- Gehen oder bleiben?
Angela Merkel feiert ihren 60. Geburtstag und immer häufiger wird in Berlin über die Frage diskutiert, wie lange macht sie es noch. Den richtigen Zeitpunkt für den Rückzug zu finden ist gar nicht so einfach
„Die Menschen können sich auf das verlassen, dass ich das, was ich gesagt habe, auch tue“, sagt Angela Merkel. Am Donnerstag hat sie ihren 60. Geburtstag gefeiert, fast acht Jahre und acht Monate ist sie mittlerweile Bundeskanzlerin. Ein würdiger Platz in den Geschichtsbüchern ist ihr längst sicher. An diesem Freitag sitzt sie nun vor der Bundeskonferenz und zieht nach acht Monaten eine erste Bilanz der Großen Koalition. Natürlich interessieren sich die Journalisten neben all den Fragen zur Ukraine, zum Euro und zur PKW-Maut auch für die persönliche politische Zukunft von Angela Merkel. Sie sei bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr „gerne wieder für das Amt angetreten“, sagt die Kanzlerin also, „und zwar für die ganze Legislaturperiode“. Es gebe noch viel zu tun, „alles Weitere später“.
Doch die Spekulationen über die Frage, wie lange die Kanzlerin noch im Amt bleibt, häufen sich. Auf der einen Seite wollen sie manche Parteifreude drängen, sich frühzeitig zu einer weiteren Amtszeit zu bekennen. Sie wissen, dass die Union den Wahlsieg 2013 und die immer noch guten Umfragewerte vor allem Angela Merkel verdankt. Ohne sie droht der Machtverlust. Auf der anderen Seite häufen sich die Andeutungen aus ihrem unmittelbaren Umfeld, Merkel könne vielleicht noch in dieser Legislaturperiode aus dem Amt scheiden. Zumal sie in der Vergangenheit mehrfach erklärt hat, länger als zehn Jahre könne man diesen nervenzehrenden Job nicht machen. Ende 2015 sind die zehn Jahre um.
Gehen oder bleiben?
Noch inszeniert sich die Kanzlerin erfolgreich als Mutter der Nation. Die Auftritte bei der Fußball-Weltmeisterschaft und ihre Besuche in der Spielerkabine haben ihre Popularität in der Heimat weiter gestärkt. Merkel ist bei den Deutschen mittlerweile so beliebt wie Konrad Adenauer in seinen besten Jahren. Helmut Kohl hingegen hat ähnliche Popularitätswerte nie erreicht. Von ihren beiden christdemokratischen Vorgängern kann Merkel zugleich lernen, wie schnell populäre Politiker beim Wahlvolk in Ungnade fallen können.
Keiner ihrer sieben Vorgänger schied freiwillig aus dem Amt. Alle anderen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wurden entweder von ihren Parteifreunden gestürzt (Adenauer, Erhard) oder von innerparteilichen Widersachern zum Rücktritt genötigt (Brandt). Sie wurden vom Wähler abgewählt (Kiesinger, Kohl, Schröder) oder vom Koalitionspartner im Stich gelassen (Schmidt).
Kein Bundeskanzler trat je freiwillig zurück
Einem ähnlichen Schicksal würde Merkel offenbar gerne entgehen. Sie wolle die erste Bundeskanzlerin sein, die völlig freiwillig und ohne äußeren Druck aus dem Amt scheidet, so kolportieren es Mitstreiter. Sie wolle weder wie Adenauer noch wie Kohl enden, von Parteifreunden oder von den Wählern davongejagt. In der Juli-Ausgabe des Magazins Cicero wird das fiktive Szenario entwickelt, Merkel werde eines Tages zu ihrem Handy greifen und ihren Abschied aus der Politik eines Tages per SMS verkünden, „ohne Vorankündigung, ohne Gespräche“.
Es mag sein, dass Merkel diesen Wunsch hegt. Es mag sein, dass sie völlig freiwillig zu einem selbstbestimmten Zeitpunkt aus dem Amt scheiden will. Es wird ein frommer Wunsch bleiben. Freiwillig aus einem solchen Amt zu scheiden, ist gar nicht so einfach.
Vorbild für Merkel sei, so beschreibt später auch der Spiegel ihren freiwilligen Ausstieg, der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch. Der war im Sommer 2010 nach elf Amtsjahren völlig überraschend zurückgetreten und hatte seinen Innenminister Volker Bouffier zu seinem Nachfolger auserkoren.
Nur: Die Vorstellung, die Vorsitzende der stärksten Partei in Deutschland, die Kanzlerin eines der größten Industrieländer, die faktische Regentin Europas, ja die mächtigste Frau der Welt könne sich einfach über Nacht aus dem Amt schleichen, ist naiv. Der Plan, im Stillen mit einigen wenigen Vertrauten die Nachfolge in Amt und Partei zu regeln, um anschließend einfach abzutreten, funktioniert nur auf dem Reißbrett. Deutschland ist nicht Hessen, im Vergleich zum Kanzleramt in Berlin ist die Staatskanzlei in Wiesbaden eher eine Currywurstbude.
Merkels Favoritin heißt Annegret Kramp-Karrenbauer
Die Schlüsselfrage lautet: Wer würde Merkel im Kanzleramt und an der Spitze der CDU nachfolgen, wenn sie zurücktritt? Erst wenn klar ist, wer das Steuer übernimmt, kann Merkel ernsthaft über einen Rückzug nachdenken. Doch es gibt in der CDU keinen Kronprinzen beziehungsweise keine Kronprinzessin, mit der die Kanzlerin unter vier Augen die Stabübergabe regeln könnte. Ursula von der Leyen gilt derzeit als Favoriten. Die Verteidigungsministerin bereitet sich offenkundig darauf vor, Merkel zu beerben. Aber sie ist in der CDU alles andere als unbestritten, zudem gibt es andere Kandidaten. Innenminister Thomas de Maizière zum Beispiel. Nach Informationen von Cicero ist die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer Merkels Favoritin.
Die Nachfolge lässt sich also kaum im Stillen regeln. Die Partei wird ein Wörtchen mitreden wollen, auch die Schwesterpartei CSU. Und schon gäbe es zu viele Eingeweihte, die die Gerüchteküche befeuern können. Den Medien würde dies nicht verborgen bleiben. Hinzu kommt: je länger Merkel im Amt ist, desto nervöser werden die Parteifreunde.
Also bleibt Merkel und vor allem der Union einerseits nichts anderes übrig, frühzeitig eine Nachfolgedebatte zu initiieren oder zumindest zu dulden. Noch sei nicht der Zeitpunkt gekommen, sich mit der nächsten Legislaturperiode zu beschäftigen, sagt Merkel. Sie weiß auch: Zwangsläufig würde eine solche Debatte die Amtsinhaberin beschädigen. Die Gefahr, dass sie dann als Kanzlerin auf Abruf oder lame duck gelten würde, ist groß. Erst wenn es einen unumstrittenen Kronprinzen in der Union gibt, kann die Kanzlerin einerseits souverän über das Ende ihrer Kanzlerschaft, ein Ausscheiden aus dem Amt entscheiden. Andererseits wird sie dann schnell zur Getriebenen. Nicht nur durch die Medien. Auch alle Merkel-Kritiker in der Partei würden auf den auserkorenen Nachfolger setzen. Der richtige Zeitpunkt für einen freiwilligen Ausstieg ist dann allerdings schnell verpasst.
Eine gute Möglichkeit, allen Spekulationen in den Medien und allen Diadochenkämpfen in der CDU entgegenzutreten, wäre ein frühzeitiges und klares Bekenntnis zu einer erneuten Spitzenkandidatur 2017. Niemand in den eigenen Reihen würde derzeit eine vierte Amtszeit für Merkel im Frage stellen.
SPD würde selbst nach dem Amt greifen
Gute Gründe, noch eine Legislaturperiode dranzuhängen, gibt es für eine Bundeskanzlerin immer. Merkel ist für ihr Amt noch jung, es gibt wichtige Aufgaben, die nicht zu Ende gebracht sind: die Energiewende zum Beispiel oder die Eurokrise. Macht ist eine Droge, von der Spitzenpolitiker nicht einfach loskommen. Bei aller Bodenständigkeit ist auch Merkel davor nicht gefeit, sich für unentbehrlich zu halten. So wie Helmut Kohl, der Mitte der 1990er Jahre seinen Rückzug schön verkündet hatte und dann aber doch nichts mehr davon wissen wollte. 1998 verlor er schließlich die Wahl gegen Gerhard Schröder.
Nicht nur die eigene Partei steht dem hehren Wunsch eines freiwilligen Abschieds aus der Politik im Wege, sondern auch der Koalitionspartner. Die SPD wird ein gewichtiges Wort mitreden wollen, wenn die Union ihre Nachfolge beredet. Offiziell wird es heißen, das sei Sache von CDU und CSU. Aber hinter den Kulissen werden die Sozialdemokraten Bedingungen formulieren, Forderungen stellen. Überhaupt kann Merkel nicht davon ausgehen, dass die Sozialdemokraten einen Kanzlerwechsel einfach mitmachen. Groß wird die Verlockung sein, die Schwäche des Koalitionspartners auszunutzen, um entweder mit Hilfe der Opposition selbst nach dem Kanzleramt zu greifen oder Neuwahlen zu fordern. Der Zeitpunkt wäre günstig: Schließlich hätte der Nachfolger oder die Nachfolgerin noch keine Zeit gehabt, sich im Amt zu profilieren.
Auch die Medien werden bei der Frage, ob es einer Kanzlerin gelingen kann, wann auch immer freiwillig und selbstbestimmt aus dem Amt zu scheiden, eine wichtige Rolle spielen. Schon jetzt suchen Journalisten bei Merkel permanent nach Zeichen von Amtsmüdigkeit. Auch die potenziellen Nachfolger stehen längst unter Dauerbeobachtung. Träte Merkel tatsächlich völlig überraschend zurück, würde sie damit einen Medien-Hype ungeahnten Ausmaßes auslösen. Je überraschender, desto heftiger wären die Reaktionen. Es gäbe Eilmeldungen und Liveticker, Sondersendungen im Fernsehen und Sonderseiten in den Tageszeitungen. In den sozialen Medien würden die Emotionen hochschlagen. Und dies nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Es würde eine Dynamik der öffentlichen Debatte entstehen, die sich von den Akteuren kaum noch steuern lässt.
Vor 40 Jahren war das noch anders. Die Nachricht vom Rücktritt Willy Brands am 7. Mai 1974 wurde um 0 Uhr von einem Nachrichtensprecher des NDR verkündet. In aller Ruhe hatte der Kanzler zuvor die Parteispitze informiert. Es gab keinen Twitterfeed und anschließend auch keine Breaking News. Die meisten Tageszeitungen waren bereits gedruckt. Für viele Deutsche kam der Rücktritt von Willy Brandt zudem völlig überraschend. Nur ein paar Jusos waren kurz nach Mitternacht mit SPD-Fahnen vor das Kanzlerbungalow in Bonn gezogen. Bereits neun Tage später wurde im Bundestag sein Nachfolger gewählt.
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