- Europa hat keinen Plan
Kolumne: Leicht gesagt. Europa zeigt sich gespalten in der Flüchtlingsfrage. Angela Merkel wird vorgeworfen, dass sie sich als Flüchtlingskanzlerin geriere und dadurch immer mehr Syrer ansporne, die lebensgefährliche Flucht anzutreten. Nun drehen deutsche Politiker den Spieß um und drohen mit finanziellen Sanktionen für unsolidarisches Verhalten
Syrien zerfällt nicht, es ist längst zerfallen. 25 Millionen Einwohner zählte das einst abgeschottete Assad-Reich. Es heißt, etwa die Hälfte der Syrer wolle nur noch eines: raus. Millionen fliehen in die freie Welt, viele haben das eine Ziel: Deutschland. Da sagt es sich leicht, was immer mehr Menschen sagen: So kann es doch nicht weitergehen!
Aber was sollte diese Massenflucht aufhalten? Die alte Staatlichkeit Syriens wieder herzustellen, wird niemandem gelingen. Das grausame Sterben im Mittelmeer scheint auch nicht den Fluchtwillen der Nachkommenden zu bremsen.
Geldgierige Schlepper – etliche aus den EU-Staaten Bulgarien und Rumänien - ändern die Routen. Der Landweg von Syrien über die Türkei führt auch über ihr Gebiet und endet im Schengen-Raum - in Ungarn.
Von dort trennen die Flüchtlinge nur noch sieben Stunden mit der Bahn von München. Es sind keine 700 Kilometer mehr ins Paradies, nachdem sie 3000 hinter sich haben. Wer ließe sich da aufhalten?
Die Bundesregierung ist realistisch. Sie weiß, dass im Grunde jeder syrische Flüchtling in ihr Land gelangen will. Die Kanzlerin machte wiederholt klar, zuletzt am Dienstag wörtlich, „… dass diejenigen, die in Deutschland ankommen, mit höchster Wahrscheinlichkeit auch Asyl bekommen werden“.
Angela Merkel, die Flüchtlingskanzlerin?
Angela Merkels Haltung führt zu Streit. In der EU wird Deutschland deshalb Mitverantwortung vorgeworfen. Als sporne Merkels Haltung noch mehr Syrer an, die lebensgefährliche Flucht anzutreten. Österreich und Ungarn erheben diesen Vorwurf. Sie kritisieren damit im Grunde, dass sich Angela Merkel als Flüchtlingskanzlerin geriere. Und dass Deutschland sich gefalle ins seiner Großzügigkeit, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen.
Tatsächlich erweckt Merkel den Eindruck, dass ihr jeder Kriegsflüchtling willkommen sei. Sie zeigt öffentlich Empathie. Das schien sogar ihr eigentliches Anliegen gewesen zu sein auf ihrer diesjährigen Bundespressekonferenz.
Gegen die Vorwürfe der Nachbarn wehrt sich Merkel dennoch. Deutschlands Verhalten „dürfte angesichts der Situation in Syrien keine Überraschung sein und müsste eigentlich in jedem europäischen Land ähnlich sein. Für uns gilt natürlich die derzeitige Rechtslage.“ Sie stelle dagegen „jeden Tag fest“, dass andere EU-Staaten „die geltende Rechtslage“ ganz offensichtlich nicht praktizierten.
Es geht dabei um das Dublin-Verfahren. Diese EU-Verordnung hat festgelegt, welcher Staat zuständig ist „für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz“. Für die in Ungarn Ankommenden ist das Ungarn. Doch Budapest zog Kritik auf sich, weil es Montag Flüchtlinge nicht kontrollierte, sondern einfach in Züge einsteigen und nach München weiterfahren ließ. Ohnedies wird Ungarn vorgeworfen, sich um Flüchtlinge nicht kümmern zu wollen, wie es die Dublin-Abmachung der EU vorschreibt.
Finanzielle Sanktionen für unsolidarisches Verhalten
„Dublin funktioniert nicht, und wir werden zu einer völlig anderen Art der Verteilung kommen müssen“, ärgert sich Vizekanzler Gabriel im ZDF. „Und was überhaupt nicht geht, ist, dass einige Länder der EU so tun, als macht man bei Europa immer mit, wenn´s Geld gibt, und wenn´s schwierig wird, dann hält man sich raus.“ Sein Parteifreund Axel Schäfer, in der Fraktionsspitze für EU-Politik zuständig, fordert als erster ranghoher Politiker finanzielle Sanktionen: „Wer sich jetzt unsolidarisch verhält bei der Verteilung von Flüchtlingen, wird bei der Frage von Verteilung von Finanzen keine besondere Solidarität erwarten dürfen.“
Ungarn gibt zu, überfordert zu sein. Doch es wirft wiederum Deutschland vor, sich nicht an Dublin gehalten zu haben – was faktisch stimmt. Denn um die eigenen Behörden zu entlasten, hat Deutschland entschieden, syrische Flüchtlinge zur Bearbeitung der Asylanträge nicht zurückzuschicken in das Land des Ersteintritts.
Deutschland beruft sich auf das sogenannte „Selbsteintrittsrecht“ aus dem Dublin-Katalog. Danach kann sich ein Land frei dafür entscheiden, selbst die Erstprüfung von Flüchtlingen zu übernehmen. Es habe sich also auch mit dieser Aufnahme an die Verordnung gehalten.
Der EU-Streit zeigt: Deutschland fühlt sich besonders zuständig für die Kriegsflüchtlinge und will humanitäre Standards setzen. Umso schärfer verlangt es daher, dass Flüchtlinge aus Nicht-Kriegsstaaten zügig wieder abgeschoben werden.
Aber allein deshalb wird sich Deutschland Streit mit der EU nicht leisten können. Berlin wird den Druck erhöhen – im Zweifel mit finanziellen Mitteln, wie sie der SPD-Politiker Schäfer nun ankündigt. Die EU insgesamt wird sich darauf einstellen müssen, früher oder später Millionen neuer Bürger mehr zu haben – Geflohene aus Syrien.
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