitet hat, erklären mit einem Federstreich das Referendum vom vergangenen Sonntag für Makulatur. Das Volk, das er für sein Volk hält, tat, was Tsipras wollte, lehnte die Sparauflagen auf – und nun dreht Tsipras dem Volk eine lange Nase und zeigt sich reform- und einsparbereit. Er wendet das Mandat, das er erhielt, gegen seine Mandatoren. Demokratie ist das Gegenteil.

Dass es mit der Rechtsstaatlichkeit nicht weit her sein kann, wenn Regierungen Zusagen und Verträge nach Tageslaune brechen, liegt auf der Hand. Seine Zahlungsverpflichtungen hat Griechenland ebenso einseitig aufgekündigt wie die bereits dokumentierten Zusagen zu Staatsreform, Ausgabenabbau, Steuerehrlichkeit. Die Europäische Union spielte leider mit, ließ gewähren und abermals gewähren und sich einen Bären nach dem nächsten aufbinden. So legen Griechenland und EU gemeinsam die denkbar schärfste Axt an die Wurzel des europäischen Projekts: Wie sollen Bürger sich für eine Idee begeistern, deren maßgeblichen Vertreter sich an das eigene Wort nicht gebunden fühlen, also die Lüge zur politischen Präambel im Einigungsprozess erklären? Auch die deutsche Kanzlerin wäre als Gauklerin überführt, sollte sie einem dritten Hilfspaket und damit weiteren 90 Milliarden Euro für Griechenland zustimmen.

Kein Weg nach Europa
 

Toleranz bedeutet in Tsipras‘ Augen, dass die Welt sich ihm und seinem Spätsozialismus beugt. Schwer haben es Journalisten, die sich vor dem Referendum für ein „Ja“ aussprachen – für jenen Weg also, den Tsipras nun selbst beschreiten will oder zu beschreiten vorgibt. Solchen unbotmäßigen Journalisten drohen Einschüchterungen. Neun von ihnen müssen sich für ihren Anti-Syriza-Kurs vor einer Ethikkommission verantworten, im Parlament sollen Eingriffe in die (allesamt privaten) Sender diskutiert werden. Die sozialistische Versuchung zur medialen Einheitsfront scheint unbesiegbar. Ohne Meinungsfreiheit aber keine Demokratie und ohne Demokratie keine Verständigung.

Als die Griechen 1981 in die Europäische Union aufgenommen wurden, sei dies ein symbolischer Akt gewesen, „ein Museum mehr in der Sammlung“ – so der Schriftsteller Takis Theodoropoulus. Die Historikerin Aikaterini Hatzis zweifelt grundsätzlich an der Kompatibilität ihrer Heimat mit dem großen Kontinent: „Wir wollten nie völlig europäisch-rational werden. Wir hielten immer an der orientalischen Seite in uns fest, an dem Undisziplinierten, an der Verantwortungslosigkeit.“ Das ist keine Schande, liebe Griechen, das kann charmant sein und ist gewiss, gerade in seiner Durchlässigkeit für außereuropäische Traditionen, zentraler Teil der Geschichte des Westens.

In kritischer Distanz zu Europa hat sich Griechenland lange Zeit definiert, niemand solle auch behaupten, am europäischen Wesen müsse die Welt genesen. Doch es ist höchste Zeit, die Illusion zu überwinden, Tsipras sei Europäer und wolle Europa lediglich modifizieren. Mit Tsipras führt kein Weg nach Europa, und ein Europa, das sich von Tsipras am Nasenband durch die Manege ziehen lässt, verdient seinen Namen nicht. Eine Scheidung wäre der letzte, der größte Liebesdienst im Namen Europas.

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