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Der Sinn von Nutzfreundschaften

Zu den Konditionen, die Griechenland bei der Unterstützung durch seine Gläubiger auferlegt wurden, schreibt uns der Philosoph und Naturforscher Aristoteles von Stagira aus Athen.

Kaum ein Thema hat die Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen so bewegt wie die Rettungspakete für Griechenland und den taumelnden Euro. Künftig wird Deutschland mit bis zu 22,4 Milliarden Euro für die Zahlungsfähigkeit Athens bürgen, bis zu 123,2 Milliarden kämen im Falle drohender Staatspleiten anderer europäischer Länder hinzu. Schon Aristoteles wusste, dass solche Hilfen Sinn machen, auch wenn die sich daraus entwickelnden Ansprüche kompliziert sind. Die Nutzfreundschaft, welche auf Gesinnung beruht, kennt keine genauen Festlegungen, sondern wenn hier A dem B ein Geschenk macht oder sonst einen Gefallen erweist, so gilt das dem Partner B, insofern er als Freund angesehen wird, nur dass der Gebende damit rechnet, gleich viel oder mehr als Gegenleistung zu erhalten, so, als habe er nicht geschenkt, sondern geliehen. Und wenn er (A) die Freundschaft nicht unter denselben günstigen Bedingungen lösen kann, unter denen er sie geknüpft hatte, so wird er Beschwerden (gegen B) vorbringen. Dazu muss es aber kommen, weil alle, oder doch die meisten, das Gute und Edle wünschen, sich aber für das Nützliche entscheiden: Es ist gut und edel, Wohltaten zu erweisen, ohne Gegenleistung zu erwarten, aber nützlich ist es, sich von anderen Gutes tun zu lassen. B also soll, wenn er dazu in der Lage ist, mit entsprechender Gegenleistung das Empfangene vergelten; und zwar aus freien Stücken, denn man soll Freundschaftsverhältnisse nicht forcieren. Die Beilegung der Angelegenheit (durch B) muss schließlich von der Einsicht ausgehen, dass er sich von allem Anfang an geirrt und die Wohltat von jemandem (von A) angenommen habe, von dem er sie nicht hätte annehmen dürfen – nämlich von einem Mann, der kein (echter) Freund war und der eben nicht aus (echter) Freundschaft und aus keinem anderen Grunde so handelte. (…) Also: wenn man dazu in der Lage ist, soll man Leistung mit Gegenleistung beantworten. Von Anfang an muss man zusehen, von wem man die Wohltat annimmt und unter welcher Bedingung sie geleistet wird, damit man sich unter dieser Voraussetzung die Wohltat gefallen lassen oder sie ablehnen kann. Eine offene Frage ist, ob man bei der Festsetzung des Maßes von dem Nutzen des Empfängers ausgehen und die Gegenleistung darnach einrichten soll – oder von der Leistung des Gebers. Denn der Empfänger verkleinert grundsätzlich: Er sagt, was er vom Geber erhalten habe, sei für diesen eine Kleinigkeit gewesen, das habe er auch von anderer Seite bekommen können; der Geber dagegen behauptet, das Äußerste, was ihm möglich war, getan zu haben – was von anderer Seite unmöglich (zu bekommen) war – und dies in Gefahr oder ähnlichem Notstand. Hat nun, da es sich um Nutzfreundschaft handelt, der Nutzen des Empfängers den Maßstab zu bilden? Denn er ist es, der etwas braucht, und der andere hilft ihm in der Erwartung, ein Gleiches zurückzuerhalten. Die Höhe der Hilfeleistung ergibt sich also aus der Größe des von ihm empfangenen Nutzens, und so muss er so viel zurückerstatten, als er Vorteil genossen hat, oder noch mehr, denn das wäre edler. Aus: Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, Band 6, Nikomachische Ethik, übersetzt und kommentiert von Franz Dirlmeier, Akademie-Verlag 1983

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