- Merkels Wahlverein und der Störfaktor Parteimitglied
Die CDU will sich mal wieder modernisieren und plant eine große Parteireform. Dabei greift sie zur Methode Placebo: Sie weckt Erinnerungen an einen Parteitag, der ihr längst ziemlich peinlich ist
Atomausstieg, Homoehe, Mindestlohn: Kein Zweifel, die CDU hat sich in den letzten Jahren fundamental verändert. Die alte Christdemokratie Kohl'scher Prägung ist kaum noch wiederzuerkennen, seit Angela Merkel im Jahr 2005 Kanzlerin wurde. Modernisiert habe sich die Partei erfolgreich, sagen die Merkelianer und verweisen auf die christdemokratischen Wahlerfolge bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013. „Verrat“, rufen die Kritiker. Die CDU laufe dem sozialdemokratischen Zeitgeist hinterher und habe ihren Markenkern beschädigt. Das werde sich schon bald rächen. Als Merkelwahlverein habe die CDU keine Zukunft.
Kein Zweifel, es rumort an der Parteibasis. Vor allem die Konservativen fremdeln mit der neuen CDU. Manche sind bereits zur AfD übergelaufen.
Jetzt startet die CDU die Mission Placebo. Im Präsidium diskutierte die Partei am Montag über eine „große Parteireform“. Die CDU solle „jünger, weiblicher und bunter“ werden, sagte Generalsekretär Peter Tauber vorab in einem Spiegel-Interview. Doch die Ideen, die Tauber seiner Partei präsentiert, zeigen eher, wie ratlos die Partei in Wirklichkeit ist. In ihrer Not greifen die Christdemokraten tief in die Mottenkiste, um die Mitglieder mit ein paar weißen Pillen ein bisschen zu besänftigen.
Die Mitgliederrechte will Tauber stärken, einen Familienbeitrag für Mitglieder regt er an. Besonders originell ist der Vorschlag, den Kanzlerkandidaten möglicherweise irgendwann einmal per Mitgliederentscheid zu bestimmen. Schließlich existiert diese Möglichkeit in der CDU längst. Bei der letzten großen Parteireform wurde dafür der Paragraph 6a eingefügt. Demnach sind Mitgliederbefragungen „auf der Ebene der Bundespartei, der Landes- oder Kreisverbände in Sach- und Personalfragen zulässig“, wenn das „von einem Drittel der jeweils nachgeordneten Gebietsverbände beantragt wird und der Vorstand der übergeordneten Organisationsstufe die Durchführung mit der absoluten Mehrheit seiner stimmberechtigten Mitglieder beschließt“. Und auch schon 2003 erklärte sich die CDU zur „Bürgerpartei“. Sie wollte jünger, weiblicher und damals vor allem digitaler werden. Schon vor elf Jahren plädierte sie für eine „Öffnung“ der Partei und eine „Stärkung der Mitgliederrechte“.
„Als Bürgerpartei muss sich die CDU auf die neuen gesellschaftlichen Realitäten einlassen und darauf reagieren. Sie muss den vorpolitischen Raum neu vermessen, um nah bei den Bürgern und mitten im Leben zu sein“, so beschlossen es die Delegierten des legendären Leipziger Parteitages. Zudem müsse „die jetzige Mitgliedsstruktur der Partei sowohl im Blick auf den Altersaufbau als auch hinsichtlich der soziologischen Struktur (z. B. Frauenanteil, Anteil jüngerer Menschen) repräsentativer für die Bevölkerungsstruktur werden“. Im Grunde also könnte die CDU ihren Beschluss von damals einfach wiederholen.
Parteibasis völlig überaltert
Leipzig war darüber hinaus jener Parteitag, auf dem sich die Delegierten nach intensiver innerparteilicher Debatte mit den Mitgliedern an einer neoliberalen Agenda berauschten und beschlossen, die gesetzlichen Renten zu senken, das Steuersystem zu revolutionieren sowie das Gesundheitssystem zukünftig mit einer Kopfpauschale finanzieren zu wollen. Längst sind der CDU diese Beschlüsse peinlich. Das „Reformprojekt für eine lebendige Volkspartei“, wurde nach der ernüchternden Bundestagswahl 2005, bei der die Herausforderin Merkel bei den vorgezogenen Neuwahlen beinahe noch gegen den sozialdemokratischen Amtsinhaber Gerhard Schröder verloren hätte, still und heimlich begraben. Die Beschlüsse der Partei galten nichts mehr, die Basis wurde abserviert.
In Wirklichkeit sind die Mitglieder für moderne Parteien nur ein Störfaktor. Am liebsten wäre es den Parteimanagern, diese würden jeden Monat artig ihren Beitrag zahlen, im Wahlkampf fleißig Flugblätter verteilen und Plakate kleben, aber den Rest des Jahres Ruhe geben. Zumal die Parteibasis bei den Christdemokraten völlig überaltert ist. Mehr als die Hälfte der CDU-Mitglieder ist älter als 60 Jahre alt, nur 15 Prozent sind jünger als 40 Jahre.
Moderne Parteien sind Machtmaschinen, schlagkräftige Medienparteien, flexible PR-Agenturen. Das Image von Kandidaten wird langfristig geformt. Politische Botschaften werden gezielt auf Interessengruppen ausgerichtet. Nicht mehr Überzeugungen und Visionen stehen dabei in der Kommunikation im Mittelpunkt, sondern Wählerinteresse, Kundenwünsche. Nicht mehr über den Ortsverein kommunizieren die Spitzenpolitiker mit ihren Wählern, sondern über die Massenmedien.
Die CDU-Mitglieder werden also auch diese große Parteireform über sich ergehen lassen. Denn am Ende zählt für sie nur eines: der Erfolg. Anders als die SPD war die CDU nie eine Programm-, sondern eine Machtpartei, ein Kanzlerwahlverein. Sie war schon immer programmarisch recht flexibel.
Natürlich hat sich die CDU zugleich radikal verändert. Sie war so schlagkräftig, so flexibel und so kundenorientiert, dass ihr Markenkern längst nicht mehr aus Atomkraft und Wehrpflicht, einer traditionellen Familien- und einer rigiden Ausländerpolitik besteht. Die CDU hat sich in ihren neun Regierungsjahren seit 2005 stattdessen so oft programmatisch gehäutet, dass ihr Markenkern nur noch einen Namen hat: Angela Merkel. Ihre Raute ist passend dazu das inoffizielle Parteilogo.
Natürlich erfasst so manchen Parteistrategen längst die Panik, wenn er daran denkt, die Kanzlerin könne irgendwann abtreten. Spätestens dann jedoch wird die Christdemokratie tief in eine Identitätskrise stürzen. Wenn die christdemokratische Machtmaschine irgendwann stottert und der Merkelwahlverein ohne Merkel auskommen muss, wird die Partei einen hohen Preis zahlen müssen. Dann wird es nicht reichen, ein bisschen jünger, weiblicher und bunter zu werden. Es wird zudem wenig nutzen, mehr mit den Mitgliedern zu diskutieren und den Kanzlerkandidaten per Urwahl bestimmen zu lassen. Kein Wunder, dass kein führender Christdemokrat daran zweifelt, dass die CDU-Kanzlerkandidatin auch 2017 Angela Merkel heißen wird.
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