- Der über den Wulff richtet
Schläger, Räuber, Mörder. Frank Rosenow hat viel gesehen in seinem Gerichtssaal. Ab Donnerstag führt er den Prozess gegen Christian Wulff, einst Staatsoberhaupt der Bundesrepublik
Dieser Artikel erschien zuerst in der Oktober-Ausgabe des Cicero. Das Magazin für politische Kultur erhalten Sie am Kiosk oder direkt hier im Online-Shop.
Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Mittel. Landgericht Hannover. Der 50 Jahre alte Zeuge zittert. Er ist Alkoholiker. Vor der Verhandlung trinkt er nicht, weil er Anwälten und Richter nüchtern gegenübertreten möchte. Entzugserscheinungen im Zeugenstand. Nervosität, Ruhelosigkeit, Konzentrationsabfall. Er ist der einzige Zeuge. Es geht um Mord. Der Fall steht auf der Kippe. Der Richter handelt: Ein Gerichtsdiener wird angewiesen, etwas zu trinken zu besorgen. Zwei Flachmänner, Weinbrand Marke „Avicourt“, je 0,1 Liter, 36 Prozent. Im Richterzimmer spült der Mann das Zeug runter, dann sagt er aus.
Der Strafverteidiger Marcin Raminski glaubt es kaum. Er sei „überrascht und perplex“ gewesen, erzählt er von der Verhandlung im Jahr 2012. „Erhalten Drogensüchtige demnächst Heroin?“, hat er damals geschimpft. Der Richter gibt schließlich nach, verzichtet darauf, die Aussage zu verwerten. Der Boulevard stürzt sich auf den Fall. Von einer „Schnapsidee“ ist die Rede, vom „Zeugen-Schluck-Programm“.
[gallery:Die Bilder zur Wulff-Affäre]
Der Richter heißt Frank Rosenow, seit zwei Jahren Vorsitzender der 2. Großen Strafkammer am Landgericht Hannover. Er verhandelt den Fall Christian Wulff. Die Erfahrungen, die er mit der Boulevardpresse sammeln durfte, könnten ihm helfen, klobige Schlagzeilen zu überstehen. Spätestens mit dem ersten Verhandlungstag, angesetzt für den kommenden Donnerstag, den 14. November, wird das Land nicht nur auf Christian Wulff, sondern auch auf seinen Richter blicken. 16 Verhandlungstage hat Rosenow fürs Erste veranschlagt. Es ist ein Fall ohne Muster. Staat gegen Ex-Staatsoberhaupt – einen Prozess gegen einen ehemaligen Bundespräsidenten gab es in Deutschland noch nie.
Kein eitler Fatzke
Rosenow hat viel gesehen. Im April 2012 saß ein Mann auf der Anklagebank, der mit einem Handfeger eine Bank überfallen wollte und gegen die Eingangstür prallte. Er hatte Zuhälter in seinem Gerichtssaal, Schläger und Mörder. Jetzt wird der Angeklagte ein Mann sein, der mit 54 Jahren so alt ist wie er und der wie er Jura studiert hat: Wulff.
Fragt man Juristen in Hannover nach ihm, sagen sie, dass Rosenow sich wohl kaum vom Aufsehen des Falles wird beeindrucken lassen. Er sei kein eitler Fatzke, der unbedingt den Prozess seines Lebens führen will, hört man aus Anwaltskreisen immer wieder. Im Gerichtssaal wirke er entspannt mit seinem offenen Lächeln. Geduldig, nüchtern – so beschreiben ihn Juristen, die ihn aus dem Gerichtssaal kennen.
Rosenow selbst schweigt. Keine Interviews, kein Wort über diesen Prozess. Das Schweigen tut gut. Es kontrastiert mit der Lautstärke der Wulff-Wochen, in denen halb Deutschland über den Präsidenten zu Gericht saß. Auf den Moralprozess, in dem sich die Anklagepunkte ins Unüberschaubare summierten und sich die Ankläger aus Politik und Medien übertrumpften, folgt ein schlichtes deutsches Strafverfahren unter dem Vorsitz von Frank Rosenow.
25 Zeugen und sieben Aktenordner gegen Christian Wulff
Der Turbulenz der Affäre Wulff steht die nüchterne Art dieses Richters gegenüber. Einen ersten Akzent hat er gesetzt: Er hat das Verfahren eine Nummer kleiner gemacht. Es wird nicht, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, wegen Bestechlichkeit geführt, sondern nur wegen Vorteilsnahme.
Bereits die Staatsanwaltschaft wertete nach ihren überaus umfangreichen Ermittlungen nur einen Vorgang aus dem Jahr 2008 als strafwürdig. Die Anklage dreht sich um einen Besuch von Wulff, da noch niedersächsischer Ministerpräsident, und dem Filmproduzenten David Groenewold beim Münchner Oktoberfest. Groenewold soll für Wulff und dessen Familie Hotel- und Kinderbetreuungskosten in Höhe von 510 Euro und die Kosten für ein gemeinsames Abendessen für 209,40 Euro übernommen haben. Zudem soll er für einen Festzeltbesuch bezahlt haben. Daraufhin soll Wulff sich in einem Brief an den Konzern Siemens für die Förderung eines geplanten Groenewold-Filmes eingesetzt haben.
In der Anklageschrift werden 25 Zeugen und sieben Aktenordner mit ausgewerteten Unterlagen als Beweismittel aufgeführt. Allerhand Details müssen untersucht, Zeugen geladen werden. Hotelangestellte und Oktoberfestgäste dürften befragt werden. Auch die mittlerweile von Christian Wulff getrennt lebende Ehefrau Bettina könnte als Zeugin auftreten. Die Staatsanwaltschaft dürfte mikroskopisch die Beziehung zwischen Groenewold und Wulff untersuchen. Der Richter muss klären, wo Freundschaft endet und wann die Korruption beginnt.
Rosenow gebe den Prozessbeteiligten Raum, sagt der Hannoveraner Strafverteidiger Andreas Bäsecke. Bäsecke erzählt auch von einem Prozess unter dem Vorsitz Rosenows: Ein Mann wurde wegen Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde angefochten. Der Bundesgerichtshof hob es auf und verwies den Fall an eine andere Kammer des Landgerichts. Er landete bei Frank Rosenow. Der verurteilte den Mann zu denselben 14 Jahren. Es hätte viele Richter gegeben, die sich das nicht getraut hätten.
Aber Rosenow macht sein Ding.
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