- Auf dem Weg zur großen Koalition
Union und SPD sehen gute Chancen für Koalitionsgespräche. Aber die Streitpunkte sind noch ungeklärt. Was ist davon zu halten?
Am Ende geht es plötzlich geradezu verdächtig schnell. Zwei Sondierungsrunden haben Union und SPD hinter sich, die letzte war lang und ruppig – und auf einmal das: Nach nicht einmal zweieinhalb Stunden ist am Donnerstag die große Koalition in Sicht. SPD-Chef Sigmar Gabriel erhält nach dem kurzen Treffen in der Parlamentarischen Gesellschaft den Vortritt, um die frohe Botschaft zu verkünden: Die SPD-Delegation ist zu dem Schluss gekommen, dass sie ihrer Partei guten Gewissens empfehlen kann, sich mit CDU und CSU auf Koalitionsverhandlungen einzulassen: „Wir glauben, dass wir gemeinsam eine Basis finden können.
Wie die Basis genau aussehen soll, bleibt freilich unklar. Weder Gabriel noch die Generalsekretäre von CDU und CSU, Hermann Gröhe und Alexander Dobrindt, gehen auf Details ein. Gröhe berichtet sogar, man habe sich das neuerliche „Durchdeklinieren einzelner Positionen“ gespart. Gabriel bestätigt das: „Wir haben heute keine Verhandlungen mit Ergebnissen geführt.“
Das macht die rasche Einigung noch überraschender. Denn die SPD pocht seit Tagen genau auf solche Ergebnisse, insbesondere was ihr Herzensthema angeht, einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Gabriels Generalin Andrea Nahles hatte noch am Mittwoch betont, ihre Partei erwarte eine „weitere intensive Auseinandersetzung um inhaltliche Positionen“. Ohne ein handfestes Faustpfand, so lautete seit Tagen die unterschwellige sozialdemokratische Botschaft, kann sich Gabriel am Sonntag kaum vor seinem Parteikonvent blicken lassen, der der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmen muss. Der Termin ist bekanntlich keine bloße Formalie – an der SPD-Basis ist die letzte große Koalition unter der Kanzlerin Merkel als nachhaltige Verzwergung der Sozialdemokratie in schlechter Erinnerung.
Allerlei Haken und Ösen
Und es hatte ja an diesem Donnerstag tatsächlich so ausgesehen, als ob der SPD-Chef eine Trophäe bekommt. Den Eindruck, die Union bewege sich auf eine konkrete Zusage zu, vermittelte Horst Seehofer. Der CSU-Chef ist bisher in Berlin eher als koalitionärer Unruhestifter aufgefallen, doch seit kurzem ist er in einer neuen Rolle zu besichtigen – als Ruhestifter. In der Sondierung mit den Grünen war es der Bayer, der unerwartet einem neuen Umgang mit Flüchtlingen das Wort redete.
Kurz vor der dritten Sondierungsrunde mit der SPD also sandte Seehofer wieder ein Entspannungssignal aus: Er könne sich vorstellen, einen Mindestlohn von 8,50 Euro zu akzeptieren – wenn im Gegenzug die SPD der Union einen größeren Wunsch erfülle wie den Verzicht auf Steuererhöhungen.
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Seehofers Vorschlag, via „Süddeutsche Zeitung“ unterbreitet, enthielt zwar bei genauerer Lektüre noch allerlei Haken und Ösen: Der Mindestlohn müsse so gestaltet sein, dass er keine Arbeitsplätze gefährde, müsse Ausnahmen zulassen etwa für Auszubildende, und „wünschenswert“ wäre die Möglichkeit, nach Regionen oder Branchen zu unterscheiden. Doch bedeutsamer als Details erschien an dem Vorstoß etwas anderes: Er zielte auf einen Wechsel im Vorgehen.
Bisher hatte die Union nämlich darauf bestanden, dass Sondierungen keine vorgezogenen Koalitionsverhandlungen seien und man sich deshalb nicht in Einzelpunkten vorab festlegen werde. Doch als die 14 Unterhändler von CDU und CSU am Nachmittag in die Parlamentarische Gesellschaft marschierten, wertete auch der hessische Ministerpräsident und CDU-Vize Volker Bouffier das Seehofersche Vorab-Tauschgeschäft als einen „Gedanken mit Charme“.
Tatsächlich ist das Prinzip, dass Sondierungen eher unverbindlich bleiben, nicht in Stein gemeißelt. 2005 hatten sich Union und SPD ebenfalls schon vor den eigentlichen Koalitionsgesprächen auf die Verteilung der Ministerien geeinigt – was der SPD als Beweis für Augenhöhe diente, wofür sie im Gegenzug formell Angela Merkels knappen Wahlsieg und damit ihren Anspruch auf das Kanzleramt anerkannte.
Seehofers Modell knüpfte an die damalige Psychologie an: Es sei doch offensichtlich, so der CSU-Chef, dass die SPD-Führung einen Erfolg brauche, mit dem sie am Wochenende vor ihren Parteikonvent treten könne. Außerdem wollten beide Seiten einen Mindestlohn, und kein Mensch würde es verstehen, „wenn man sich da nicht zusammenrauft“. Umgekehrt brauche dann allerdings auch die Union ein größeres Vorab-Zugeständnis von der SPD. „Denn sonst sagen unsere Leute: Wer hat jetzt eigentlich die Wahl gewonnen?“
Eine Frage des Vertrauens
Der Weg zur gütlichen Einigung schien also vorgezeichnet – allein, die Delegationen beschritten ihn in dieser Form nicht. Als Gabriel im benachbarten Reichstag vor die Presse tritt, will er über eventuelle Zugeständnisse beim Thema Mindestlohn nicht reden, sondern stimmt nunmehr seinerseits die Formel an: „Sondierungen sind keine Koalitionsverhandlungen.“ Man sei deshalb auch „bei Weitem noch nicht so weit, dass wir sagen könnten, wir hätten konkrete Verhandlungsergebnisse“.
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Trotzdem fanden die sieben SPD-Unterhändler, die Basis für Verhandlungen sei vorhanden. Gabriel hebt gleich zwei Mal hervor, dass dieser Beschluss einstimmig fiel – mit der Stimme von Hannelore Kraft. Die NRW-Ministerpräsidentin hatte sich zur Speerspitze der Basis-Bewegung gegen eine zweite große Koalition aufgeschwungen. Jetzt empfiehlt auch sie den Bund mit der Kanzlerin.
Gabriel hat immerhin angedeutet, wie er seinem Parteikongress die Sache schmackhaft machen will: Er wolle den Delegierten einen Vorschlag vorlegen, welche zentralen Ergebnisse in den Verhandlungen aus SPD-Sicht erzielt werden müssten. Dass in allen diesen Fragen „vernünftige Lösungen“ mit der Union möglich seien, diesen Eindruck habe er gewonnen. „Die Union kennt die Positionen der SPD“, sagt Gabriel; auch beim Mindestlohn. Der Rest ist also – Gröhe und Dobrindt nehmen das Wort später in den Mund – eine Frage des Vertrauens.
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