- Ein Euro-Rebell in Karlsruhe
Das Bundesverfassungsgericht gibt am 7. September bekannt, ob die Griechenland-Hilfen und das Euro-Rettungspaket mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Einer der vier Kläger ist der emeritierte Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider. In Berlin sprach er in rechtskonservativen Kreisen über seine Ziele.
Karl-Albrecht Schachtschneider blinzelt in das grelle Scheinwerferlicht. Der Veranstaltungssaal ist randvoll, die Euroskeptiker sind trotz hoher Eintrittspreise in Scharen in ein vietnamesisches Kulturzentrum gekommen, um ihren Popstar zu sehen. Der 71-jährige Staatsrechtler ist ihr Anführer. Er hat vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die Griechenland-Hilfen der Bundesrepublik geklagt. Am 7. September wird das Urteil verkündet.
Die Veranstalter haben zu diesem Anlass Zettel unter den Zuschauern verteilt, darauf steht: „Gegen den Euro-Wahn“. Mit einer Kundgebung wollen sie zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung gegen die Euro-Rettung demonstrieren, vor dem Hauptbahnhof und vor dem Reichstag.
Zuvor soll der emeritierte Professor der Universität Erlangen-Nürnberg den Protest noch akademisch unterfüttern. Wenn er spricht, wirbelt er mahnend den Zeigefinger durch die Luft, erhebt seine Stimme. Jeder Bürger müsse das Recht haben, „dass der deutsche Bundestag und natürlich der Bundesrat das Grundgesetz einhalten.“ Doch bei den Griechenland-Hilfen habe das Parlament versagt, mahnt Schachtschneider.
Weil die Hellenen in wirtschaftliche Schieflage geraten waren, versprachen die Euroländer im Mai 2010, das Land mit bilateralen Darlehen zu unterstützen. Zusätzlich gewährte der Internationale Währungsfonds ein dreijähriges Hilfsprogramm. Deutschland übernimmt für griechische Kredite bis zu einer Höhe von 22,4 Milliarden Euro die Gewährleistung.
Einen viel tieferen Einschnitt stellte aber der Euro-Rettungsschirm dar. Er besteht aus zwei Maßnahmen: Erstens sieht der „Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus“ (EFSM) Hilfen für unschuldig in Not geratene Mitgliedsstaaten vor. Zweitens umfasst der Rettungsschirm die „Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“ (EFSF), eine Zweckgesellschaft, die auch die Europäische Zentralbank mit dem Ankauf von Staatsanleihen einbezog. Deutschland haftet hier sogar mit 147,6 Milliarden Euro. Der Bundestag genehmigte sowohl die Griechenland-Hilfen als auch den Euro-Rettungsschirm.
Schachtschneider und drei weitere Eurokritiker halten die Befugnisse für zutiefst undemokratisch – sie seien ein Eingriff in das Eigentumsrecht, das Wahlrecht, verletzten das Demokratieprinzip und die Haushaltshoheit des Bundestages. Zu den Beschwerdeführern zählten neben Schachtschneider der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, der SPD-Politiker Wilhelm Nölling, die Wirtschaftswissenschaftler Joachim Starbatty und Wilhelm Hankel sowie der ehemaliger Thyssen-Konzernchef Dieter Spethmann. Die riesigen Hilfsfonds würden den Euro nicht retten, bedrohten aber die Lebensgrundlagen in Deutschland, wiederholten sie ihre Kritik nochmals am Montag. Dahinter steht nichts anderes als die Furcht vor einem europäischen Finanzausgleich und letztlich der Schaffung eines europäischen Bundesstaates.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die einstweilige Anordnung zunächst abgelehnt, die Klage selbst aber zugelassen.
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Während seiner Rede trägt Schachtschneider ein graukariertes Jackett, wippt auf seinen Zehen auf und ab. „Es kann doch nicht sein, dass die Volksvertreter regelmäßig die Verfassung verletzen“, ruft er ins Publikum. Er sieht „die Bürgerrechte im Argen“ und fürchtet, dass „alle, die Vermögenden und die Armen“ unter den Rettungspaketen leiden würden.
Der Rechtsexperte hat bereits einen langen Kampf gegen die EU-Integration hinter sich. 1992 klagte er gegen den Maastricht-Vertrag, den das Gericht zwar als mit dem Grundgesetz vereinbar erkannte, aber mehr substanzielle Befugnisse für den Bundestag anmahnte. Mit seiner Klage 1998 konnte Schachtschneider die Euro-Einführung allerdings nicht verhindern. 2005 führte der Rechtswissenschaftler für Gauweiler die Verfassungsbeschwerde gegen die EU-Verfassung, die allerdings ohnehin an den Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte. Auch eine Beschwerde vor dem Wiener Verfassungsgerichtshof gegen den Beitritt Österreichs in die EU, der bereits 1995 erfolgt war, war für Schachtschneider erfolglos. 2008 errang der Jurist jedoch einen Teilsieg, als er mit Gauweiler gegen den Lissabon-Vertrag klagte. Das Bundesverfassungsgericht hielt das deutsche Begleitgesetz für unzulässig – und in der Folge erhielten der Bundestag und die Länder weitgehende Mitbestimmungsrechte bei EU-Entscheidungen.
„Diese ganze europäische Veranstaltung ist weder demokratisch noch rechtsstaatlich noch sozial“, sondern basiere „auf einer Lüge“, begründet Schachtschneider seinen Feldzug gegen die Europäische Union. Nicht einmal die höchste Rechtsinstanz, der Europäische Gerichtshof, findet in seinen Augen Gnade. „Der hat ständig den Vertrag gebrochen, ständig“, sagt der Jurist, der befürchtet, dass sich Europa „auf eine Diktatur“ zubewege.
Nicht nur politisch und juristisch, auch ökonomisch hält Schachtschneider die Integration für „Wahnsinn“. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen räumte er kürzlich ein, er sei „voll und ganz“ Euro-Gegner. In Berlin wettert er weiter: „Seit der Euro-Einführung haben wir 50 Prozent weniger Kaufkraft, und jährlich bringen wir 10 Prozent des Bruttosozialprodukts an mittelbaren und unmittelbaren Transfers auf.“ Die Finanz- und Schuldenkrise habe ihn in seinen frühen Warnungen gegen die Gemeinschaftswährung bestätigt. „Ausgerechnet in der größten Krise der EU erzwingt man die politische Union, dabei habe ich schon damals gewarnt, dass eine Währungsunion ohne politische Union Unsinn ist.“ Schachtschneider fühlt sich vom Volk verstanden, fühlt sich wie ein deutscher David im Kampf gegen den europäischen Goliath. Als Beleg führt er die vielen E-Mails an, die er täglich in seinem Posteingang vorfinde.
Wenngleich viele seiner Argumente auch von linken Europa-Kritikern vorgetragen werden könnten, sind Schachtschneiders Sympathien mit dem rechten Rand offenkundig. Zu Beginn seines Vortrags erschien auf der Wand hinter ihm ein Kopf von Adolf Hitler, als Diaprojektion. Das Nazi-Konterfei gehörte zur Titelseite „Ein Volk, ein Reich, ein Euro“ des Magazins Compact, welches die Veranstaltung organisierte. Das Heft von Verleger Jürgen Elsässer wirkt reaktionär, in seiner ersten Ausgabe im Dezember 2010 erhob es den umstrittenen Buchautoren Thilo Sarrazin zum nächsten Bundeskanzler. Schachtschneider lobte jedoch Elsässers Verdienst, „eine politische Opposition zu bilden“.
Die Medien, gibt er bekannt, seien jedenfalls keine geeignete Opposition. Einzig die „Junge Freiheit“ hält der Jurist noch für unabhängig, ein Blatt, dem er Interviews gibt. Das Medium pendelt nach Einschätzung von Beobachtern zwischen konservativ und rechtsextrem. In einem im Februar erschienenen Buch behauptet der Professor zudem, der Islam sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Schachtschneider sagt, er verteidige die NDR-Fernsehmoderatorin Eva Hermann „gegen den Linksfeminismus“. Sie habe ihren Job aufgeben müssen, „nur weil sie mal eine eigene Meinung vertreten hat“. Hermann war wegen der Verharmlosung der NS-Familienpolitik massiv in die Kritik geraten.
Der Journalist und Rechtsextremismus-Experte Anton Maegerle schätzt Schachtschneider als einen „Grenzgänger zwischen Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus“ ein, als jemanden, „der sich sehr bewusst in diesen Kreisen tummelt“. Der Staatsrechtler habe etwa bei diversen Burschenschaften, bei der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich, beim neurechten Studienzentrum Weikersheim und bei der Bürgerbewegung „Pro Köln“ referiert, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Eine Zeitlang war Schachtschneider Mitglied der rechtspopulistischen Partei „Bund freier Bürger“ (BFB).
Im September 2005 trat er bei einer Anhörung im sächsischen Landtag als Sachverständiger der NPD auf. Weitere Interviews habe Schachtschneider dem „eindeutig rechtsextremen“ Monatsmagazin Die Aula und der österreichischen Zeitschrift Zur Zeit gegeben, sagt Maegerle. Eines von Schachtschneiders Interviews kursierte im Internet zudem unter NPD-Sympathisanten, doch auf Anfrage distanzierte sich der 71-Jährige davon.
„Postnational ist postdemokratisch“ und "Wer postnational sagt, der ist Anhänger der Diktatur" sind so Sätze, die Schachtschneider in Berlin, mit Blick auf den Philosophen Jürgen Habermas, noch äußert. Von dem Bundesverfassungsgericht erhofft er sich zwar eine Stärkung Grundrechte. Aber es werde „ein Urteil kleiner Münze sein“, prophezeit Schachtschneider. Der lange Kampf des Eurogegners ist damit noch nicht beendet.
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