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Ostdeutschland - Wahlen, die niemanden jucken

Kolumne Wahlen, Wähler und Intrigen: Es ist Wahlkampf in Ostdeutschland und keiner merkt‘s. 25 Jahre nach der Wende scheint sich niemand mehr ernsthaft für Ostthemen zu interessieren – geschweige denn für die dortigen Landtagswahlen

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Wenn Politiker über die Rentenangleichung diskutieren oder den Solidarpakt streiten, dann ist dies ein untrügliches Zeichen: Im Osten stehen Landtagswahlen an. Jetzt ist es wieder soweit. Am 31. August wählt Sachsen einen neuen Landtag, zwei Wochen später wählen Brandenburg und Thüringen. Doch Leidenschaft kommt nicht auf. Aufregerthemen gibt es keine. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass der Wahlkampf überwiegend in die Sommerferien fällt.

Was waren das für Zeiten, als die ganze Republik voller Leidenschaft über Stasiakten, blühende Landschaften oder den Umgang mit der PDS stritt, über den braunen Osten, die DDR-Nostalgie oder die Verschwendung von Steuermilliarden.

Doch irgendwie sind dem Osten über die Jahre die Themen und die Streitlust abhandengekommen. Die Autobahnen sind gebaut, die Leuchttürme stehen, die Uckermark ist entvölkert. Demnächst soll sogar die Stasi-Unterlagenbehörde geschlossen werden. Selbst der ewige Streit ums Geld ist vorerst befriedet: Die Fördermilliarden sind bis zum Jahr 2019 fest zugesagt.

Keiner kennt die ostdeutschen Spitzenpolitiker


Hinzu kommt, dass das politische Spitzenpersonal in den ostdeutschen Ländern weitgehend unbekannt ist. Mit Matthias Platzeck ist vor zwölf Monaten die letzte ostdeutsche Persönlichkeit, die die Nachwendezeit in Ostdeutschland politisch maßgeblich geprägt haben, abgetreten. Jetzt stehen mit Reiner Haseloff (CDU, Sachsen-Anhalt), Christine Lieberknecht (CDU, Thüringen), Erwin Sellering (SPD, Mecklenburg-Vorpommern), Stanislaw Tillich (CDU, Sachsen) und Dietmar Woidke (SPD, Brandenburg) fünf Bürokraten mit wenig Charisma an der Spitze der ostdeutschen Länder. Außerhalb ihrer Länder sind diese völlig unbekannt. In die großen bundespolitischen Debatten mischen sich die fünf ostdeutschen Ministerpräsidenten kaum ein. Auch die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), kennen nur Experten.

Man könnte meinen, die Nachwendezeit sei völlig unspektakulär zu Ende gegangen, die Transformation der real-sozialistischen Gesellschaft in den Westen abgeschlossen. Natürlich gibt es weiterhin große Unterschiede: Die Wirtschaftskraft ist niedriger, die Arbeitslosigkeit höher, die politischen Parteien sind wenig verankert, das Parteiensystem ist ein anderes und die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten ist größer. Auf eigenen Beinen werden die Ost-Länder auch nach 2019 nicht stehen können. Sie werden weiter Sonderhilfen aus dem Westen brauchen.

Aber niemand scheint sich daran zu stören. Die großen Parteien setzen auf Wohlfühlwahlkampf. In Sachsen wirbt der Christdemokrat Stanislaw Tillich gar in bestem Sozialdemokraten-Deutsch für „gute Arbeit“. Ansonsten ist er nur „der Sachse“. Die SPD setzt in Brandenburg auf den kühnen Spruch „Brandenburg. Das ist, was wir tun.“ Der kleinen FDP fällt derweil im Kampf ums Überleben nichts besseres ein als ein Spaßwahlkampf.

Mehrheit der Brandenburger kennt ihre eigene Landesregierung nicht


Selbst Bodo Ramelow ist kein Aufregerthema. Der Linkenpolitiker könnte noch in diesem Herbst Geschichte schreiben und als erster Politiker der Linken in Thüringen zum Ministerpräsidenten eines Bundeslandes gewählt werden. Die SPD hat sich damit abgefunden, dass die Linke in Thüringen im linken Lager für sich den Führungsanspruch reklamiert.  Aber selbst die CDU hält sich mit Rote-Socken-Kampagnen zurück. Anders als vor 20 Jahren hat sie offenbar Angst, der Schuss könnte nach hinten losgehen. Die eigene Ministerpräsidentin Lieberknecht ist in Thüringen so unbeliebt, dass sie gegen den Linken nicht als Zugpferd taugt.

Bodo Ramelow indes hält seine Hände gelegentlich schon wie Angela Merkel und er redet wie der letzte SPD-Kanzler, wenn er im Wahlkampf erklärt: „Es muss nicht alles anders werden, aber wir können vieles besser machen.“  Mit ähnlichen Worten hatte Gerhard Schröder 1998 den christdemokratischen Einheitskanzler Helmut Kohl aus dem Amt getrieben.

Apropos Linke. In Brandenburg sitzt die Partei seit 2009 in der Landesregierung. Aber die Mehrzahl der Brandenburger scheint das noch gar nicht mitbekommen zu haben, wie aus einer internen Umfrage der Linksfraktion in Potsdam hervorgeht, die Cicero Online vorliegt. Demnach wissen nur 41 Prozent der Brandenburger, dass ihr Land von Rot-Rot regiert wird. Selbst bei den Linken-Wählern sind die Kenntnisse dünn: 36 Prozent wissen nicht, dass ihre Partei mit der SPD koaliert. Fast jeder dritte Brandenburger weiß übrigens überhaupt nicht, welche Partei das Land regiert. Da kann man sich die ganze Wahlwerbung auch ganz sparen.

Fast scheint es, als hätten sich die Menschen in Ost und West damit abgefunden, dass der Osten nicht nur im Fußball, sondern auch in der Politik nur noch zweite Liga spielt.

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