CICERO-TITELTHEMA: „Ja, ja, das ist fantastisch!“

Fußball, Fernsehen, Heidi Klum: Auslandskorrespondenten erzählen, was die Bürger anderer Nationen an der Bundesrepublik besonders lobenswert finden, was ihnen an uns weniger gut gefällt – und warum sich die Chinesen darüber wundern, dass wir Hitler nicht als Staatsmann verehren.

Vereinigte Staaten Was die Amerikaner an Deutschland bewundern? Jetzt einmal abgesehen von Bier, Autos und Autobahnen, von Vollkornbrot und Qualitätswerkzeugen, von bayerischen Schlössern und Berliner Museen, von Dirk Nowitzki und Heidi Klum, von DFB und FKK? Oh, so vieles und Wegweisendes! Krankenversicherungen und nahezu kostenfreien Universitäten zum Beispiel, eng geknüpften Zugnetzen und fröhlich surrendem Nahverkehr sowie der Tatsache, dass im regnerischen Deutschland mehr Solarenergie gewonnen wird als im Rest der Welt zusammen. Nennen wir es ganz allgemein das Handwerkliche, der Wille zum Plan und dessen umweltbewusster Umsetzung. Der Deutsche, er gilt in Amerika als tiefschürfender Überzeugungstäter, dem überdies der seltsame Drang eignet, tatsächlich zu sagen, was er denkt. Ganz gegen verbrauchte Kriegsklischees allerdings erscheint der moderne deutsche Mann dem Amerikaner als überemanzipierter Schlaffi, dessen Tendenz zur Aufgabe männlicher Primärattribute gar den Begriff des Eurofag (wörtlich: Euro-Schwuchtel) auf den Weg brachte. Wohlwollend gedeutet signalisiert diese Neuschöpfung eine in Zentraleuropa mutmaßlich weiter fortgeschrittene Konvergenz der Geschlechterrollen, weshalb der deutschen Frau auch ein eher herber Charme nachgesagt wird. In diesen Wochen veröffentlichte das US-Magazin Foreign Policy übrigens eine Liste der 100 einflussreichsten DenkerInnen der Welt. Darauf fanden sich zwei Deutsche: Angela Merkel und Renate Künast. Renate Künast! So sieht das neue Germany in Amerikas liberalen Augen aus. And you know what? They absolutely looooove it! Wolfram Eilenberger ist Nordamerika-Korrespondent von Cicero Frankreich Frankreich und Deutschland wären ein vielversprechender Fall für einen Paartherapeuten. Beide können weder mit noch ohne einander. Wie bei vielen Paaren, die auf die goldene Hochzeit zusteuern (50 Jahre Élysée-Vertrag am 22. Januar 2013), dreht sich Streit meist um die Frage, wer die Hosen anhat. Der französische Blick auf den deutschen Partner wird dabei abwechselnd von unkritischer Bewunderung, leichter Eifersüchtelei und ab und an von schnippischer Hochnäsigkeit geleitet. Letztere erwächst aus der nicht zu erschütternden französischen Kernüberzeugung, am Ende des Tages ein überlegenes Zivilisationsmodell zu verkörpern. Nicht nur den Deutschen überlegen, sondern allen. In selbstzweiflerischen Phasen jedoch schwärmt Frankreich von den Vorzügen des „modèle allemand“. Man lobt den deutschen Mittelstand, die Tarifpartnerschaft, duale Berufsausbildung, Schulsport am Nachmittag sowie das deutsche Steuersystem und will all dies umgehend in Frankreich einführen. In einer solchen eher euphorischen Phase befindet sich derzeit Nicolas Sarkozy. Er lässt kaum eine Gelegenheit aus, das deutsche Modell zu preisen. Dies wird die Franzosen jedoch nicht daran hindern, beim nächsten Nörgelschub wieder deutsche Exportüberschüsse und Angela Merkels „nationalen Egoismus“ zu beklagen. Im Übrigen sind Franzosen selbstbewusst genug, nicht zu fürchten, der wirtschaftspotente deutsche Partner könne langfristig enteilen. Wie sagte eine hoffnungsfrohe Nachwuchskraft in Sarkozys Kabinett dieser Tage mit einem Hauch von Genugtuung: „Man muss sich ja nur eure demografische Entwicklung ansehen. C’est la catastrophe.“ Sascha Lehnartz ist Frankreich-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt China Wenn Deutschland doch bloß so schön wäre, wie die Chinesen es sich vorstellen! Keine andere Nation wird in China mehr bewundert als „Deguo“, das „Land der Tugenden“, wie Deutschland auf Chinesisch heißt. „Made in Germany“ gilt als Statussymbol: Mercedes, BMW und Porsche definieren den Goldstandard auf Chinas Straßen, und VW, die meistverkaufte Automarke der Volksrepublik, verkörpert das Aufstiegsglück des neuen Mittelstands. Auch Siemens-Waschmaschinen und Adidas-Turnschuhe sind beliebt – ebenso wie die Waren unzähliger chinesischer Hersteller, die einfach „Deguo“ auf ihre Produkte schreiben, um eine deutsche Marke vorzutäuschen. Das gute Image ist ein historischer Glücksfall: Anders als Japaner oder Amerikaner haben wir Deutschen in Chinas kollektivem Gedächtnis keine schlechten Eindrücke hinterlassen. Selbst die kurzzeitige Kolonialisierung der Küstenstadt Tsingtao unter Kaiser Wilhelm ist den Chinesen positiv in Erinnerung, weil die Deutschen dort Chinas erste Brauerei gründeten, die bis heute die größte des Landes ist. Ähnlich gnädig ist das chinesische Urteil über Marx und Engels, deren Ideen China zwar ins Chaos stürzten, aber offiziell bis heute gelten. Chinesische Schulkinder lernen, dass alle Deutschen ungeheuer fleißig sind und genauso gut Klavier spielen können wie Fußball. Selbst Adolf Hitler kommt in der chinesischen Vorstellung gut weg, weil Deutschland unter ihm ganz Europa beherrschte. „Ihr Deutschen müsst sehr stolz auf Hitler sein“, sagen Chinesen häufig – und verstehen die Welt nicht mehr, wenn man ihnen dann erklärt, wie es in Deutschland wirklich war. Bernhard Bartsch ist freier Journalist und lebt in Peking England Als Boris Johnson, der blondwuschelige Londoner Bürgermeister, vor ein paar Wochen eine Ausstellung über die Bombardierung Londons – und Dresdens (!) – zu eröffnen hatte, bekannte er, es habe lange gedauert, bis ihm eingefallen sei, was er wohl Nettes über den „Blitz“ – die Angriffe der deutschen Luftwaffe – sagen könne; dann sann er spielerisch nach und fuhr fort, vielleicht doch am ehesten, dass die Bomben der Stadtplanung so große Möglichkeiten hinterlassen hätten? Der Scherz des Bürgermeisters bezeichnet den Stand des britisch-deutschen Verhältnisses. Noch immer ist der Zweite Weltkrieg präsent, aber er legt das deutsche Image nicht mehr auf Düsteres fest. Es wird vielmehr längst von aktuellen Produkten und Ereignissen bestimmt, die die Briten beschäftigen und beeindrucken. Die Fahrzeugmarke Audi beispielsweise ist sich derart sicher, dass die deutsche Herkunft ihrer Produkte in England als Empfehlung wirkt, dass sie ihren Slogan „Vorsprung durch Technik“ auf britischen Werbetafeln im Originaltext wirken lässt. Berlin ist zu einem der meistempfohlenen Reiseziele in den Wochenendbeilagen der Londoner Zeitungen geworden – als Destination für Musik, Kunst und coole Partys, nicht als einstige Höhle des Bösen oder als Spionagekulisse aus der Zeit des Kalten Krieges. Und dann ist da noch Angela Merkel, die in London knapp als „the chancellor“ bezeichnet wird. Ihr fällt der Respekt für den aktuellen deutschen Aufschwung zu – und eine mit Mitleid gemischte Bewunderung dafür, dass Deutschland jetzt in der Eurokrise den Rest Europas heraushauen müsse. Johannes Leithäuser ist Großbritannien-Korrespondent der FAZ Russland „Ooooooh, Germanija!“, ruft ein russischer, aserbaidschanischer oder usbekischer Taxifahrer in Moskau, wenn ich erzähle, woher ich komme. Aus dem langgezogenen „Oooh“ klingt Bewunderung, aber auch Verzweiflung über die schlechten Straßen, die Korruption und das ganz allgemeine Chaos, das Russland bis heute prägt. Es scheint, als wäre Deutschland eine Folie des idealen Landes, durch die Russen ihre eigene Wirklichkeit betrachten. Meist folgen Lobeshymnen auf deutsche Autos und Autobahnen, das Bier, den Fußball („Bjekenbauer, Schweinschtaigjer!“), die Pünktlichkeit – und, mit einem harten russischen R, die deutsche „Ordnung“. Das alles, so sagen die Russen, sei Ausdruck der hohen Kultur der deutschen Nation. Davon sind sie schwer abzubringen, Hitler etwa wird gerne abgetan als Verrückter, der aber immerhin das Beste für sein eigenes Volk wollte, ganz im Gegensatz zu Stalin. Die Überzeugungen sitzen deshalb so fest, weil fast jeder einen Bruder oder Onkel hat, der als Rotarmist in der DDR gedient hat und den Daheimgebliebenen regelmäßig­ von den dort ordentlich blühenden Landschaften berichtete. Und noch etwas hat zum Ruhm der Deutschen im Osten beigetragen: Zum klassischen deutschen Wortschatz gehören meist Zitate aus … deutschen Pornofilmen. Die überschwemmten Russland Anfang der neunziger Jahre in Form von Videokassetten. „Ja, ja, das ist fantastisch!“ hat inzwischen als geflügeltes Wort Eingang in die russische Umgangssprache gefunden. Moritz Gathmann lebt als freier Journalist in Moskau Österreich Zunächst einmal will ich vorausschicken, dass das alte und permanente Misstrauen meiner Landsleute gegenüber den Deutschen sich doch sehr gelegt hat, seit die Deutschen die inzwischen größte Zuwanderergruppe in Österreich stellen – noch vor den Türken. Wenn wir für unsere Nachbarn also offenbar derart attraktiv wirken, hilft das dem nationalen Selbstbewusstsein. Ansonsten bewundern viele Österreicher an den Deutschen immer noch deren scheinbar höhere Effizienz und Ordentlichkeit. Allerdings verliert Deutschland diesen Nimbus zusehends: Früher hieß es, der Balkan würde ein paar Kilometer westlich von Wien beginnen; mittlerweile glaubt man auch in Österreich, dass diese imaginäre Grenze doch eher in der Gegend von Aachen liegen muss. Jedenfalls stehen die Deutschen den Österreichern in Sachen Korruption und Vetternwirtschaft kaum noch nach. Was nach wie vor eine unbestrittene Vorbildfunktion auf Österreich ausübt, ist die deutsche Fernsehlandschaft; der Österreichische Rundfunk ist heute ja im Prinzip nichts anderes als ein verkappter deutscher Sender, weil die Verflechtungen über gemeinsame Produktionen gewaltig sind. Natürlich starren sämtliche österreichischen Fernsehmacher gebannt auf alles, was ihre Kollegen in Deutschland so machen. Und ahmen nach, was Erfolg verspricht. Wer in der Branche wirklich etwas erreichen will, der probiert sein Glück allerdings direkt in Deutschland. Helmut Thoma stammt aus Österreich und war Geschäftsführer des Senders RTL Schweiz Die Schweiz und Deutschland unterscheiden sich durch die Sprache (ein bisschen) und durch die Vergangenheit. Ihre Beziehung ist ein Dauerbrenner der eidgenössischen Publizistik. Ich habe ihr den Sammelband „Kuhschweizer und Sauschwaben“ (mit Roger de Weck, 2003) gewidmet. Aber auf die Frage, was ein Schweizer an Deutschland bewundern könnte: nein, auf die ist in diesem Land noch keiner gekommen. Hier geht es immer noch und ausschließlich um den Hass auf die Deutschen. Die Schweizer freuten sich über jede Niederlage der deutschen Fußballer und feierten sie, als hätten sie selber Hitler besiegt. Das änderte sich zwar nach der WM in Deutschland, doch Peer Steinbrück machte den zivilisatorischen Fortschritt zunichte: Die Vergangenheit bleibt im Zweifelsfall das, was die Schweizer an den Deutschen lieben. Und weil sie vergeht, stecken sie in der Identitätskrise. Ansonsten sind die Deutschen ihr Gegenbild. Nach jahrelangen Debatten kamen wir im Folgeband zu den Kuhschweizern und Sauschwaben auch auf eine Frage: „Sind die Schweizer die besseren Deutschen?“ Das Fragezeichen ist überflüssig. Kultur, Demokratie, Geld, Föderalismus. Wir Schweizer fahren ihre Autos, aber unsere Uhren sind besser. Der Franken stärker. Merkel? Kohl war uns freundlicher gesinnt. Und weniger problematisch als der deutsche Osten ist denn doch unsere Westschweiz. Boris Becker? Roger Federer! Michael Schumacher? Ein Prototyp des „ugly german“. Doch, ein Vorbild gibt es: Günter Netzer, der seine TV-Karriere in der Schweiz begann und fast so behäbig formuliert wie ein eidgenössischer Dialektiker. Er schießt keine Tore mehr und ist kein Steuerflüchtling. Netzer, der sich überhaupt nicht anpasst, ist Kult. Der beste Deutsche der Schweizer. Fast schon ein guter. Jürg Altwegg ist Feuilleton-Korrespondent der FAZ und lebt in Genf Finnland Am Anfang war Luther. Und das ist bis heute so geblieben. Mehr als 80 Prozent aller Finnen sind Lutheraner. Wenn das kein Grund zur Völkerfreundschaft ist! Dann kamen Hitler, Derrick und Michael Schumacher. Hier gönnt sich der Finne eine lange Schweigepause und ruft sich schließlich in Erinnerung, dass ein Volk, dessen Sprache ebenfalls das „Ö“ und „Ä“ kennt, so übel nicht sein kann. Was am heutigen Deutschland konkret bewundert wird? Nun, wenig. Das liegt an den Finnen. Sie konzentrieren sich lieber auf eigene Stärken, deren es bekanntlich viele gibt. Dennoch, hin und wieder schielt man über den Meerbusen nach Süden und also ins Herz des Kontinents. Positiv prägend bleibt dabei die deutsche Kunst und Philosophie sowie eine dann doch offen bewunderte Fertigkeit im Bau von Maschinen aller Art. Da kann man schon einmal die Fäustlinge anerkennend aneinanderreiben: Hyvä! Überhaupt lässt sich bei kühlem Kopfe viel Gutes über die sogenannten Saksalaiset sagen, nicht zuletzt, dass sie weder Schweden noch Russen sind und außerdem kein Eishockey spielen können. Was den Finnen an unserem Land aber zweifellos am vorbildlichsten scheint, ist die uneingeschränkte Bewunderung, mit der wir Deutsche immer wieder sehnsüchtig nach Finnland blicken. Wolfram Eilenberger, Nordamerika-Korrespondent von Cicero, ist mit einer Finnin verheiratet.

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