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Christian Hüller/Heimatfilm

Zum Filmstart von „Wild“ - „Der Wolf ist ein Sinnbild für Freiheit“

Ein feministischer Film nicht nur für Feministen: In „Wild“ entdeckt eine Frau den Wolf – aber nicht (nur) in sich. Regisseurin Nicolette Krebitz erklärt im Interview, warum sie mit diesem Kinoprojekt Neuland betreten hat

Autoreninfo

Dieter Oßwald studierte Empirische Kulturwissenschaft und schreibt als freier Journalist über Filme, Stars und Festivals. Seit einem Vierteljahrhundert besucht er Berlinale, Cannes und Co. Die lustigsten Interviews führte er mit Loriot, Wim Wenders und der Witwe von Stanley Kubrick.

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Als Schauspielerin steht Nicolette Krebitz bereits seit 1982 vor der Kamera. In „Sigi, der Straßenfeger“ spielte sie die zwölfjährige Tochter von Harald Juhnke. Einen Adolf-Grimme-Preis bekam sie 1995 für ihre Rolle in „Ausgerechnet Zoe“. Zwei Jahre später folgte der große Publikumserfolg mit der Komödie „Bandits“, wo Krebitz an der Seite von Katja Riemann auftrat. Zu den zahlreichen TV-Produktionen gehören „Die Bubi Scholz Story“, „Der Tunnel“, „Schicksalsspiel“ sowie diverse „Tatort“-Folgen. Mit „Jeans“ gab die Schauspielerin 2001 ihr Regiedebüt. Anschließend inszenierte sie mit Nina Hoss in der Hauptrolle das von Tom Tykwer produzierte Drama „Das Herz ist ein dunkler Wald“.

Nun präsentiert Nicolette Krebitz nach eigenem Drehbuch mit „Wild“ die Geschichte einer schüchternen, jungen Frau, die durch die Begegnung mit einem Wolf ganz neue Fähigkeiten entwickelt. Bei der Premiere auf dem Sundace-Festival wurde das Werk euphorisch gefeiert. Heute kommt der Film in die deutschen Kinos. Mit der Regisseurin unterhielt sich Dieter Oßwald.  

Cicero: Frau Krebitz, wie sind Sie auf den Wolf gekommen?
Nicolette Krebitz: Ganz banal: Durch einen Traum. Ich habe mehrfach geträumt, dass ich verfolgt werde. Irgendwann habe ich mich dann umgedreht und gesehen, dass dieser Verfolger ein Wolf war. Gleichzeitig kamen damals die ersten Meldungen, dass sich Wölfe wieder in Deutschland ansiedeln. Damit war die Idee für einen Film geboren und ich habe angefangen, mich mit der ganzen Mythologie und Psychologie zu diesem Thema zu beschäftigen.

Ist der Titel Ihres Films zugleich Programm für Sie?
Ich hoffe schon, dass dieser Titel zu unserem Film passt. „Wild“ bietet etwas Neues. Nichts darin wurde schon tausendmal erzählt und hat schon tausendmal funktioniert. Er springt auf keinen Zug. Man muss sich einfach darauf einlassen, es gibt kein Sicherheitsnetz. Und trotzdem oder gerade deswegen war es mir in jeder Sekunde wichtig, niemals den Zuschauer zu verlieren. Ich wollte, dass man immer dabeibleibt. Der Film sollte nicht abgehoben oder merkwürdig sein.

[video:Trailer: Wild – eine Liebesgeschichte von animalischer Radikalität]

Wäre „Die mit dem Wolf tanzt“ nicht ebenfalls eine hübsche Alternative gewesen?
Ja... Tatsächlich hatte irgendwann irgendjemand vorgeschlagen, dass wir „Die mit dem Wolf tanzt“ als Unterzeile auf das Filmplakat schreiben sollten. Aber wie gesagt, der Film bezieht sich nicht nicht auf einen schon dagewesenen Film, er betritt Neuland.

Wölfe sind im Kino schon häufig gesichtet worden, ob von Kevin Costner oder Jack Nicholson. Wollten Sie mit Ihrem Film eine feministische Variante des Themas präsentieren?
Da müsste man zunächst den Begriff klären. Feminismus bedeutet, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte und Chancen haben sollten. Insofern sind wir doch alle Feministen – denn wer wollte schon ernsthaft gegen diese Forderung sein? Oft wird der Begriff allerdings so verwendet, dass er sich gegen Männer generell richtet. Der Begriff hat in Deutschland ein schlechtes Image. 

Dann ersetzen wir „feministisch“ durch „weiblich“...
Nein, nein, ich mag den Begriff „feministisch“ und deute ihn positiv. Aber um auf Ihre Frage zu antworten, an „Wild“ ist vielleicht „weiblich“, dass der Wolf bei uns als Partner und nicht als Konkurrent gesehen wird. In den meisten Filmen mit Wölfen geht es um den Kampf von Mann gegen Natur. Bei uns ist die Begegnung zwischen der Frau und dem Wolf der Auslöser für etwas, das bereits in ihr steckt und wieder wachgerüttelt werden muss. Der Wolf erinnert sie an ihre Sinne, an ihr Verlangen und ihre Sehnsucht nach Freiheit. Die Männerfigur im Film spielt zwar eine kleinere Rolle, ist aber auch wichtig. Sie liegt mir am Herzen und geht mir sehr nah. Man erkennt in seinem Spiel, dass auch er sich in den Rollenvorgaben der Gesellschaft, wie ein Mann zu sein hat, gefangen fühlt.

Was hat der Tiertrainer zu Ihrem Projekt gesagt?
Dem Trainer hat das Drehbuch gefallen, weil er sich mit unserer Hauptfigur gut identifizieren konnte. So wie Ania im Film hatte auch er sich einst einen Wolf in die eigene Wohnung geholt, die von dem Tier völlig demoliert wurde. Unsere Beschreibung der Situation fand der Trainer sehr treffend, deswegen hat er bei dem Projekt mitgemacht.

Bei Ihren Dreharbeiten sind Sie hautnah mit dem Wolf in Berührung gekommen. Hat sich dadurch Ihr Bild von diesem Tier verändert?
Für mich ist der Wolf ein Sinnbild für Freiheit und das Ungezähmte. Durch die Beschäftigung mit diesen Tieren ist meine Faszination gewachsen. Zum einen sind das sehr treue und verantwortungsvolle Rudeltiere, die ihr Leben lang ganz klare Aufgaben übernehmen. Zum anderen bleiben sie stets unberechenbar, mysteriös und gefährlich. Diesen scheinbaren Widerspruch spürt wohl auch jeder erwachsene Mensch in sich: Wir wissen alle, was Verantwortung bedeutet. Zugleich gibt es eine Sehnsucht nach dem Triebhaften und Unberechenbaren im Leben. 

Wie dreht man mit diesem unberechenbarem Tier? Steht da ein Sicherheitsmann mit dem Narkosegewehr neben der Kamera?
Der Wolf will von Natur aus frei und nicht mit Menschen zusammen sein. Er ist ein sehr starkes Tier, zugleich aber ziemlich scheu. Unser ungarischer Tiertrainer Zoltan Horkai hat unseren Wolf Nelson und sein ganzes Rudel selbst aufgezogen und dadurch die Position eines Alphatiers. Beim Dreh stand der Trainer immer unmittelbar neben der Kamera. Als Vorbereitung hat sich unsere Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg drei Wochen lang mit Nelson beschäftigt. Dass er nie nach ihr geschnappt hat oder sie beißen wollte, hängt sicher damit zusammen, dass Lilith sich so sehr in ihre Rolle begeben hat und damit jede Angst verlor – was Wölfe natürlich sofort spüren und entsprechend reagieren.

Ihr oscarprämierter Kollege Ang Lee hat bei „Life of Pi“ seinen Tiger mit Computereffekten aufgepäppelt, wäre das keine entspanntere Alternative für den Dreh gewesen?
Wir wollten keinen Film machen wie „Life of Pi“, der bei aller technischen Brillanz trotzdem immer unecht bleibt. Ich wollte den wirklichen Kontakt von Fell und Haut, die wirkliche Begegnung, die Gefahr, die das mit sich bringt und was das mit einem macht. Alle Szenen mit dem Wolf mussten wir also ganz genau vorbereiten. Die Szenen wurden auf Storyboards aufgezeichnet, um zu klären: Was ist möglich? Wo kann die Kamera stehen? Wie viele Meter Entfernung braucht der Trainer zum Tier, um notfalls auch eingreifen zu können?

Wie hält man ein Raubtier bei Dreharbeiten bei Laune?
Unser Wolf Nelson war mit dem gesamten Rudel angereist, weil man ein Tier nicht einfach aus seinem Rudel entfernen kann, wenn man nicht will, dass es ausgestoßen wird. Wir hatten vor dem Produktionsbüro einen großen Platz mit einer Scheune, wo sich die Tiere aufhielten. Gedreht haben wir aber nur mit zwei Wölfen, wobei Nelson unser Hauptwolf war. In den hat sich Lilith regelrecht verliebt. Sie hat, genau wie im Film, keine Unterschiede mehr gemacht.

Wie würden Sie die Qualitäten Ihrer Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg beschreiben?
Lilith hat eine beeindruckende innere Freiheit, sich auf ihre Rollen einzulassen. Es wäre eine Qual gewesen, mit einer ängstlichen Schauspielerin Szenen zu drehen, in der sich angeblich jemand befreit. Lilith ist stark und kühn. Und trotzdem ganz durchlässig. Sie ist wirklich etwas Besonderes und sehr frei. Es ist eine schwierig anzulegende Figur. Ania ist weder Vollblutfrau noch Tomboy, sie trägt eine Ambivalenz, man kann sie nicht festlegen. Sie ist ein Wesen. Deshalb kann sie aus sich heraus etwas Neues erschaffen, ein neuer Typ werden.

Hätten Sie als Schauspielerin solch eine Rolle mit einem Wolf als Partner ebenfalls übernommen?
Ja, klar. Es ist eine große Rolle, von der jede Schauspielerin träumt. Ich fürchte mich auch nicht vor Wölfen. Aber das ist eine Sache der Konstitution. Manche Menschen haben Angst vor Tieren, andere fürchten sich vor Höhe oder vor tiefem Wasser.  

Wie groß war die Angst der Versicherung für solche Dreharbeiten?
Wir haben alle Sicherheitsstandards eingehalten, deswegen war das kein Problem. In Amerika hätte das wahrscheinlich anders ausgesehen, dort hätte sich keine Versicherung für solch einen Film gefunden. In Sundance konnte das amerikanische Publikum gar nicht glauben, dass Lilith sich wirklich in solche Gefahr begeben hat.  

Warum haben Sie die Premiere bei Robert Redfords Sundance-Festival gefeiert statt auf der Berlinale, wo viele Sie erwartet hatten?
Wir haben uns für Sundance entschieden, weil man dort den Film einfach nur als Film wahrnimmt, ohne dabei die Frage nach der Schauspielerin Nicolette Krebitz zu stellen, was hierzulande automatisch fast immer der Fall ist.

Der Ausflug nach Sundance hat sich gelohnt. „Wild“ wurde euphorisch gefeiert. Ist das zugleich ein Sprungbrett, in Amerika zu drehen?
Für mein nächstes Projekt muss ich leider schon aus Finanzierungsgründen ins Ausland gehen. Ich möchte einen Fantasy-Film machen, der mehr Geld kosten wird, als jemals einer Regisseurin in Deutschland gegeben wurde. Das höchste Budget, das einer Frau bei uns für ihren Film zur Verfügung stand, lag bei vier Millionen Euro! Mit diesem Etat lässt sich die Magie eines Fantasy-Films mit all den Spezialeffekten bei weitem nicht produzieren. 

An den Filmhochschulen liegt die Quote der weiblichen Studierenden bei über 50 Prozent, später finden sich auffallend wenige Frauen auf dem Regiestuhl – woran liegt das?
Ich glaube, dass Männer anderen Männern mehr vertrauen, wenn es um die Vergabe von Geldern geht. Deswegen gibt es die Idee einer Frauenquote, um für eine bessere Chancengleichheit zu sorgen. So wird versucht, etwas an der Situation zu ändern, sodass mehr Frauen ihre Filme tatsächlich dann auch machen können.

Ist das Filmemachen mittlerweile leichter oder spürt man die Erwartungshaltung größer?
Wenn man etwas macht, lernt man dabei, und kann danach mehr als vorher. Trotzdem kommt man immer wieder an den Punkt, zu glauben, dass man nichts kann. Diese Zweifel kennt sicher jeder Filmemacher. Und ich denke, es ist gut, dass man sie hat, weil das auch heißt, dass man sich hinterfragt und nicht selbstherrlich wird. Am meisten hat die Reifung aber damit zu tun, dass man älter wird, dass man genauer weiß, was man erzählen will, dass sich herauskristallisiert, was dein Thema ist. Das macht viele Dinge einfacher. Es gibt einem mehr Fokus und Energie.

Fotos: Christian Hüller/Heimatfilm (Aufmacher), picture alliance (Krebitz)

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