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Alles ist anders - Über Monogamie und linke Feindbilder

Die Welt steht Kopf: Frauen sind plötzlich nicht gemacht für Monogamie, die Rechte ist offen reaktionär und Einbrecher werden durch Simulatoren abgeschreckt. Nur auf die Linke ist verlass. Sie solidarisiert sich weiterhin mit den Falschen

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Nichts ist mehr, wie es mal war.

Versuchen Sie mal einer älteren Dame in einer voll besetzten Bahn einen Platz anzubieten. Es kann passieren, dass Sie einen bösen Blick kassieren, weil sich die Dame darüber erbost, dass Sie sie für sitzreif halten.

Unweigerlich führt uns die heutige Zeit ein Im-Bus-Aufsteh-Dilemma vor Augen: Wann darf ich, wann kann ich, wann muss ich?

Selbst im Zwischenmenschlichsten aller Bereiche ist der Wurm drin. Jetzt sind es nicht mehr die Männer, die Monogamie biologisch überfordert. Jetzt sollen Frauen auf einmal für treusame Geschlechtigkeit schlichtweg nicht geeignet sein. Das zumindest behauptet der US-amerikanische Journalist Daniel Bergner in seinem Buch „Die versteckte Lust der Frauen“. Darin stellt er die These auf, dass Frauen innerhalb kürzester Zeit das sexuelle Interesse an ihrem Partner verlieren und folglich für die Monogamie nicht geschaffen seien. Potzblitz. Ob andersherum der Mann die eigene Frau noch nach Jahren begehrt, oder sie vielleicht nur deswegen beschläft, weil sie eben verfügbar ist, sei einmal dahingestellt.

Ja, endlich hat mal jemand die Geschlechterdebatte vom Kopf auf die Füße gestellt. Erst war der Mann Schuld und jetzt die Frau, die im Zuge der Emanzipation zum schlechteren Mann geworden ist. Fast alle populären Publikationen zum Thema versuchen, das Scheitern von Beziehungen auf der Geschlechterebene zu verhandeln. Mario Barth im Empiriemäntelchen sozusagen. Männer sind so und Frauen anders. Der Beziehungskonflikt sei vorprogrammiert. Aber: Zeigen nicht gerade die homosexuellen Beziehungen, die mit denselben Höhen und Tiefen zu kämpfen haben, dass das Problem ein zwischenmenschliches und kein intersexuelles ist? Egal. Nichts ist bekanntlich mehr, wie es war.

Auch in deutschen Ställen ist das so. Beziehungsweise eben nicht mehr so. Plötzlich lesen wir von Kühen, die ihre Behausung in Flammen pupsen, von einem FC Bayern, der sich jetzt mit Traumtoren zum späten Sieg duselt, von olympischen Winterspielen, die in subtropischen Regionen stattfinden, oder von einer Außerparlamentarischen Opposition in Deutschland, die sich plötzlich libertär und konservativ gibt. Ja, die BILD will, die FDP muss APO sein.

Willkommen im WTF-Zeitalter
 

Nicht einmal der gemeine Einbrecher ist vor Innovationen sicher. In den hiesigen Discountern werden TV-Simulatoren angeboten. Richtig, Geräte, die das Flimmern eines Fernsehgerätes simulieren, damit Conny und Marc-Antonio in Ruhe auf Teneriffa Jetski fahren können, ohne Angst haben zu müssen, dass zuhause eingebrochen wird. Wobei die Frage erlaubt sein muss, was mehr Strom verbraucht? Ein laufendes TV-Gerät oder ein TV-Simulator? Und ob man neben einem TV-Simulator nicht auch, der Authentizität halber (immerhin ist so ein Einbrecher ja nicht völlig bescheuert), einen TV-Geräusche-Simulator braucht, damit die Simulation ihr ganzes Abschreckungspotenzial dann auch wirklich entfalten kann.

Willkommen im WTF-Zeitalter. In dem nicht einmal ein öffentlich-rechtlicher Durchschnittsmoderator unerträglich unterirdisch moderieren kann, ohne dass die Mitmachdemokratie per Mausklick ihn gleich zum Teufel wünscht.

Und in der Politik? Auch alles anders. Die Neue Rechte gibt plötzlich ganz offen zu, dass sie reaktionär ist. Sie will das Alte jetzt nicht mehr nur bewahren, sondern zurückdrehen und halten – um jeden Preis.

Alles anders also.

Halt. Nein. Auf eine ist verlass. Auf die Linke.

Wie so oft solidarisiert sie sich mit den Falschen. In Hamburg war der Aufschrei groß, als die Polizei mit zum Teil fragwürdigen Methoden versuchte, die Gewalt unter Kontrolle zu bringen. Die Unverhältnismäßigkeit autonomer Gewalttäter wurde allerdings kaum in Frage gestellt. Statt die Gewaltbereiten aus dem Viertel zu jagen, weil sie der eigentlichen Sache einen Bärendienst erwiesen, wurde der böse Polizeistaat zum Feind auserkoren. Mal wieder. Diese Art der schweigenden Solidarisierung ist mindestens mal doppelt problematisch, weil es die gewaltbereiten Autonomen nicht nur ins gemeinsame Boot des Protestes holte, sondern diese Gruppe gleichermaßen politisch auflud – statt ihnen zuzurufen: Ihr seid alles, nur nicht links. Und sie anschließend aus der Stadt zu jagen.

Wenn die linkere Linke also endlich kapiert, dass sie sich viel zu oft mit den Falschen solidarisiert, und dass die Feinde der Feinde nicht automatisch Freunde sind, dann, erst dann ist wirklich nichts mehr, wie es mal war.

Und das wäre tatsächlich einmal gut so.

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