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Friedrich Merz: Von der Schreibstube ins Kanzleramt? / dpa

Neues Buch von Friedrich Merz - Ein Bewerbungsschreiben fürs Kanzleramt

Friedrich Merz hat ein neues Buch veröffentlicht. Warum es nicht hält, was es verspricht, aber immer noch besser ist als andere Politikerbücher.

Autoreninfo

Jakob Arnold hospitierte bei Cicero. Er ist freier Journalist und studiert an der Universität Erfurt Internationale Beziehungen und Wirtschaftswissenschaften. 

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Hugo Müller-Vogg hat es treffend beobachtet: Gerade ist es keine gute Zeit, Politiker zu sein. Ich würde sogar weiter gehen als er und behaupten, dass es noch keinen Abend gab, an dem ich neidisch auf Politiker in der Tagesschau war und dachte: Wie gern hätte ich jetzt die hundertste unkonkrete Frage zum Zusammenhalt der Gesellschaft während der Coronakrise beantwortet?

Wie man’s macht

Kommunikation gehört zu den elementarsten und zugleich schwierigsten Aufgaben eines Politikers. Die gleichen Leute, die sich in einem Satz darüber aufregen, dass Politiker aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen und einfach mit dem Volk sprechen sollen, poltern im nächsten Satz ohne zu zucken, ein US-Präsident habe auf Twitter nichts verloren. Die gleichen Leute, die von Politikern aufrichtige Nachdenklichkeit fordern, stellen sich gegen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, weil sie ihm diese Eigenschaft als Langweiligkeit auslegen.

Und auch ich messe wahrscheinlich mit zweierlei Maß: Zum einen möchte ich, dass Politiker darlegen, welche Vorstellungen sie für das Land haben, aber andererseits: Müssen es gerade diese zahllosen Bücher sein, zu denen sich jeder Landtagsabgeordnete berufen fühlt?

Der Reiz des Erlaubten

Auch Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Vorsitz, hat wieder einmal ein solches Buch veröffentlicht. Für Außenstehende wie mich ist es schwer zu begreifen, doch Politikerbücher müssen wie eine Droge sein. Laut Amazon kaufen Kunden, die bei Friedrich Merz zugreifen, angeblich gleich noch die Biografien über Laschet und Söder mit. 65 Euro für die geballte Ladung Kanzlermaterial.

Doch auch die Konkurrenz aus anderen Parteien schläft nicht. Denn die Buchkäufer der Unionisten kauften ebenfalls Katrin Göring-Eckardts Buch „Ich entscheide mich für Mut“. Und diese Frau kann nicht nur Titel scharfzüngig formulieren. Im 127-Seiten-Epos finden sich Bonmots wie „die Mittel der Kontrolle und Überwachung sind zugleich Mittel der Freiheit“ oder „Werte wie Solidarität und Miteinander, Gerechtigkeit und Frieden sind nicht vom Staat allein generierbar.“ Man stelle sich vor, wo wir als Gesellschaft sein könnten, wenn wir, statt in jedem freien Moment aufs Smartphone zu starren, die Zeit nutzten, Werte zu generieren.

Der Berufsaufsteher

Noch einen Klick weiter und mir wird „Aufstehen statt Wegducken: Eine Strategie gegen Rechts“ von Berufsaufsteher Heiko Maas feilgeboten. Der Titel lässt bereits die Alarmglocken läuten. Nicht eine Strategie gegen „Rechtsaußen“ oder „Rechtsextremismus“ wird gesucht, sondern gegen „Rechts“. In einer Rezension der FAZ heißt es daher: „In Teilen des Buches gewinnt man den Eindruck, dass es für Maas nicht genügt, sich gegen Radikalismus zu wenden, um ein guter Demokrat zu sein – dass man vielmehr auch mit Grundsätzen des SPD-Programms einverstanden sein muss, um dieses Etikett zu verdienen.“

Doch zurück zu Friedrich Merz. „Neue Zeit. Neue Verantwortung. Demokratie und Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert“ heißt sein Werk. Ein Titel, der zum Schlafen einlädt. Doch wie sieht es mit dem Inhalt aus?

Ein klares Jain.

Es ist nicht so, als hätte Friedrich Merz nichts zu sagen. Blackrock Deutschland hat ihn nicht in den Aufsichtsratsvorsitz berufen, weil sie einen einfachen Mann aus der gehobenen Mittelschicht gesucht haben. In Wirtschaftsfragen, wie etwa Steuern oder Rente, weiß er, wovon er spricht.

Auf den restlichen 200 Seiten schiebt Bäcker Merz jedoch überwiegend Allgemeinplätzchen in den Ofen. Sinnbildlich dafür ist folgendes Zitat: „Die digitale Revolution ist eine friedliche Revolution – wenn sie dem Menschen dient und nicht gegen ihn gewendet wird.“ Inwiefern eine „Revolution dienen“ kann, will ich jetzt gar nicht erst fragen. Abgesehen davon ist der Satz an sich nicht falsch, sagt aber auch nichts aus. So steht am Ende jedes Kapitels die Frage: „Ja, okay … und jetzt?“

Eine Parteitagsrede

Vor allem auf den letzten Seiten ist Durchhaltevermögen gefordert. Im Stile einer Parteitagsrede aus dem letzten Jahrhundert soll hier der Geist der CDU beschworen werden. Merz teilt Weisheiten mit dem Leser, etwa dass christdemokratische Politik immer in dem Bewusstsein erfolge, dass man den Menschen „moralisch nicht überfordern“ dürfe. Ein Satz wie vom Therapeuten. Und ebenso kryptisch. Was soll „moralische Überforderung“ sein und was hat sie mit christdemokratischer Politik zu tun? Auch die Aussage, der Mensch sei ein „Geschöpf Gottes“ löst bei Atheisten wie mir eher Befremden aus. Ich begreife mich eher als „Geschöpf meiner Eltern“, aber … mein Gott.

So sehr Friedrich Merz betont, dass es sich bei seinem Buch nicht um sein Wahlprogramm, sondern einfach nur um einen Beitrag zur aktuellen Debatte handelt; so sehr muss ich widersprechen. Es ist sein Bewerbungsschreiben fürs Kanzleramt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn einstellen würde, wenn ich Personalchef wäre. Aber ich kann sicher sagen, dass ich die Bücher seiner Rivalen Laschet und Söder jetzt nicht auch noch lesen müsste.

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Heidemarie Heim | So., 22. November 2020 - 15:52

Herrlich lieber Herr Arnold! Gratulation! Das Geschöpf;-) ist den Eltern geglückt! Denn es ist schön zwischendurch feststellen zu dürfen, das man trotz einem hohen Altersunterschied dennoch die gleichen Fragen verfolgt. Wenngleich ich mit "Ja ok..und was weiter?" einen ziemlichen zeitlichen sowie Anzahl mäßigen Vorsprung haben dürfte! Fragen Sie fleißig weiter! Oder wie mein eigener geplagter Papa diesbezüglich klagte, nämlich "das ich ihm ein Loch in den Bauch fragen würde und auch wieder zu!" MfG

Brigitte Simon | So., 22. November 2020 - 17:32

...Außenstehende doch das Merz´sche politische Kochbuch verstehen, verstehe ich dann unsere Politik? Möglicherweise durchaus denkbar. Aber ist das noch erforderlich? Seine politischen Rezepte bestehen aus dem grünen! Knollenpilz, aus dem falschen Pfifferling*in, dem Gemeinen Gallenröhrling, garniert mit einem rohen japani-
schen Kugelfisch. Danke, das genügt.

die Zeit der Notgeschenke. Wer allerdings etwas über die Zukunft erfahren will, kann dies u.a. bei Sloterdijk oder wenigstens Precht nachlesen.

Japanischer Kugelfisch wäre zwar mal was anderes, sollte aber nicht ohne vorherige Erhöhung der Lebensversicherung gereicht werden. Oder nur den weniger beliebten Gästen.

Christian Haustein | So., 22. November 2020 - 21:52

Ich glaube nicht, dass Herr Merz als Kanzlerkandidat eine kluge Wahl ist. Er mag ein konservatives Profil haben, aber außer bei der FDP und AFD wird er keine neuen Wähler dazugewinnen können. Gleichzeitig wird er Wähler der Mitte, eher abschrecken, da er eher wie der imperator aus StarWars, wie ein Patriarch a la Söder daherkommt. Zu kalt und unsympathisch wirkt er, selbst Scholz wirkt da noch richtig liebenswürdig. Auch ist mir nicht klar, welche Koalition sich daraus ergeben sollte? Außer einer Neuauflage der Groko fällt mir Nichts ein. Die Grünen werden ihr Weltreiterimage nur ungern aufs Spiel setzen, außerdem sind die ideologischen Gräben wohl zu groß. Als Finanzminister, kann man sich Merz gut vorstellen. Scholz und Schäuble haben bewiesen, dass man auch als verhasster Zuchtmeister zumindest Respekt ernten kann und sich an der "Schwarzen Null" "selbstbefriedigen" kann. Mehr ist nicht drinnen.

Gustav Ehlert | Mo., 23. November 2020 - 18:40

Antwort auf von Christian Haustein

wieso Merz immer wieder als angeblich so "kalt" und "unsympathisch" dargestellt wird. Wenn man sich mal genauer mit ihm beschäftigt und mehrere seiner Reden und Auftritte ansieht, merkt man schnell, dass der Mann auch sehr charmant sein kann. Nicht umsonst attestieren ihm ja auch einige Beobachter jenes Charisma, das anderen Politikern derzeit fehlt.
Und ob ein Kanzler(kandidat) nun "liebenswürdig" sein muss, wie Sie es nun bezogen auf Scholz darstellen, Herr Haustein, sei ja mal erst recht dahingestellt. In erster Linie muss eine solche Person führen können und Durchsetzungsvermögen beweisen.

Christoph Kuhlmann | Mo., 23. November 2020 - 07:41

Ich habe auch immer die Journalisten bedauert, die über Merkels Reden einen Artikel schreiben musste. Dabei ist Friedrich Merz ja ein Ausbund an klarer Kante. Empfehlenswert sind meines Erachtens einige Bücher von Helmut Schmidt. Der Mann schrieb einfach nur von den Dingen, von denen er Ahnung hatte und musste auch keine Rücksicht mehr auf seine Partei und potenzielle Koalitionspartner nehmen.

Jens Rudolf | Mo., 23. November 2020 - 11:58

„Die digitale Revolution ist eine friedliche Revolution – wenn sie dem Menschen dient und nicht gegen ihn gewendet wird.“ - heißt m.E. sehr klar, dass durchdigitalisierte Unternehmen, die am anderen Ende Massenhaft Mitarbeiter entlassen und eine Sockelarbeitslosigkeit von 30% und mehr verursachen , nicht gerade zu einer friedlichen digitalen Revolution beitragen, solange Arbeitseinkommen die einzige Möglichkeit für Millionen bleibt ein Auskommen zu haben. Auch die digitalisierten Unternehmen würden sich wundern, wenn niemand mehr ihreProdukte kauft. Den wenn der Topfhersteller seine Leute nicht so bezahlt, dass sie Töpfe kaufen können, hat auch der Topfhersteller schnell ein Problem.
2.ter Punkt "Moralische Überforderung": Ich bin moralisch überfordert, wenn ich zwecks Erzeuegung herzenswarmer Gefühle bei einem Kreis von Personen die halbe Armutswelt mit all ihren Begleiterscheinung bei mir unterbringen und alimentieren soll.

Dr.Andreas Oltmann | Mo., 23. November 2020 - 13:16

Sehr geehrter Herr Arnold,
leider ist Ihre „Rezension“ nicht hilfreich. Ganze 2 Ansätze befassen Sie sich mit Merz direkt, daneben verbreiten Sie viele Allgemeinplätze und zeigen offen, wo Ihre Sympathien liegen. Auch die unvermeidliche Erwähnung von Blackrock bleibt als Negativurteil nicht aus. Sie bestätigen ganz offen, dass 90% des Journalistennachwuchs Rot-Rot-Grün wählen ( s.pro-medienmagazin). Als künftiger Journalist sollte Sie sich mit Inhalten auseinandersetzen, und nicht in die allgemein-moralisierende Überfliegermentalität abdriften. Ein Beispiel wäre der aktuelle Cicero-Beitrag zum Grünen Parteitag, der Ihnen als Vorbild dienen könnte. Dass Sie Merz nicht einstellen würden, ist zum Gück gut so, weil Ihnen die nötige Kompetenz fehlt. Und dass Sie es nicht für nötig erachten, die Bücher von Laschet und Söder anzufassen, sagt schon alles. Thema verfehlt, setzen, mangelhaft.
MFG

Jakob Arnold | Mo., 23. November 2020 - 16:47

Antwort auf von Dr.Andreas Oltmann

Sehr geehrter Herr Oltmann,

vielen Dank für Ihre kritischen Worte.

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass der Artikel nicht als "vollwertige" Rezension des Buches geeignet ist. Vielmehr war es mein Versuch, das Thema "Politikerbücher" humorvoll anzugehen. Merz' Buch war eher der Anlass.

Wenn Sie Interesse an tiefergehenden Einschätzungen zum Buch haben, können Sie mich gern kontaktieren. 

Die Erwähnung von Blackrock war nicht negativ, sondern anerkennend gemeint. Ich halte Friedrich Merz für einen der fähigsten Wirtschaftspolitiker, die derzeit auf der politischen Bühne auftreten (Um ein Vielfaches fähiger als Olaf "Ich lege meine Geld aufs Sparbuch" Scholz, um auf Ihren Vorwurf der Parteilichkeit gleich mit einzugehen)

Ich habe nicht gesagt, dass ich Friedrich Merz nicht einstellen würde.

Hoffentlich konnte ich die Note 6 jetzt noch vereiteln.

Liebe Grüße

Jakob Arnold

Dr.Andreas Oltmann | Mo., 23. November 2020 - 19:35

Sehr geehrter Herr Arnold,
herzlichen Dank für Ihre direkte Antwort.
Ihr Humor ist für mich wahrscheinlich zu subtil, so dass ich ihn beim Lesen nicht als solchen erkannt habe.
Für mich hat auch das Zitat von Frau G-E keinen humoristischen Unterton,und es als bonmot zu bezeichnen ist mutig:„ die Mittel der Kontrolle und Überwachung sind zugleich Mittel der Freiheit“ drücken ein zutiefst gestörtes demokratisches Verständnis aus, und sind durchaus auch so zu kritisieren. Treffend find ich Ihre Bemerkungen über Maas und das Zitat aus der FAZ. Und wenn Sie nicht wissen, ob Sie Merz einstellen würden, falls Sie je in diese Verlegenheit kommen sollten, bedeutet das zumindest keine Zustimmung zu seiner Haltung. Ihre Stellungnahme so abzuschwächen, entspricht vermutlich auch Ihrem feinsinnigen Humor, der bei mir nicht wirklich auf fruchtbaren Boden fällt.
Nichts für ungut!
Mit freundlichen Grüßen Oltmann

Fritz Elvers | Mo., 23. November 2020 - 21:00

„Die digitale Revolution ist eine friedliche Revolution – wenn sie dem Menschen dient und nicht gegen ihn gewendet wird.“

Was für ein blödsinniger und weltfremder Satz! So, als würde Bedford-Strohm darüber entscheiden. Diese "Revolution" wird wahrscheinlich nicht mehr Arbeitsplätze schaffen, als dass sie verloren gehen, 30-50% habe Zukunftsforscher berechnet.
Zitat Precht:
"Technologischer Fortschritt wird ja nicht auf demokratischem Weg erzeugt, sondern von kommerziellen Unternehmen vorangetrieben ".

Dazu sollte ein Merz Konzepte aus der Schublade holen können. Sonst ist er als Kanzler genau so wenig geeignet, wie die anderen.