- Merkels Triumph
Ihre innerparteilichen Gegner hat sie kaltgestellt, Tsipras gebändigt, das Milliardenpaket für Griechenland durchgesetzt: Die machtpolitische Siegerin in Sachen Eurorettung heißt Angela Merkel
Was waren das für Wochen. Griechenland war schon zahlungsunfähig, die Banken hatten geschlossen. In Brüssel wurde nächtelang verhandelt, in Berlin lautstark gestritten. Es wurde getrickst und gepokert, getäuscht und erpresst. Europa stand am Rande der Spaltung. In der CDU/CSU-Fraktion drohte ein Aufstand gegen Merkel, angeführt von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Griechenland stand vor dem politischen und wirtschaftlichen Chaos, der Rückkehr zur Drachme sowie einer humanitären Katastrophe. Selbst über Nothilfe wurde bereits nachgedacht, ganz so, als sei Griechenland kein Teil von Europa mehr, sondern schon ein Land der Dritten Welt.
Und nun? Völlig unspektakulär geht der europäische Krisensommer in Berlin zu Ende. Mit einer satten Vierfünftel-Mehrheit hat der Bundestag das dritte Rettungspaket für Griechenland passieren lassen. 86 Milliarden Euro bekommt Griechenland in den kommenden drei Jahren. Niemand redet mehr vom Grexit. Wolfgang Schäuble hat klein beigegeben. Die Abweichler in der Union geben ein eher jämmerliches Bild ab, sie berufen sich zwar auf ihre Gewissen, sind aber politisch nicht handlungsfähig. Auch die Opposition im Bundestag kann keine politische Alternative präsentieren.
Wen interessiert Merkels Geschwätz von gestern?
Merkel triumphiert auf ganzer Linie. Machtpolitisch hat sie sich klar durchgesetzt, ihre innenpolitischen Gegner hat sie ins Abseits gestellt, den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras gebändigt. Die Mehrheit der Deutschen unterstützt sie.
Wen interessiert da ihr Geschwätz von gestern? Wen interessiert da schon, dass Merkel lange nichts von einem dritten Rettungspaket wissen wollte? Wen interessiert schon, dass Merkel einst Milliardenhilfen für Griechenland und eine europäische Transferunion ausgeschlossen hat? Wen interessiert schon, dass die Kanzlerin nur aus taktischen Gründen das Wort „Schuldenschnitt“ nicht in den Mund nimmt? Wen interessiert schon, dass der IWF doch nicht mit an Bord ist?
Einmal mehr zeigt sich: Krisenzeiten sind Zeiten der Exekutive. Krisenzeiten stärken denjenigen, der die Macht hat.
Die Frage, ob der von Merkel vorgegebene Kurs Erfolg haben wird, ob die Kanzlerin das Richtige tut, ob Griechenland mit diesem Rettungspaket ökonomisch wieder auf die Beine kommt, diese Frage kann zudem niemand wirklich beantworten. Politiker, Volkswirte und Journalisten haben in den letzten Wochen zwar alle Argumente dafür und dagegen ausgetauscht. Für neue Milliardenhilfen und für einen Grexit. Wie so häufig in zugespitzten Krisenzeiten gab es auf beiden Seiten gute Argumente.
Meisterin des Fachs
Aber um all das ging es bei den Verhandlungen in Brüssel, Berlin und Athen in den letzten Wochen nicht. Es ging nicht um einen festen Glauben, nicht um die richtige Überzeugung und auch nicht um einen herrschaftsfreien Diskurs. Es ging um politische Führung. Es ging darum, in Europa eine politische Richtung vorzugeben, einen politischen Kompromiss zu schmieden und diesen Kurs durchzusetzen. Diesbezüglich hat sich Merkel einmal mehr als Meisterin des Fachs erwiesen.
Natürlich ist das neue Griechenland-Rettungspaket ein Wechsel auf die Zukunft. Alle wissen: Abgerechnet wird später. Alle Beteiligten wissen zudem: Selbst wenn die jetzt vereinbarten Maßnahmen in Griechenland umgesetzt werden und wirken sollten, selbst dann wird es weitere Griechenland-Debatten in Europa geben. Selbst dann wird Griechenland weiter auf europäische Solidarität und Hilfen angewiesen sein. Ausgestanden ist die Griechenlandkrise noch lange nicht. Schon bald wird auch ein Schuldenschnitt auf der politischen Agenda stehen.
Keine politische Alternative zu Merkel
Es kann sogar sein, dass die 86 Milliarden Euro Griechenland nicht retten. Vielleicht steht der Grexit bald wieder auf der Tagesordnung. Möglichweise wird sich Angela Merkel dann vor den Bundestag stellen und ihren nächsten politischen Richtungswechsel erklären.
Für die Kanzlerin wird es politisch erst dann gefährlich, wenn die Deutschen ihr mehrheitlich das Vertrauen entziehen und sich die Wähler von der Union abwenden. Zudem müsste sich eine personelle Alternative auftun; entweder in den eigenen Reihen oder in der Opposition.
Nach beidem sieht es zumindest derzeit nicht aus. Die innerparteiliche Opposition in der Union ist führungslos. Die SPD findet ja noch nicht mal einen Kanzlerkandidaten.
Angela Merkel kann ihren Triumph in alle Ruhe auskosten.
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