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Flüchtlingsgipfel - Merkels Scheitern ist Europas Chance

Die Lösung der europäischen Flüchtlingskrise ist weiter eine Hängepartie. Merkel wird vorgeführt, die politische Agenda bestimmen vor allem Österreich und die Türkei. Doch gerade jetzt könnte sich ein realistischer Weg in der Flüchtlingspolitik aufzeichnen

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Die Hängepartie geht weiter. Auch der EU-Sondergipfel am Montag brachte in der europäischen Flüchtlingskrise keinen Durchbruch. In zehn Tagen wird weiterverhandelt. Natürlich spricht Angela Merkel nun von einem „Durchbruch“, aber soweit ist es noch lange nicht. Es gibt zwar wieder die Chance auf eine europäische Lösung. Aber mit Merkels Plan A hat diese wenig zu tun. Nicht dank der sturen und weltfremden Haltung Berlins könnte sie erreicht werden, sondern trotzdem. Sicher nicht in den kommenden Wochen, aber vielleicht in den kommenden Monaten.

Wenn der EU-Ratspräsident Donald Tusk allerdings bereits jubelt, die Zeiten der irregulären Zuwanderung nach Europa seien vorüber, dann ist vor allem der Wunsch der Vater des Gedankens. Bis das Schengen-Abkommen wieder in Kraft treten kann und die Freizügigkeit in Europa wieder hergestellt werden wird, ist es noch ein weiter Weg. Bitter ist, dass Griechenland so lange der Leitragende des europäischen Tauziehens sein und quasi zum Flüchtlingslager der EU wird.

Verbalakrobatik kann Kapitulation Merkels nicht verbergen
 

Wie isoliert Merkel in Europa ist und wie sehr andere den Takt in der europäischen Flüchtlingspolitik mittlerweile bestimmen, konnte man am Montag vor allem an einem erkennen: Anscheinend ihre ganze Kraft und ihre Restautorität hat die Kanzlerin im Kreise der Regierungschefs darauf verwendet, in der Abschlusserklärung des Gipfels das kleine Wörtchen „geschlossen“ zu vermeiden. Statt: „Die „Balkanroute ist geschlossen“, heißt es dort nun: Der irreguläre Zustrom von Migranten sei „zu einem Ende gekommen“. Vermutlich können noch nicht einmal Diplomaten den Unterschied zwischen beiden Formulierungen erklären.

Doch auch diese Verbalakrobatik kann zwei Dinge nicht verbergen. Die Bundesregierung hat einerseits vor den anderen EU-Staaten weitgehend kapituliert, vor allem vor Österreich und den Balkanstaaten. Die Türkei kann anderseits die Bedingungen, unter denen das Land bereit ist, seine Grenze zu Griechenland abzuriegeln, der EU fast nach Belieben diktieren. Ausgerechnet die Türkei, die gerade noch mit einem Handstreich die Pressefreiheit im eigenen Land quasi abgeschafft hat, schwingt sich nun zum entscheidenden politischen Player der europäischen Flüchtlingspolitik auf. Und wenn der Plan, den der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu am Montag so überraschend präsentiert hatte, tatsächlich in Berlin ausgeheckt worden ist, dann wäre das für Merkel nur umso peinlicher. Hieße es doch, dass sich die Regierung des größten und reichsten EU-Landes hinter der autokratischen Türkei verstecken muss, weil sie ihre politische Glaubwürdigkeit und ihre Führungsstärke in der Flüchtlingskrise weitgehend eingebüßt hat.

Über Verteilschlüssel wurde in Brüssel nicht geredet
 

Dabei könnte Merkels Scheitern zu Europas Chance werden. Denn die Idee, Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge an den Außengrenzen der EU zurückzuweisen und gleichzeitig Flüchtlinge direkt aus den Kriegsgebieten nach Europa zu holen, ist eigentlich richtig. Den Schleppern könnte so das Handwerk gelegt werden, Zuwanderung könnte reguliert und gesteuert werden.

Aber mehr als eine Idee ist es noch nicht. Weder wurde in Brüssel über Zahlen geredet noch über Verteilschlüssel oder Verfahren. Wenn Flüchtlinge davon überzeugt werden sollen, sich nicht mehr alleine oder mithilfe teurer Schlepper auf den Weg nach Europa zu machen, müsste erstens eine große Zahl von Bürgerkriegsflüchtlingen aufgenommen und in den europäischen Staaten verteilt werden. Wobei klar ist, dass das reiche Deutschland und nicht krisengeschüttelte Länder wie Portugal oder Griechenland davon die Hauptlast tragen wird. Die Verfahren müssten zudem für die Betroffenen nachvollziehbar sein. Zweitens müsste Deutschland mit einem Einwanderungsgesetz die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt regeln.

Die neue Illusion von einer Festung Europas
 

Nur wenn sich für Migranten legale Weg nach Europa öffnen, nur wenn Europa sich weiter um eine Friedenslösung in Syrien bemüht, und nur wenn Europa noch sehr viel mehr Geld in die Bekämpfung der Fluchtursachen investiert, wird der Migrationsdruck nachlassen. Zumal es neben der Türkei-Balkan-Route auch andere Wege für die irreguläre Migration nach Europa gibt, zum Beispiel über Nordafrika und Italien oder über die weite Landesgrenze in Osteuropa.

Wenn auf Merkels Illusion der offenen Grenzen nun die Illusion einer Festung Europas folgt, wenn die EU sich fortan darauf beschränkt, sich abzuschotten und Milliarden dafür zu zahlen, dass Autokraten im Nahen Osten und in Nordafrika dem reichen Norden das Elend der Welt vom Halse halten, dann wird nach Merkel auch Europa scheitern.

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