SPD Wahlkampfplakat 2013
SPD-Wahlkampfplakat zur Bundestagswahl 2013 / dpa

Rente mit 63 - Exklusiv für Xing-Leser: Die SPD erkennt ihren eigenen Fehler

Olaf Scholz findet plötzlich gar nicht mehr gut, was vor der Bundestagswahl 2013 noch ein SPD-Wahlkampfschlager war: die Rente mit 63. Auf eine Abschaffung der Regelung wird er wohl trotzdem nicht hinarbeiten.

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Was kann es für Politiker Schöneres geben, als Wohltaten an das Volk zu verteilen und zu sehen, wie freudig die Bürger diese Geschenke annehmen? So geschah es mit der „Rente mit 63“. Schon mehr als zwei Millionen Rentner haben seit ihrer Einführung zum 1. Juli 2014 davon Gebrauch gemacht. Und es werden immer mehr, die sich nach 45 Beitragsjahren einen vorzeitigen Ruhestand bei ungekürzter Rente gönnen.

2021 taten dies knapp 270.000 überwiegend männliche Rentenversicherte. Jeder vierte Neu-Rentner fiel in diese Kategorie. Wobei der Begriff „Rente mit 63“ irreführend ist. Wer 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, kann nicht schon am 63. Geburtstag das Arbeiten einstellen, sondern „nur“ zwei Jahre vor dem amtlichen Renteneintrittsalter. Das liegt derzeit bei 65 Jahren und elf Monaten.

Der einstige SPD-Wahlkampfschlager

Doch Bundeskanzler Olaf Scholz findet plötzlich gar nicht mehr gut, was seine Sozialdemokraten vor der Bundestagswahl 2013 zum Wahlkampfschlager gemacht und in den anschließenden Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU durchgesetzt hatten. Denn plötzlich hat er entdeckt, dass in diesem Land die Fachkräfte knapp werden. Und dass die vielen vom Staat zum früheren Renteneintritt verlockten „Dreiundsechziger“ ihren Teil dazu beitragen. Deshalb möchte der Kanzler den Run auf den vorzeitigen Ruhestand abbremsen. 

Nutznießer der geltenden 63er-Regelung sind vor allem Facharbeiter der geburtenstarken Jahrgänge 1951 bis 1963, die gleich nach der Schule – damals noch mit 15 oder 16 Jahren – ihre Lehre begannen, sich teilweise bis zum Meister hocharbeiteten und später oft leitende Positionen einnahmen. Diese Jahrgänge können dank ihrer Lebensleistung mit deutlich höheren Renten rechnen als ihre Söhne und Töchter, die diese Renten finanzieren müssen. Warum aber wird ausgerechnet diese Gruppe von Edelrentnern rentenpolitisch privilegiert? Ganz einfach: Diese Arbeitnehmer zählen zur Kernklientel der SPD. Wenn das nicht für ein Renten-Bonbon reicht, was dann?

„Verantwortungslose Klientelpolitik“

Franz Ruland, einer der renommiertesten Rentenexperten Deutschlands, trat damals aus Ärger über die Rentenpolitik sogar aus der SPD aus. Seine Begründung: „Ich kann und will einer Partei nicht länger angehören, die gegen den Rat aller Sachverständigen mit ihrer Rentenpolitik in verantwortungsloser Weise eine Klientelpolitik betreibt.“ 
 

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Diese „Klientel“, um Ruland zu zitieren, kümmert es wenig, dass ihre bisherigen Arbeitgeber leiden, wenn qualifizierte Mitarbeiter sich verabschieden, obwohl sie noch dringend gebraucht würden. Wer noch zu jung ist, um sich bereits jetzt in den Ruhestand zu verabschieden, soll deshalb – wenn es nach dem Kanzler geht – künftig länger arbeiten, also so lange wie ihre Kollegen, die – aus welchen Gründen auch immer – es nicht auf 45 Beitragsjahre bringen. Nur hat der Kanzler bisher nicht verraten, wie er das schaffen will.

Abschaffung kann die SPD nicht riskieren

Von einem kann man ausgehen: Scholz wird in der Ampel nicht auf eine Abschaffung der „Rente mit 63“ hinarbeiten. Da würde die eigene Partei nicht mitmachen. Wobei Scholz – theoretisch – leichtes Spiel hätte: Die Koalitionspartner Grüne und FDP haben 2014 gegen die Einlösung dieses sozialdemokratischen Wahlversprechens gestimmt. Gegen eine Abschaffung dieser Rentenregelung würden zudem die Gewerkschaften Sturm laufen. Die braucht die SPD aber bekanntlich in den Wahlkämpfen.

Die Ampel könnte den potentiellen „Dreiundsechzigern“ also anbieten, ihnen beim Weiterarbeiten zusätzliche Rentenpunkte gutzuschreiben, auf Sozialbeiträge zu verzichten oder ihnen steuerliche Vergünstigungen anbieten. Das hieße aber: Zum Wahlgeschenk „Rente mit 63“ gibt es einen Zuschlag, damit das Präsent zwar angenommen, aber nicht ausgepackt wird. Und da es in Berlin üblich geworden ist, Gesetze mit niedlich-kindlichen Namen zu versehen, könnte die Ampel das alles in ein „Gute-Rente-Gesetz“ verpacken. „Mehr Fortschritt“, den die Ampel bekanntlich wagen will, in Form einer rentenpolitischen Rolle rückwärts? Öfter mal was Neues! 

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