- Hat sich de Maizière dann doch durchgesetzt?
Kolumne: Leicht gesagt. Der Vorstoß von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, auch den Zuzug syrischer Flüchtlinge zu begrenzen, rief allseitige Irritation hervor. Dabei hatte sogar die SPD mit diesem Gedanken gespielt. Ihr droht nun eine Zerreißprobe
Es sagt sich leicht, dass diese Große Koalition ihre bislang größte Aufgabe vereint stemmen sollte: die Flüchtlingskrise. Tatsächlich aber verhaken sich die Regierenden ineinander anstatt sich unterzuhaken. Denn ein geheimer Plan zur Eindämmung des Andrangs flog auf, bevor er zu Ende verhandelt war. Die SPD registriert erfreut den Autoritätsverlust der Kanzlerin, ahnt aber längst, dass auch ihr bald ein massives Problem zwischen Führung und Basis droht.
Es ist schon enorm, was binnen einer Woche alles möglich ist an Wendungen. Zu Beginn der vergangenen Woche flogen erst Giftpfeile zwischen SPD und Union wegen der Transitzonen, am Mittwoch wurde abgerüstet und am Donnerstag im Koalitionsausschuss mit den zu errichtenden Einreisezentren so etwas wie ein Burgfrieden beschlossen.
SPD empört über de Maizières Vorstoß
Am Freitag jedoch galten die Absprachen insofern nicht mehr, als Bundesinnenminister Thomas de Maizière munter vom Balkan aus verkündete, dass zu uns fliehende Syrer künftig ihren primären Schutz verlieren würden. Die SPD-Führung tat inhaltlich empört. Sie war tatsächlich sehr verärgert, allerdings weniger wegen des Inhalts von de Maizières Vorstoß, als wegen des Zeitpunkts.
Der SPD-Vorsitzende war hintergangen worden, und das musste er öffentlich klarstellen. Seinetwegen sprang sofort das Kanzleramt gegen den Parteifreund de Maizière auf. Kanzleramtschef Altmaier stellte sich als Ahnungslosen und de Maizière damit als Alleingänger dar. Die Kanzlerin zwang den Innenminister, umgehend zu widerrufen. Der tat das, wie befohlen, und sagte zerknirscht, nichts sei beschlossen. Was auch stimmte.
De Maizière schaffte Tatsachen
Doch de Maizière war tatsächlich noch viel forscher vorgegangen, als es schien. Er hatte nicht bloß unabgesprochen in einem Wochenendinterview unabgestimmte Pläne ausgeplaudert. Er hatte längst gehandelt. Genauer gesagt handeln lassen. Am Dienstag vor dem Koalitionsausschuss hatte der Fachabteilungsleiter für Migration aus dem Bundesinnenministerium, Seitz, den Vizepräsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg, Griesbeck, angerufen und eine Weisung erteilt: Das BAMF möge bitte vorbereiten, dass bei syrischen Kriegsflüchtlingen alsbald zum geregelten Verfahren zurückzukehren sei.
Was auf Behörden-Deutsch so trocken und bürokratisch klingt, war eine Anweisung, die viel verändert hätte. Sie hätte nämlich – so mutmaßen die Fachleute – mittelfristig die künftige Flüchtlingszahl um etwa 20 Prozent verringert. Rein rechtlich dufte das Innenministerium diese Weisung ans BAMF geben, denn es ist weisungsbefugt. Machttechnisch war es jedoch ein grober Verstoß, der den Koalitionsspitzen bei ihrem Treffen am Donnerstag aber so gar nicht verständlich wurde.
Die Idee ist nicht neu
Verbürgt ist, dass die Union der SPD deutlich gemacht hat, das Schutzprinzip für Syrer wieder umstellen zu wollen, oder auf Bürokratisch: „zum geregelten Verfahren zurückzukehren“. Das galt bis Oktober 2014. Dann jedoch, am 17. Oktober 2014, hatten Deutschlands Innenminister auf einer Sondersitzung im Bundesinnenministerium verabredet, Syrer unter primären Schutz zu stellen. Das macht die Verfahren einfach, räumt den Ankömmlingen jedoch das Recht ein, ihre Frauen und Kinder nachkommen zu lassen. Es wurde dazu kein konkreter Beschluss gefasst, sondern das BAMF nur vom Dienstherrn Bundesinnenministerium angewiesen, diesem Wunsch der Landesinnenminister zu entsprechen.
Wochenlang nun haben Innenpolitiker von Union und SPD immer wieder intern erörtert, ob angesichts des nicht nachlassenden Zuzugs der alte Status wieder hergestellt werden solle, also anstatt des primären wieder der subsidiäre Schutz auch für Syrer gelten könnte. Das bedeutet zwar: wieder aufwendige Einzelfallprüfung – sprich: viel mehr Arbeit für die Länder und Kommunen. Auf der anderen Seite jedoch wohl weniger Zuzug.
Auch die SPD schien den Zuzug begrenzen zu wollen
Die SPD-Spitze, heißt es, schien sogar gewillt, auf diese Forderung einzugehen – allein schon wegen des Drucks ihrer eigenen Landespolitiker. Gabriel hat noch am Donnerstag den SPD-Ministerpräsidenten gesagt, dass mit steigender Flüchtlingszahl auch das Dringen der Union in diesem Punkt zunehmen werde. Doch er bat die Union um Zeit, weil die SPD diese Asylrechtsverschärfung als dezidierte Einwanderungspartei nicht ohne weiteres ihren Funktionären des linken Flügels verkaufen könne. Das Versprechen des Kanzleramts war: Wir werden nichts ohne euch beschließen.
Dabei war es durch de Maizières Weisung faktisch beschlossen. Das war der Fehler, der nun das geplante Vorgehen fast unmöglich macht. Dabei war ja vieles auf dem Weg, wie die Grünen richtig vermuten. „Ich gehe davon aus, dass es länger vorbereitet worden war, es kam nur zu früh an die Öffentlichkeit“, sagte Grünen-Chefin Simone Peter am Montag.
Nun sollen die Landesminister entscheiden
Insofern ist der Beschluss der CDU recht trickreich. Die Kanzlerin musste am Montag erkennen, dass jede weitere Beschädigung de Maizières ihr selbst schaden würde. Denn nicht nur Schäuble war dem Bundesinnenminister beigesprungen, auch Merkels Stellvertreterin Julia Klöckner, die sich ihr sonst kreuzloyal gibt. Als Wahlkämpfende weiß Klöckner jedoch, wie populär de Maizière an der CDU-Basis ist, und wie verunsichert dort die Stimmung wegen der Flüchtlingspolitik ist.
Merkel also machte, worin sie gewisse Übung hat: Sie schwenkte um und delegierte; sagte, das Thema sollten die Innenminister erörtern und entscheiden. Von den 16 Landesinnenministern sind zehn Sozialdemokraten. Sie also haben nun die Wahl zwischen mehr oder weniger Flüchtlingen. Keine leichte Wahl, schon gar nicht für die SPD.
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