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„Kolesnikowa steht für das neue Belarus“ / Pasha Kritchko

Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa in Belarus - Flötistin an vorderster Front

Im Mittelpunkt der Proteste in Belarus stehen Frauen: Während ihre Mitstreiterin Swetlana Tichanowskaja heute Angela Merkel in Berlin trifft, sitzt die Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa in ihrer Heimat in Haft. Ein Porträt der Bürgerrechtlerin und Musikerin von Moritz Gathmann.

Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Denkt Maria Kolesnikowa manchmal darüber nach, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie in Stuttgart geblieben wäre? Man kann sie nicht mehr fragen: Seit dem 8. September sitzt die letzte im Land verbliebene Oppositionsführerin von Belarus in Haft.
Die 38-jährige Flötistin, die nun in die Rolle der Oppositionsführerin gespült wurde, steht symptomatisch für das Problem der ins Stocken geratenen Revolution in dem osteuropäischen Land, das nach 26 Jahren Lukaschenko einen Weg aus der Krise sucht: Es gibt keine Politiker, die über die nötige Autorität und Erfahrung verfügen, um in dieser brenzligen Lage mit dem Regime und dem Kreml verhandeln zu können, die aber auch den richtigen Ton finden, wenn sie vor streikenden Bergarbeitern sprechen. 
Alexander Lukaschenko, der das Land seit 1994 führt, hat mit ruhiger Regelmäßigkeit nach jeder Präsidentschaftswahl die Oppositionellen ins Gefängnis werfen lassen. Die meisten zogen sich nach der Freilassung ins Private zurück, andere gingen ins Exil. 

2020 war alles anders: Lukaschenko ließ die zwei wichtigsten Kandidaten schon Monate vor der Wahl festnehmen, ein dritter floh über Moskau in die Ukraine. Im Land blieben die Ehefrauen zweier Kandidaten sowie Maria Kolesnikowa, die den Wahlkampf des ehemaligen Bankiers Viktor Babariko geleitet hatte. Die drei überraschten den Diktator damit, dass sie sich zusammenschlossen, eine von ihnen, Swetlana Tichanowskaja, kandidierte für das Präsidentenamt. 

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Christa Wallau | Di., 6. Oktober 2020 - 11:59

... würde diese Frau es sicher nicht auf sich nehmen, dem Diktator in Minsk die Stirn zu bieten. Zweifellos ist sie überzeugt davon, als Priviligierte ihren Mitbürgern etwas Gutes tun zu müssen, was immer auch sie persönlich sich von ihrem Tun verspricht. Sie ist sehr mutig und bereit, Leiden auf sich zu nehmen. Das verdient höchsten Respekt.
Ob daraus etwas Positives erwächst, d. h. tatsächlich mehr Freiheit und Selbstbestimmung für die Weiß-Russen, ist ganz ungewiß, jedenfalls was die unmittelbare Zukunft anbetrifft.
Ich wünsche Frau Kolesnikowa von Herzen, daß sie bald wieder in Freiheit sein darf.

Eine solche wird es nicht geben. Man hört nichts davon, wie eine Alternative zu Lukaschenko den Spagat zwischen Frieden mit Moskau, Aufrechterhaltung der Wirtschaft mit Moskau (70% Staatsanteil) und einen Staatsumbau zu einer rechtsstaatlichen Ordnung, die Voraussetzung für ein demokratisches System wäre, denken und umsetzen könnte. Bei allem Verständnis und Sympathie für die Rebellion, aber Demokratie kommt nicht von Wahlen, kommt nicht von der CIA und kann auch nicht von der EU kommen. Letztere hat selbst keine Ahnung was das heißt.

es wird schwierig werden.
Unbetritten Herr Lukaschenko gehört weg 26 Jahre sind mehr als genug. Es scheint aber, dass unter Lukaschenkos Herrschaft die Infrastruktur vorhanden ist/war um den künstlerisch begabten Menschen das Rüstzeug und die Ausbbildung zu geben die es ihnen ermöglichte ihre künstlerischen Begabungen zum Beruf zu machen. Somit konnten diese Personen erst zu dem werden was sie heute sind, anerkannte und gefeierte Stars im In- und Ausland in dem Fall als Flötistin. Es scheint, dass es nicht nur schwarz-weiß gibt sondern viele Grautöne dazwischen. Tatsache ist, dass Künstler eher weltweit ein Betätigungsfeld finden wenns Hause brenzlig wird als z. Bspl Arbeiter in einem Traktorenwerk oder Arbeiter aus einem Bergwerk usw., usw. Meine Befüchtung ist, dass die Kämpfer/innen die sich aufrichtig für Veränderung einsetzen als Werkzeuge benutzt werden um ganz andere Ziele zu erreichen.

Johannes Renz | Di., 6. Oktober 2020 - 18:14

Vor kurzem war ich überrascht zu hören, dass Frau Kolesnikowa nicht nur in Stuttgart studiert, sondern an meinem Wohnort sogar unterrichtet hat. Interessant, wie sich Menschen entwickeln können. Politisch betrachtet sind mir "Querflöten" jedenfalls im Zweifel lieber als "Blockflöten", auch wenn das Wort "Querdenker" inzwischen von einer ebenfalls in Stuttgart gegründeten Gruppe ziemlich in Verruf gebracht wurde.

Ernst-Günther Konrad | Di., 6. Oktober 2020 - 18:27

"Tichanowskaja, die laut offiziellen Angaben 10 Prozent der Stimmen erhielt,..".
Ein Staatsführer 26 Jahre im Amt, der alles daran setzt seine Macht zu erhalten und auszubauen und Opposition wegsperrt, ja, den kann man einen Diktator nennen. Offiziell habe die Opposition nur 10%. Gut, das können auch einige mehr sein, wenn Wahlfälschung im Spiel ist. Nur frage ich mich, will das Volk den Wechsel wirklich? Wieviele gehen tatsächlich auf die Straße und wieviel leben gerne unter der Staatsführung? Es gibt dort wohl noch mehrere Oppositionsparteien. Warum schließt man sich nicht zusammen und versucht gemeinsam Lukaschenko aus dem Amt zu bringen. Eine zweifellos mutige Frau, der ich persönlich alles Gute wünsche. Ich kann nirgendwo lesen, was die Oppositionellen nach Lukaschenko eigentlich wollen. Eine Änderung dort wird ohne Putin nicht gehen. Wer spricht mit ihm? Wer hat da noch die Finger im Spiel? Welche Oligarchen ziehen hinter der Opposition die Strippen? Fragen über Fragen.