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Geschlossene Kinos im Lockdown / dpa

Rückblick auf das Filmjahr 2020 - Kino ohne Happy End

Auch wenn die Vorhänge in den Lichtspielhäusern immer wieder schließen mussten – der „final curtain“ war 2020 noch nicht dabei! Im Jahr des Stillstands ist einiges in der Filmbranche in Bewegung geraten - unter anderem auch gute Bilder.

Autoreninfo

Marga Boehle ist Journalistin und Filmkritikerin. Boehle war Mitglied im Auswahlkomitee der Berlinale. Sie lebt in München.

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In seiner 125-jährigen Geschichte hat das Kino viele Aufs und Abs erlebt, 2020 vielleicht seine größte Krise. Den finalen Abgesang anstimmen will aber keiner in einer Branche, die zu den am ärgsten gebeutelten im grundsätzlich besonders hart getroffenen Kultursektor gehört und aus einem unsicheren alten in ein ebenso ungewisses neue Jahr driftet.

Noch ist der Lockdown auf den 10. Januar terminiert. Wann Filme wieder in bewährter Manier und von entsprechenden Marketingmaßnahmen begleitet, gestartet werden können, steht in den Sternen. Während noch 2019 weltweit am Boxoffice Rekordergebnisse erzielt wurden, gehen Schätzungen von einem Boxoffice-Minus von 32 Milliarden Dollar gegenüber dem Vorjahr aus, ist die Lage der Abspielstätten existenzbedrohend. Wie die vieler anderer Kultureinrichtungen, die erst aus dem Zusammensein erstehen – Theater, Konzerte, Clubs und eben Kinos. Die Diskussion, ob sie systemrelevant seien, bestimmte viele Debatten. Gebracht hat sie wenig. Die Hilfen für Millionen Kulturschaffende kamen spät oder gar nicht. Der Eindruck entstand, dass die Lebensbedingungen von Soloselbständigen an der gänzlich anderen Lebensrealität einer Politiker- und Verwaltungskaste vorbeigingen.

Keine Infektionen im Kino

Statt eines einheitlichen Hilfsfonds gab es im ersten Lockdown einen bundesweiten Flickenteppich, die Wiedereröffnungstermine variierten von Bundesland zu Bundesland. Es nutzte den Kinos nichts, dass sie früh ihre Hausaufgaben gemacht und ausgefeilte Sicherheitskonzepte für den Publikumsbetrieb ausgearbeitet hatten. Kein Infektionsfall aus dem Kino ist bekannt, die Säle mit meist guten Belüftungsanlagen eignen sich nicht als Superspreader-Locations, wenn Abstandsregeln – mindestens ein Platz zwischen den Besuchern bleibt frei – eingehalten werden. 

Besonders hart trifft es die Filmtheater auch deshalb, weil sie nur bedingt ein Alleinstellungsmerkmal haben. Filme lassen sich bekanntlich auf verschiedenen Wegen konsumieren (das Wort genießen möchte ich in dem Zusammenhang vermeiden). Und die Streaming-Konkurrenz schläft nicht. Denn eins zeigte dieses Jahr: Nicht mehr die klassischen Filmstudios bestimmen, was wir zu sehen bekommen. Streamingdienste haben ihren Platz übernommen als die neuen Content-Könige. Eine Entwicklung, die wie so vieles nicht durch Corona bedingt, aber davon beschleunigt wurde.

Streaming-Plattformen als Sieger

Während des zweiten Lockdowns stieg die Video-on-Demand-Nutzung wie zu erwarten weiter an. Profitiert hat davon u.a. der Streamer Disney+, dessen Start fast zeitgleich mit dem ersten Lockdown zusammenfiel. Disney+ liegt momentan auf Platz drei nach Netflix (34,4 Prozent) und Amazon Prime (22,1 Prozent), angeführt von YouTube mit 54,1 Prozent. Die Nutzung von Streaming-Plattformen ist auf 63,7 Prozent angewachsen. Dazu kommen die Online-Portale der TV-Sender und des Privatfernsehens. Sie können (noch) aus dem Vollen schöpfen, treten aber auch immer stärker als Content-Lieferanten in Erscheinung. Und ehrlich – wie hätten wir die tristen kinolosen Zeiten überstanden ohne die teils wirklich erstklassigen Streaming-Angebote? Längst lassen sich die besten Regisseure von Streamern ihre Produktionen finanzieren. Der Zuschauer allerdings muss sich im unübersichtlichen Streaming-Dschungel erst einmal zurechtfinden ... 

So liegt in einem sorgsam kuratierten Programm denn auch eine der Zukunfts-Garantien der Lichtspielhäuser. Noch sind nicht sehr viele Schließungen bekannt, die Gefahr, dass es einige Betriebe nicht schaffen werden, bleibt bestehen. Denn planbar war, ist und wird für Filmverleiher und Kinobetreiber lange noch so gut wie nichts sein, Filmstarts werden nach wie vor verschoben. Das Risiko für den Verleih, einen Großteil des Werbebudgets auszugeben und den Film dann doch nicht herausbringen zu können, ist groß. Möglich ist fast nur noch Online-Werbung, was sich wiederum auch auf klassische Werbeformate auswirkt. 

Verschobene Premieren

Dabei schrieben viele Kinos unmittelbar vor dem ersten Lockdown gute Zahlen, in Ermangelung von immer aufs neue verschobenen US-Blockbustern wie dem neuen Bond „Keine Zeit zu sterben mit heimischem Produkt. Am Wochenende vor dem neuerlichen Lockdown sahen mehr als 700.000 Besucher in den deutschen Filmtheatern Familienfilme wie „Yakari – Der Kinofilm oder „Jim Knopf und die wilde 13. Julia von Heinz’ Venedig-Beitrag „Und morgen die ganze Welt schaffte es in die Top Ten der deutschen Charts, ehe er wieder zwangsweise abgesetzt wurde. Anfang November wurden dann noch einmal die stärksten Besucherzahlen seit Ende März geschrieben. Und ein Comeback des Jahres gab es auch: Die altehrwürdige Institution Autokino sorgte für Umsätze, die sie in pandemiefreien Zeiten wohl nicht erreicht hätte. 

Die Studios konnten einige ihrer Centerpieces an Streamer wie Netflix loswerden – aber ihr komplettes Tafelsilber wollten sie, mit Ausnahme von Warner Bros., dann doch nicht verscherbeln. Das Studio, ein Unternehmen der zum Telekommunikationskonzern AT&T gehörenden WarnerMedia, überraschte zum Jahresausklang mit der Ankündigung, seine insgesamt 17 für 2021 geplanten Titel, darunter potenzielle Blockbuster wie „Wonder Woman 1984“, der noch in diesem Jahr starten soll, oder sehnsüchtig erwartete Knaller wie „Dune und „Matrix 4, in den USA zeitgleich im Kino und beim hauseigenen Streamingdienst HBO Max herauszubringen.

Verleihe gehen ins Netz

Christopher Nolan („The Dark Knight"), dessen anspruchsvoller Sci-Fi-Actionthriller „Tenet“ in diesem Jahr als Rettungsanker mit 300 Mio. Dollar in den Kinos Kasse machte, schimpfte gegenüber dem Branchenblatt „The Hollywood Reporter“: "Einige der größten Filmemacher und wichtigsten Stars unserer Industrie sind ins Bett gegangen in dem Gedanken, dass sie für das großartigste Filmstudio arbeiten, und sie sind aufgewacht mit der Erkenntnis, dass sie für den schlimmsten Streamingdienst arbeiten." Immerhin geht es auch um Beteiligungen der Kreativen an einer Kinoauswertung. 

Mit einem solchen Modell, so fürchten Kinobetreiber, Filmschaffende und Verleiher, ist das Auswertungsfenster – der Zeitraum zwischen Kinostart und Weiterverwertung auf anderen Plattformen – von in der Regel mehreren Monaten endgültig Geschichte. Der Deal ist auf ein Jahr und zunächst nur die USA begrenzt und enthält so etwas wie ein Kinofenster: Nach einer einmonatigen Laufzeit auf HBO Max sollen die Filme zunächst exklusiv in Kinos laufen, ehe sie in weitere Verwertungsläufe gehen. Der Fenster-Dammbruch kündet sicher vom Ende der klassischen Auswertungsstrategie. Das Ende der Kinos als Abspielstätten Nr. 1 bedeutet er nicht, auch wenn nicht abzusehen ist, welche Folgen ein solcher Deal für die Branche hat. Spekuliert wird auch über zukünftige Deals von Kinoketten direkt mit Streamern, unter Umgehung von Abspielfenstern. Vieles, alles ist in Bewegung gekommen in diesem Jahr des Stillstands.

Streaming ist kein Ersatz

Wahrscheinlich wird die Zukunft ein Miteinander bringen, ein sowohl als auch. Denn selbst wenn Impfstoffe zur Verfügung stehen, sind die gewaltigen Marketingkosten für einen breiten Filmstart vielleicht in Zukunft nur gemeinsam zu stemmen – Modelle zu gerechten Beteiligungen der Kinos an anderen Auswertungsschienen sind gefragt. Schließlich veredelt ein Kinostart jeden Film, sind Streamer eine Bereicherung, aber kein als Ersatz fürs Kinoerlebnis.

Was ist uns dessen Erhaltung wert? Haben neun Monate ohne das Vergnügen, ins Dunkle des Kinosaals einzutauchen und uns in andere Welten, weg von unseren Alltagsgedanken, transportieren zu lassen, unsere Wertschätzung gestärkt? Sind wir heimkinomüde geworden? Sehnen wir uns nach dem Miteinander? Die Kinos berichten von einer Welle der Solidarität des Publikums, z.B. durch den Kauf von Kinogutscheinen. Die gut gefüllten Startlisten für 2021 lassen hoffen und machen Lust, wieder im Kinosessel zu versinken, wenn das Licht an- und die Emotionen abgehen. Das Medium und die Kunstform Film wird überleben. Aber Kinos und Verleiher brauchen Planungssicherheit und einen gewissen Vorlauf, um ihre Filme ordentlich herauszubringen und zu bewerben. Festivals spielen dabei eine wichtige Rolle – die 71. Ausgabe der Berlinale wurde gerade in ihrer gewohnten Form abgesagt. Statt des üblichen Publikumsfestivals im Februar wird es in diesem Jahr quasi zwei Berlinalen geben: ein Online-Angebot im März und ein Publikum-Event im Juni. Kreativität ist und bleibt gefragt vonseiten der Kinos, und wir, das Publikum, entscheiden darüber, wie es weitergehen wird mit der siebten Kunst.

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