- Promis, Facebook, Dudelfunk
Die Pleite von „Frankfurter Rundschau“, „Financial Times Deutschland“ und der Nachrichtenagentur dapd waren erst der Auftakt. Die Medienwelt wandelt sich grundlegend – von der Zeitung zum sozialen Netzwerk, von der Recherche zur PR. Profitieren wird nicht die Demokratie, sondern der Agendasetter aus Politik oder Wirtschaft
Die digitale Revolution hat die Medienwelt einem rasanten Wandel unterworfen. Das Internet ist nicht nur das vierte Massenmedium. Es ist zugleich das Metamedium, über das die drei alten Medien Zeitung, Zeitschrift, Radio und Fernsehen zunehmend konsumiert werden. Es geht für Medienorgane also darum, im Internet eine starke Marke aufzubauen, Mehrwert zu bieten und die überfütterten Besucher immer wieder zu überraschen. Wer das schafft, wird überleben. Alles andere ist die Medienwelt von gestern – und Ewigkeiten her. Aber wie genau soll das funktionieren? Wie werden sich die Medien in Zukunft verändern?
Dazu die folgenden zehn Thesen :
1. Die Journalisten verlieren die Deutungsmacht.
Aktuell leidet der Journalismus unter einer zunehmenden Kommerzialisierung und Ökonomisierung. Die Konzentration der Medienunternehmen und die Anzeigenkrise führen zu einem umfangreichen Stellenabbau – und als Konsequenz zu einer drastischen Abnahme an Recherche-Journalismus. Redakteure werden so in den freien Journalismus abgedrängt, was letztlich eine Deprofessionalisierung in der Branche der publizistischen Aufklärer bewirkt.
Mit dem Aufstieg des Internets hat sich auch der Journalismus verändert. Ehedem galt er als liberaler und skeptischer Agent der Aufklärung, der selbstlos nach Wahrheit sucht, eine öffentliche Aufgabe erfüllt und eine Kulturleistung erbringt.
Heute ist der Journalismus Teil der Populärkultur, für die Mächtigen eine Schlüsselindustrie, ein Geschäftsmodell. Medienkritiker verurteilen den Trend zum market-driven journalism. Die Berichterstatter müssen liefern, was bunt, sexy, kurios ist und den Boulevard bedient; da bieten sich Sport, Promis, Szene und Kriminalität an. Wichtiges wird nicht mehr wie früher von Unwichtigem getrennt. Schlagzeilen entstehen vor den Inhalten, danach wird recherchiert und der Titel mühevoll belegt. Die einst wichtigsten Nachrichtenfaktoren Relevanz und Nutzwert haben an Bedeutung verloren. Fernsehjournalisten mutieren zu Showstars, Redakteure produzieren erkennbar interessegeleitete Inhalte – sie müssen es tun, denn viele von ihnen fürchten um ihre Stellen. Dabei ist hochwertiger Journalismus konstitutiv für die Demokratie. Daraus folgt: Mangelt es großflächig an journalistischer Qualität, ist die Demokratie in Gefahr.
2. Die journalistische Vielfalt nimmt ab.
Die überregionalen Tageszeitungen haben zwischen 2000 und 2008 ein Drittel ihrer Leser eingebüßt. Die 10 größten Verlage teilen sich rund 60 Prozent des Marktes, das ist eine enorme Marktkonzentration. Die meisten Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland sind so genannte Einzeitungskreise. Und eben diese Druckmedien sind nach wie vor die hauptsächlichen Nachrichten- und Inhalte-Lieferanten der medialen Welt. Wenn sie sterben und mit ihnen dann auch die Nachrichtenagenturen, stirbt eine Informationskultur, die durch noch so viele oberflächliche oder themenspezifische Internetangebote nicht kompensiert werden kann.
Ohne Not haben die Zeitungen in Deutschland wie andernorts ihr Geschäftsmodell ruiniert, indem sie ihre Produkte (Nachrichten und Lesegeschichten) in den vergangenen 20 Jahren nach und nach kostenfrei ins Netz gestellt haben. Sie haben sich sozusagen im Internet kannibalisiert.
Diskutierte Möglichkeiten zur Stützung der Tageszeitungen sind: ein öffentlich-rechtliches Zeitungsmodell, staatliche Hilfe für Zeitungen, Volksaktien für die Leserschaft sowie ein stiftungsfinanzierter Journalismus (analog zu Non-Profit-News in den USA).
3. Auch die Qualität der Berichterstattung sinkt beständig.
Der Journalismus kommt seiner eigentlichen Aufgabe (Information der Menschen über relevante Nachrichten, Kontrolle der Mächtigen, Einsatz für Minderheiten und für die Werte der Demokratie und der Aufklärung) nicht mehr umfänglich nach. Die Kommerzialisierung des Fernsehens seit 1984 sowie die Digitalisierung und Segmentierung der öffentlichen Kommunikation haben den seriösen Journalismus an den Rand gedrängt.
Seite 2: Rügen wird in der Vogelgrippe zur „Todesinsel“
Der Trend zur Infotainisierung des Journalismus hält an. Die Trennung zwischen Information und Unterhaltung verschwimmt. Und die Glaubwürdigkeit des Journalismus ist in Gefahr. Ein Beispiel: Die Tagesschau verlor nach Meinung vieler Medienkritiker gleichsam ihre Unschuld, als sie berichtete, dass ein gewisser Daniel Küblböck, Teilnehmer einer Show im Privatfernsehen, einen Gurkenlaster gerammt hatte.
Auch die Nachrichtenberichterstattung wird inzwischen durch die Internettechnik verändert. Die Abrufzahlen von Internetangeboten (Klicks) werden auf Webservern gezählt. Sie werden zeitgleich eingesehen und zur Veränderung aktueller Inhalte verwendet (Echtzeit-Quoten). Das verschärft den Trend zum Mainstreaming in den Medien nach der Devise: Wir machen zunehmend das, was die Menschen haben wollen. Oder anders: Tausende Fliegen können nicht irren. Kultur, Bildung, Qualität und Anspruch müssen folglich Klatsch, Sensationen und Explosionen weichen.
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4. Die Medien schaffen eine eigene „Medienrealität“.
Die Aufgabe der Medien ist es, ein möglichst genaues Abbild der Welt bereit zu stellen und ein Spiegel der Wirklichkeit zu sein. Sie können die Wirklichkeit aber nicht abbilden. Journalisten konstruieren Wirklichkeit. Und sie legen dabei zunehmend zweifelhafte Maßstäbe an. So sterben nach Angaben der Welthungerhilfe täglich 24.000 Menschen weltweit an Hunger, darunter 13.700 Kinder. Das sind zehn Kinder pro Minute. Aber das interessiert die Medien nicht. Über das Alltägliche wird kaum berichtet. Wenn sich aber Dieter Bohlen den Fuß verstauchte, wären ihm die Schlagzeilen sicher. Das Boulevardeske, Unpolitische, Leichte triumphiert in den Medien zunehmend über das Bedeutsame, Politische, Komplexe.
Letztlich trägt der Journalismus sogar zur Hysterisierung der Gesellschaft bei. Nach dem Leitsatz bad news are good news werden Nachrichten aufgebauscht und kommentiert und Spekulationen schießen ins Land. Als auf Rügen zwei verendete Vögel gefunden wurden, titelte Deutschlands Boulevard-Massenblatt: „Die Todesinsel“. Schon die alten Römer wussten: semper aliquid haeret – etwas bleibt immer hängen.
5. Das Fernsehen hat sich zum Unterhaltungsmedium entwickelt – es fördert nicht mehr, wie einst, den gesellschaftlichen Fortschritt.
Das Fernsehen in Deutschland stabilisiert die Machtverhältnisse. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich zum Parteienfunk entwickelt. ARD und ZDF sind zwar kommerziell unabhängig. Aber der Preis dafür ist ein extremer Parteien-Einfluss und mithin ihre Staatsnähe. Das haben mehrere Bundespräsidenten und viele Medienkritiker und Philosophen scharf kritisiert, geändert hat sich dadurch nichts.
In den ARD- und ZDF-Gremien dominieren Parteisoldaten, die sich ihrem Lager verpflichtet fühlen: Ministerpräsidenten, Minister, Staatssekretäre, Abgeordnete und andere Menschen mit Parteibuch und Treuebekenntnis. Also werden die entscheidenden Positionen in den Anstalten nach Parteienproporz besetzt. Und Personalentscheidungen sind Inhalts-Entscheidungen. Dieser Systemfehler hat zur Folge, dass Berichterstattungs-Themen ausgespart werden, die die politischen Parteien für nicht opportun halten (z.B. Parteien-Finanzierung, Armutsproblematik künftiger Rentner, Konsequenzen der jährlichen staatlichen Neuverschuldung, Politiker-Versorgung).
Eigentlich sollten ARD und ZDF komplett auf ihre Werbeeinnahmen – die sie nicht brauchen – verzichten (analog zur BBC), sich aus dem Quotenwettlauf mit den kommerziellen Kanälen befreien und strikt auf Qualität der Berichterstattung und der Unterhaltung setzen. Und das Privatfernsehen? Leider sind die Kommerzkanäle bei der Informationsvermittlung nicht ernst zu nehmen. Denn deren Zielgruppen wollen sich angeblich nur ausruhen und amüsieren und das Fernsehen als Blödmaschine nutzen. Das meinen jedenfalls die Macher in den Sendern. Sonst würden sie die täglichen Niveauzumutungen nicht programmieren. Beispielsweise haben die „News“ bei RTL, ProSiebenSat1 und Co. kaum etwas mit Nachrichtenjournalismus zu tun, sondern sind eher Kirmesmeldungen: mit viel Klatsch, Rotlicht, Blaulicht und Freakshow.
6. Die Medienrezeption wandelt sich in nur einer Generation grundlegend.
Zwanzigjährige schauen kaum noch fern und lesen kaum noch Zeitung. Die junge Generation rezipiert, worauf sie von den selbst eingerichteten Alerts und von ihren so genannten Freunden aus den sozialen Netzen hingewiesen wird. Mit dem Programm-Fernsehen ihrer Eltern hat diese Generation gebrochen. Deshalb verliert das Fernsehen seine Integrationsfunktion. Es vermittelt nicht mehr wie früher das Gefühl von Zugehörigkeit, Gemeinschaftssinn und Identität – jedenfalls nicht in der Generation der born digitals. Wer früher nicht die Tagesschau oder Wetten, dass… gesehen hatte, konnte am nächsten Tag am Arbeitsplatz, an der Hochschule oder in der Schule nicht mitreden. Tempi passati.
Nicht anders beim Radio. Welcher 20-Jährige hört noch Deutschlandfunk oder Bayern 2? Die junge Generation lässt den Dudelfunk laufen mit Promimeldungen und Hinweisen auf die neuesten Apps. Die Mainstream-Radiostationen spielen die Chart-Titel rauf und runter, nachts macht das ein Computer, so dass nicht mal mehr ein Pförtner im Sender wacht. Und für den Handel ist das Radio wie ehedem ein gutes Abverkaufsmedium, was dazu führt, dass die Hörer regelmäßig angeschrien werden: „Kauf mich! Nur heute! Supergünstig!“ Diese Dauerpenetranz von Media-Markt und Lady Gaga, die für Erwachsene so prickelnd ist wie ein nasser Spülschwamm, prägt die Konsumkultur der nächsten Generation. Was das für ihre Wertvorstellungen bedeutet, ist eine Aufgabe für Soziologen.
Seite 3: Zurück zur Bildkultur der Vor-Gutenberg-Zeit
7. Organisationen nehmen mittels Public Relations wachsenden Einfluss auf die öffentliche Kommunikation.
Organisationen haben die Themen der Medienberichterstattung unter Kontrolle, die weitaus meisten Meldungen und Geschichten bei Nachrichtenagenturen und Tageszeitungen gehen auf PR-Informationen zurück. Das wollen Journalisten oft nicht wahr haben. Immerhin: In Krisensituationen werden Journalisten aktiver und nutzen verstärkt eigene Quellen.
Aufgabe des Journalismus ist es unter anderem, Verlautbarungen der Organisationen zu hinterfragen und Themen zu recherchieren, die für die Öffentlichkeit wichtig sind, aber von den Unternehmen nicht von sich aus kommuniziert werden. Wird der Journalismus weiter personell ausgedünnt, kann er diese Funktion nicht mehr umfassend erfüllen.
8. Medienorgane versuchen, verloren gegangenes Interesse ihrer Nutzer zurück zu erobern.
Mediennutzer sind gezielt faul: Sie wollen ohne Mühe überrascht, unterhalten und gut informiert werden. Inhalte-Anbieter sollten also versuchen, Zuspruch und Anspruch zu verbinden. Die Medien sollten Ombudsstellen als Ansprechpartner ihrer Käufer und Rezipienten einrichten. Sie sollten die Öffentlichkeit wertschätzen und in die Veröffentlichungen einbeziehen. Ein Medienhaus muss alle Verwertungsmöglichkeiten einer Nachricht bedienen: Twittermeldung, Abonnenten-Mail, Radiomeldung, Fernsehbericht, Zeitungsgeschichte, Nachberichterstattung und Zusatzinformationen. Die deutschen Zeitungsverlage arbeiten allerdings bislang nicht gut crossmedial, denn Audio und Bewegtbild werden noch vernachlässigt.
Zeitungen sollten akzeptieren, dass sie den ersten Tag einer neuen Meldung verloren haben. Sie erscheinen eben erst viele Stunden nach dem Bekanntwerden einer Nachricht. Folglich müssen sie Inhalte bieten, die es in den oberflächlichen elektronischen Medien kaum gibt: Analysen, Hintergründe, Einordnungen, Kommentare. Und die Geschichten hinter den Nachrichten.
Die Zukunft der Zeitung ist vielleicht hyperlokal: Sie kann berichten, wo in der Nachbarschaft ein neues Haus gebaut wird, wer seinen Arbeitsplatz gewechselt hat, wer sich scheiden hat lassen – alles das, was Google nicht kann. Die Amerikaner sagen: News is about me. Denn im Zuge der Globalisierung ziehen sich viele Menschen in ihr Umfeld zurück, ins Vertraute.
9. Internet und Fernsehen werden verschmelzen (aber zu was?).
Das Fernsehen ist das wichtigste und glaubwürdigste Medium, es prägt die Menschen am stärksten. Und auch das Internet ist ein Bildmedium – Filme von Bürgern, von Organisationen und Sendungen des Fernsehens werden zunehmend stärker übers Internet rezipiert. Gegenwärtig kann das Internet nicht die Qualitätsmedien ersetzen, allenfalls ergänzen. Nur wenige Beiträge in der Blogosphäre erreichen das Niveau einer journalistischen Kultur. Aber Crogs (Carefully-Researched Weblogs, sorgfältig recherchierte Weblogs) werden sich auch hierzulande entwickeln.
Die Schrift wird aus ihrer medialen Zentralstellung verdrängt. Das Bild gewinnt an Bedeutung – wir bewegen uns zurück zur Bildkultur der Vor-Gutenberg-Zeit. Und die Politik wirbt nicht mehr wie früher via Parlamentsdebatten, sondern in den Fernseh-Inszenierungen bei Jauch, Will, Illner, Plasberg.
Die Time-Märkte (Telekommunikation, Informationstechnik, Medien, Entertainment) werden sich weiter verdichten und verschmelzen. Doch weiß niemand, wie wir in zwanzig Jahren surfen, streamen und fernsehen werden.
10. Die Politik und die Wirtschaft profitieren von der Medienentwicklung.
Diese Tendenzen kommen der Politik und der Industrie entgegen, weil sie mit Einfluss, mit Geld und der Produktion von genehmen Inhalten die Möglichkeit haben, im Internet kritische Darstellungen nach hinten ins Niemandsland von Google zu drücken und weil sie im Fernsehen ohnedies die Agenda bestimmen. Eine kritische Berichterstattung, die zu Veränderungen geführt hätte, ist beispielsweise sowohl beim Thema Finanz- und Bankenkrise als auch bei der zunehmenden Gerechtigkeitslücke ausgeblieben.
Das Internet hat bislang noch nicht viel zum gesellschaftlichen Wandel hierzulande beigetragen. Die Intellektuellen verweigern sich dem Medium – vermutlich mangels Wissen darüber. Eine Theorie des Internets steht noch aus. Kein Vergleich zur Hoch-Zeit des politischen Fernsehens in den sechziger und siebziger Jahren, als es die neuen sozialen Bewegungen (Feminismus, Ökologie, Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung) nicht nur porträtierte, sondern deren Anliegen das entscheidende Forum gab und die Gesellschaft auf diese Weise entwickeln half.
Das Internet beeinflusst aber die Konsum-Erfahrungen der Menschen. Es speist die klassischen Medien mit Themen; die User tragen zur Kontrolle und zur Qualitätsverbesserung von Industrieprodukten bei. Und das One-to-many-Medium steigert den Infomüll der Welt ins Gigantische. Sein Potenzial für eine politische Dynamik hat es jüngst bei der Arabellion in Nordafrika bewiesen. Auch die großen Industriemarken könnten künftig mittels Internet-Kampagnen verändert werden – ja sogar die Werte ganzer Industrie-Gesellschaften.
Prof. Dr. Matthias Michael ist Partner der Engel&Zimmermann AG und berät Unternehmen in Fragen der strategischen Kommunikation. Er arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Journalist, unter anderem für Spiegel-TV und den Südwestfunk
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